Ein Jahr Kanzler Olaf Scholz: zwischen Doppelwumms und Zeitenwende
Es gab Zeiten, da hätte in Berlin niemand auf ihn gewettet. Dann gewann Scholz die Wahl. Der Ukraine-Krieg hat alles verändert, die ausgerufene Zeitenwende stockt.
Es ist der G20-Gipfel in Bali. Olaf Scholz ist da, US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und noch ein paar andere Staats- und Regierungschefs. Auf polnischem Gebiet ist am Vormittag eine Rakete eingeschlagen, die Lage ist ernst. Die Gesichter auch, wie ein Schnappschuss von Regierungssprecher Steffen Hebestreit zeigt. Das Bild geht um die Welt, wird als gestelltes Foto, als Regierungs-PR abgetan. Doch diejenigen, die den Kanzler seit einem Jahr auf seinen Reisen begleiten, wissen es anders. Für solcherlei Faxen wäre Olaf Scholz nicht zu haben. Ein Fotograf aus dem Pressetross beschreibt es so: „Man kann Scholz bitten, zur rechten Tür hereinzukommen, und er wird garantiert die linke nehmen.“ Der Satz fasst das Regierungshandeln des SPD-Politikers ganz gut zusammen: Scholz macht meistens das, was man nicht von ihm erwartet.
Scholz war schon vor seiner Kanzlerschaft das politische Überraschungsei. Nachdem er eine Bewerbung zunächst ausgeschlossen hatte, gab er im August 2019 bekannt, zusammen mit der damaligen brandenburgischen Landtagsabgeordneten und heutigen Bauministerin Klara Geywitz nun doch für den SPD-Vorsitz kandidieren zu wollen. Das Duo unterlag Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans; die bundespolitische Karriere von Scholz schien beendet.
Sein Instinkt lässt Olaf Scholz unbeirrt weitermachen
Doch der äußere Schein trog auch hier: Der Norddeutsche wurde auf Vorschlag der neuen SPD-Vorsitzenden zum Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten gekürt. Scholz hatte zuvor Gegner wie den SPD-Rebellen Kevin Kühnert hinter sich versammelt, schon mal den ein und anderen Regierungsposten versprochen und den Kritikerinnen und Kritikern damit seinen Machtinstinkt bewiesen. Ein Instinkt, der ihn unbeirrt weitermachen ließ.
Probleme wie den Skandal um die Insolvenz des Zahlungsdienstleisters Wirecard oder die Steueraffäre um die feine Hamburger Warburg Bank ließ Scholz im Wahlkampf abprallen. Eine Verantwortung als Erster Bürgermeister Hamburgs und als Bundesfinanzminister? Er doch nicht, lächelte „König Olaf“ in die Mikrofone.
Der Rest ist Geschichte. Scholz machte seine SPD mit unfreiwilliger Schützenhilfe der Union – CSU-Chef Markus Söder lieferte dem CDU-Kandidaten Armin Laschet eine Dauerfehde – zum Wahlsieger und zog ins Kanzleramt ein. Seinen Sprecher Hebestreit nahm er mit, ebenso seinen langjährigen Weggefährten und Strippenzieher Wolfgang Schmidt, der Kanzleramtschef wurde. Zur Büroleiterin, eine der wichtigsten Machtstellen im Kanzleramt, avancierte seine vertraute Mitarbeiterin Jeanette Schwamberger. Der neue Kanzler vermied Überraschungen auch bei der Besetzung der SPD-Kabinettsposten; einige legen ihm das als Schwäche aus.
Olaf Scholz ist jetzt plötzlich Deutschland, man hört ihm genau zu
Der gebürtige Osnabrücker hatte da zwar schon Regierungserfahrung als Vizekanzler gesammelt – Kanzler zu sein, ist indes noch mal eine andere Nummer. Der Apparat hört genau auf das, was der Regierungschef sagt. Mit einem Aktenvermerk können Karrieren beflügelt werden. Oder zerstört. Wenn der Kanzler Hunger hat, dann muss der Rest eben warten, bis dieser gestillt ist. Auf den großen Gipfeln und seinen zahlreichen Auslandsreisen ist Scholz jetzt plötzlich Deutschland, man hört ihm genau zu. Jedes Wort wird genau analysiert, abgewogen, Pressekonferenzen geraten zum Großereignis.
