Von oben wirkt der geplante Erweiterungsbau des Bundeskanzleramts in Berlin wie ein Fragezeichen: Ein Gebäude-Band, das oben eine Kurve beschreibt, unten mit einem kreisförmigen Hubschrauberlandeplatz als Punkt. Ab 2028 soll es die Raumnöte im Hauptgebäude beenden und rund 400 Mitarbeitern Platz bieten.
Der Entwurf stammt vom Architektenpaar Charlotte Frank und Axel Schultes, das schon das 2001 bezogene Bundeskanzleramt mit seinem charakteristischen runden Ausschnitt gezeichnet hatte, das viele an eine Waschmaschine erinnert. Weil es noch unter CDU-Kanzler Helmut Kohl bezogen wurde, trug es zunächst den Spitznamen „Kohlosseum“. Erster Mieter war dann aber der SPD-Mann Gerhard Schröder.
600 Millionen Euro: Bundesregierung korrigiert Baukosten nach oben
Schon heute gilt das Bundeskanzleramt mit seinen rund 25.000 Quadratmetern Nutzfläche als größte Regierungszentrale der westlichen Welt. Es ist rund achtmal so groß wie das Weiße Haus in Washington, zehnmal so groß wie Downing Street Nummer 10 in London und dreimal so groß wie der Pariser Élysée-Palast. Durch die Erweiterung soll sich die Fläche des Kanzleramts noch einmal verdoppeln.
Viele Fragezeichen bei dem Projekt sieht der Bundesrechnungshof. Denn schon jetzt ist klar, dass die Kostenschätzung, die bei der Vorstellung der Pläne vor fast zwei Jahren im Bundeskanzleramt angegeben wurde, längst nicht ausreichen wird. War zunächst von rund 460 Millionen Euro die Rede, geht die Bundesregierung heute von mindestens 600 Millionen Euro aus, die aber wohl auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein dürften.
Mindestens 18.000 Euro pro Quadratmeter
Als Gründe werden steigende Baukosten und „Entwicklungsrisiken“ angegeben. Pro Quadratmeter soll das Bürogebäude für rund 400 Mitarbeiter also mindestens 18.000 Euro kosten. Dabei sollte ein „nüchterner Zweckbau“ entstehen, wie es bei der ersten Vorstellung hieß. Für den Rechnungshof steht aber bereits jetzt fest, dass der Anbau alles andere als nur zweckmäßig funktionell ist – im Gegenteil sprenge er den Kostenrahmen aller bisherigen Bundesbauten in Berlin.
Für Bauten des Bundes gilt der Grundsatz, dass „eine wirtschaftliche Lösung zur Deckung eines nachgewiesenen Bedarfs“ vorgelegt werden muss. Beim Erweiterungsbau für das Kanzleramt, glaubt der Bundesrechnungshof, dass davon keine Rede sein kann. Das Preisniveau bewege sich sogar über dem von Gebäuden der medizinischen Spitzenforschung mit aufwendigen Reinräumen und luftdichten Fassaden. Im Abschlussbericht zu dem Vorhaben bezweifelt der Rechnungshof zudem, dass bereits alle Kosten bekannt sind.
Noch kein Termin für einen Spatenstich
Noch gibt es keinen Termin für einen Spatenstich, ginge es nach den Finanzwächtern, würde an das Vorhaben bis dahin noch gewaltig der Rotstift angesetzt. Für überflüssig halten sie etwa „neun fünfgeschossige Wintergärten“, die geplant sind. Für den Rechnungshof bieten diese nicht nur „keinen Mehrwert“, es sei sogar allen Beteiligten bewusst, dass die Glaskonstruktion zu Problemen führen werde. Sie drohe sich im Sommer aufzuheizen, was einen „hohen Aufwand auch im Betrieb“ bedeute. Gemeint sind Kosten für Verschattungstechnik oder Kühlung. Der Rechnungshof empfiehlt, dass die Wintergärten einfach ersatzlos gestrichen werden. So ließen sich „mindestens 14 Millionen Euro“ einsparen.
Für Kopfschütteln sorgen zudem einals viel zu aufwendig kritisierter Hubschrauberlandeplatz und eine geplante zweite Brücke über die Spree. Sie sie soll den Fluss auf einer Länge von 123 Metern stützenlos überspannen. Allein die Brücke soll mehr als 18 Millionen Euro kosten, doch der Bundesrechnungshof hält sie schlicht für überflüssig. Der Mehrwert werde nicht nachgewiesen, deshalb raten die Gutachter, auf das Bauwerk ganz zu verzichten.
Es soll nun doch keine neue Kanzlerwohnung geben
Die Liste der Kritikpunkte ist aber noch länger. Sie enthält die geplante „Kanzlerwohnung mit einer Nutzfläche von 250 Quadratmetern“. Allein die Kosten für das Mobiliar werden mit 225.000 Euro veranschlagt. Doch im Kanzleramts-Altbau gibt es bereits eine durchaus präsentable Kanzlerwohnung mit 200 Quadratmetern. Die Bundesrepublik hat aber nur einen Kanzler, so dass sich den Gutachtern der Nutzen der zweiten Dienstwohnung nicht recht erschließen mag. Sie empfehlen, die Räume erst einmal als Büros zu nutzen, in diesem Punkt hat die Regierung immerhin bereits Zustimmung signalisiert.
Streichen würde der Rechnungshof weiterhin die projektierte Kindertagesstätte für zwölf bis 15 Kinder von Kanzleramtsbediensteten. Denn die geschätzten Kosten von 2,8 Millionen Euro seien nicht nur unverhältnismäßig hoch. Durch eine Zusammenarbeit mit Kinderbetreuungsangeboten in der Nähe, etwa dem Bundestags-Kindergarten, sei eine eigene Kanzleramts-Kita komplett verzichtbar.
Im Haushaltsausschuss des Bundestages hat CDU-Kanzleramtsminister Helge Braun die Pläne verteidigt. Bei den Beratungen zum Bundeshaushalt 2021 sagte er etwa zu den geplanten Wintergärten, diese seien „elementarer Bestandteil dieser Baukonstruktion“. Sie einfach wegzulassen, gehe nicht, ohne sie müsste man von vorne anfangen. Doch schon kommt neuer Gegenwind vom Bund der Steuerzahler.
Falsches Signal: Angst vor steigenden Baukosten
Dessen Präsident Reiner Holznagel sagte unserer Redaktion: „Weniger als 20 Jahre nach Eröffnung des Bundeskanzleramts in Berlin wird schon ein üppiger Erweiterungsbau geplant. Offenbar geht es nicht darum, einen funktionalen Zweckbau zu errichten. Dies halte er für ein falsches Signal, so Holznagel weiter – „vor allem in der Corona-Krise mit ihren Rekordschulden der öffentlichen Haushalte und mit Blick auf viele Bürger, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben.“
Er befürchtet, dass die Baukosten noch weiter steigen werden und sieht jetzt das Parlament am Zug: „Mittel sollten erst dann freigegeben werden, wenn die Pläne der aktuellen Situation angepasst und konkretisiert wurden – dabei muss immer wieder geprüft werden, was wirklich notwendig und am Ende wirtschaftlich ist.“ Holznagel fordert in diesem Zusammenhang, dass das Kanzleramt ein Zeichen setzen und alle Mitarbeiter am Bonner Standort künftig in der Hauptstadt unterbringen solle. Das Berlin/Bonn-Gesetz habe sich 30 Jahre nach der Wiedervereinigung überholt. Holznagel ist überzeugt: „Das Kanzleramt muss vorangehen und seinen Dienstsitz in Bonn auflösen.“
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