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Berlin: Jahrestag des Hamas-Angriffs spaltet die Stadt

Berlin

Wut und Trauer herrschen am 7. Oktober in Berlin

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    Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten solidarisieren sich mit den Palästinensern.
    Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten solidarisieren sich mit den Palästinensern. Foto: Mira Herold-Baer

    Ein Jahr nach den Schrecken des 7. Oktober ringen Israel-Unterstützer in Berlin-Mitte um die Aufmerksamkeit der Deutschen. Sie flehen und sie kämpfen, erschöpft. Doch hier werden sie kaum gehört. Nur wenige Gäste erscheinen am Montagvormittag zur Mahnwache am Bebelplatz, auf dem einst Nationalsozialisten Tausende Bücher verbrannten. Kamera-Teams drängen in den abgezäunten Bereich der Ausstellung. Sicherheitskräfte am Rand beobachten das Geschehen haargenau.

    Am Mahnmal erinnern 101 Stühle mit Fotos an die 101 Geiseln, die entweder immer noch in den Tunneln der Hamas stecken, oder bereits ermordet sind. Ein blutverschmiertes und zerstörtes Wohnzimmer macht den Terror fühlbar. Als würden die Macher der Ausstellung die Kamerateams damit wachrütteln: „Seht doch! Seht, immer noch!“ Wer hier ist, spürt ein Drücken auf der Brust. Es ist wie auf einer Beerdigung. Frauen legen Blumen vor den Fotos auf den Stühlen nieder.

    Er verlor beim Terrorangriff Mutter und Schwester

    Plötzlich richten sich die Kameras auf einen bärtigen Mann im blauen Anzug. Alan Gat tritt auf – ein Überlebender des 7. Oktober. Er konnte sich und seine Tochter retten, doch die Mutter wurde gleich ermordet, seine Schwester wurde nach langer Zeit in Geiselnahme getötet. Sein blasses, faltiges Gesicht sieht älter aus, als seine Statur vermuten lässt. Gat hatte so viel Hoffnung. Jetzt bleibt ihm nicht mehr viel, als hier vor die Kameras zu treten.

    Please. Keep supporting us!

    Alan Gat, Israelischer Angehöriger von Opfern der Hamas

    Alan Gat (Mitte) bei seinem Appell an die Medien. Unterstützt wurde er von Volker Beck (links), dem Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, und der deutsch-israelischen Politikberaterin Melody Sucharewicz (rechts).
    Alan Gat (Mitte) bei seinem Appell an die Medien. Unterstützt wurde er von Volker Beck (links), dem Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, und der deutsch-israelischen Politikberaterin Melody Sucharewicz (rechts). Foto: Philipp Scheuerl

    „Meine Schwester wurde ermordet. Sie hätte gerettet werden können, aber wir haben zu wenig Druck gemacht. Jetzt müssen wir handeln. 101 Menschen können wir noch helfen“, sagt er unserer Redaktion. „Wenn es hier große Pro-Palästina-Proteste gibt, aber keinen für Israel, dann läuft etwas falsch. Palästina-Demos sind nicht für Palästina, sie sind gegen Israel. Sie sollten doch gegen die Hamas gerichtet sein. Please. Keep supporting us! (Bitte. Unterstützt uns!)“

    Nur rund fünf Kilometer entfernt am Hermannplatz haben die Menschen eine fundamental andere Meinung zum Krieg. Um Ausschreitungen am 7. Oktober, dem Jahrestag des Hamas-Angriffs, zu verhindern, sollen laut Polizeiangaben 2000 Beamte im Einsatz sein. Unterstützung sei aus sieben Bundesländern, unter anderem Bayern, eingerückt. Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, hat vor dem 7. Oktober gewarnt. Es könne radikal und emotional werden, sagte er.

    Nachrichten über getötete Zivilisten lösen bei der Pro-Palästina-Demonstranten Wut aus

    Denn die Nachrichten über Zehntausende getötete Zivilisten lösen bei den Pro-Palästina-Demonstranten Wut aus. Und die Wut brodelt und mischt sich teils mit antisemitischen und extremistischen Kräften. Schon am Vorabend des Jahrestags schleppt sich ein Meer aus Flaggen und den schwarz-weißen Palästinensertüchern durch die Straßen von Kreuzberg. Die U-Bahn am Kottbusser Tor spuckt anhaltend Hunderte weitere Protestierende aus, es herrscht ein quirliges Treiben. Drastische Slogans tönen rhythmisch aus Megaphonen: „FDP finanziert, Israel bombardiert. Deutschland genoziert, AfD applaudiert.“

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    Bei einer Pro-Palästina-Demonstration in Berlin kam es am Sonntag teils zu Ausschreitungen. Am Bebelplatz in Berlin-Mitte erinnern Israel-Unterstützer an die Schrecken des Angriffs.

    „Stop the genocide! (Stoppt den Genozid!)“, haben die Demonstrierenden auf Pappschilder geschrieben. Sie fordern es immer wieder und in verschiedenen Variationen. Da ist ein Plakat: „Asians against Imperialism (Asiaten gegen Imperialismus).“ Daneben geht eine Mutter mit Kleinkind, gefolgt von Menschen im hippen, urbanen Stil. Neben der großen arabischstämmigen Teilnehmerschaft sind auch sie zahlreich vertreten. 3500 Menschen kommen am Sonntag zur Berliner Pro-Palästina-Demo zusammen, schätzt die Polizei.

    Stop the genocide!

    Plakatsprüche von Pro-Palästina-Demos, Berlin

    Für Israel war der 7. Oktober 2023 ein historisch blutiger Tag. Die Zahlen sind bekannt: 1200 Menschen wurden in Israel getötet, etwa 240 Geiseln verschleppt. Es ist das schlimmste Massaker an Juden seit dem Zweiten Weltkrieg – ein Tag, der tiefe Narben in die israelische Gesellschaft riss. Israel reagierte mit Bombardements im Gazastreifen, wo sich die humanitäre Lage furchtbar verschlechterte und Tausende Zivilisten zu Tode kamen.

    Noch am selben Abend entzündeten sich in Berlin gewaltsame Proteste an der arabisch geprägten Sonnenallee. Die spontanen und verstreuten Wutausbrüche machten es der Berliner Polizei schwer, die Versammlungen aufzulösen. Solche Szenen sollten sich eigentlich um den Jahrestag des 7. Oktober nicht wiederholen.

    Für Jüdinnen und Juden ist seit dem Oktober nichts mehr, wie es war

    Doch sowohl Sonntag als auch Montagabend lassen sie ihrer Wut freien Lauf. Glasflaschen und Böller fliegen, ein Gerangel zwischen den Protestierenden und den Beamten macht die Lage unübersichtlich. Die Polizei setzt Reizgas gegen Randalierer ein und ein Stimmenchor schreit: „Ganz. Berlin. Hasst die Polizei“.

    Insbesondere die pro-palästininsische Demonstration am Abend des 7. Oktobers hält die Polizei in Atem. Ursprünglich war die Kundgebung „Solidarität mit Palästina“ am Hermannplatz angemeldet, der Standort wurde jedoch am Montag von der Polizei umgelegt. Daher versammeln sich rund 400 Demonstranten am Südstern in Kreuzberg. Mitten in der Menge protestiert auch die schwedische (Klima)Aktivistin Greta Thunberg.

    Greta Thunberg wurde durch ihren „Schulstreik fürs Klima“ weltweit bekannt. Aus ihrer Protestaktion ist die internationale Klimabewegung „Fridays for Future“ entstanden. Seit dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel vor einem Jahr und dem darauffolgenden militärischen Vorgehen Israels im Gazastreifen hat sie sich mehrfach mit den Palästinensern solidarisiert und Israel Völkermord vorgeworfen. Kritiker werfen Thunberg vor, dass sie im Gaza-Krieg und bei den Ereignissen, die ihn auslösten, einseitig pro-palästinensische Positionen vertreten habe.

    Diese pro-palästinensischen Positionen sind an jenem Abend am Südstern eindeutig anhand der schwarz-weißen Palästinensertücher und entsprechender Flaggen erkennbar. Viele der Teilnehmer vermummen ihr Gesicht. Die Stimmung ist von Beginn an aufgeladen, immer wieder ertönen Sprechchöre mit Beleidigungen der Polizei. Als ein Demonstrationsteilnehmer das Dach der U-Bahnstation Südstern erklimmt und eine Palästina-Fahne schwingt, jubelt die Menge. Die Beamten greifen schon nach einer Stunde ein, mehrere Personen werden festgenommen.

    Um 19:36 Uhr wird die Kundgebung frühzeitig von der Versammlungsleiterin beendet, die Rangeleien zwischen Demonstranten und Polizei verteilen sich daraufhin in zwei Nebenstraßen. Gegen 21 Uhr ist die Versammlung größtenteils aufgelöst, nur wenige Teilnehmer sind noch vor Ort. Laut Informationen der Berliner Morgenpost befindet sich Greta Thunberg noch unter ihnen, verlässt dann jedoch mit den restlichen Protestierenden den vormaligen Versammlungsort.

    Für die anderen, die Jüdinnen und Juden und die Israel-Unterstützer ist seit dem Oktober nichts mehr, wie es war. Während sich für die Palästina-Kundgebungen schnell Tausende versammeln, ringen sie erschöpft um die Aufmerksamkeit der Deutschen (mit dpa).

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