Neu für diese Regierung ist, dass der Kanzler bei offiziellen Terminen Englisch spricht. Unter seiner Vorgängerin Angela Merkel war das verpönt, die CDU-Politikerin redete Deutsch und ließ ihre Sätze von einer versierten Dolmetscherin übersetzen. Das nicht etwa wegen mangelnder Sprachkenntnisse, sondern aus Sorge um mögliche Missverständnisse: Wer etwa über internationale Konflikte spricht und sich seiner Sätze nicht ganz sicher ist, kann die Lage unfreiwillig verschärfen.
Kanzler Scholz spricht Englisch, Merkel blieb bei Deutsch
Scholz hält sich nicht an diese jahrzehntelange gute Übung. Er will wohl Weltläufigkeit demonstrieren, das gelingt ihm allerdings nur dann wirklich gut, wenn er sein Statement vom Blatt ablesen kann. Auf der Weltklimakonferenz COP27 in Sharm el Sheikh etwa moderiert er eine Konferenz, auf der er für seinen „Klimaklub“ werben will, und stößt mit seinen Englischkenntnissen an Grenzen. Seine Gäste sind geübt in der Diplomatie und verziehen bei den grammatikalischen Aussetzern keine Miene. Außenministerin Annalena Baerbock, für ihre sprachlichen Fähigkeiten zunächst gescholten, ist da besser unterwegs. Die Grüne lebte während ihres Studiums zeitweise in England.
Scholz musste sich in die neue Rolle als Kanzler erst einleben, viel Zeit hatte er dafür nicht. Die Corona-Pandemie tobt noch, da greift Russland die Ukraine an und stürzt Deutschland in eine Energiekrise. „Jeden Tag sehen wir die Zerstörung. Jeden Tag verfolgen wir, wie viele Menschen Opfer russischer Bomben werden“, sagt Scholz und bekräftigt seinen Willen, das gebeutelte Land massiv zu unterstützen. Eine „Zeitenwende“ hat er deswegen im Bundestag ausgerufen; auf die Rede hat er sich damals lange vorbereitet. Das Wort gefällt ihm, gerade hat er im US-amerikanischen Politikmagazin Foreign Affairs einen Gastbeitrag veröffentlich. Der sprachlich leicht schiefe Titel lautet: „The Global Zeitenwende“.
Die Ampel-Koalition kündigt Großes an, aber es hapert an der Umsetzung
Kernbestandteil der Zeitenwende ist die Ertüchtigung der vernachlässigten Armee. Scholz stattet die Bundeswehr mit einem Sonderfonds von 100 Milliarden Euro aus, hat dabei aber die Munition vergessen. Die Bestände der Truppe sind aufgebraucht, Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist zuständig und wird kritisiert, aber eigentlich müsste der Chef auf den Tisch hauen. Die peinliche Angelegenheit ist typisch fürs erste Jahr der Ampel: Es wird oft Großes angekündigt, aber an der Umsetzung hapert es. Die Elektromobilität soll ausgebaut werden, es fehlt jedoch an Ladesäulen. 400.000 neue Wohnungen sollen entstehen, es wird mit Glück gut die Hälfte werden.
Scholz verweist lieber auf die Erfolge. „Beispielhaft will ich nennen: die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro, Erleichterungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die wenig verdienen, ein höheres Kindergeld, einen höheren Kinderzuschlag, das neue Wohngeld“, sagt er. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden; Scholz ist überzeugt, dass das gelingen kann. Seine Regierung habe dazu „Gesetze auf den Weg gebracht, die den Ausbau der erneuerbaren Energien, der Windkraft, der Solarenergie, der Stromnetze massiv voranbringen, und uns gleichzeitig um die Folgen von Russlands Krieg bei uns gekümmert, indem wir die Energieversorgungssicherheit gewährleistet haben mit neuen Flüssiggasterminals an norddeutschen Küsten, mit vollen Gasspeichern zum Beispiel“.
Olaf Scholz ist die stoische Ruhe angeboren
Das alles trägt Scholz mit der ihm eigenen stoischen Ruhe vor. Vieles perlt ab, scheint nicht zum „Scholzomat“ durchzudringen. Was bei seiner Vorgängerin Angela Merkel eine offenbar bewusst gewählte Schutzschicht war, ist bei ihm angeboren. Lange Redebeiträge wie die des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder von der CSU oder dessen baden-württembergischen Amtskollegen Winfried Kretschmann (Grüne) sind ihm fremd. „Nich’ lang schnacken, Kopp in’n Nacken“, der norddeutsche Trinkspruch beschreibt auch den Politikstil des 64-Jährigen. Manchmal bricht es aus ihm heraus, im Parlament zum Beispiel, wenn er sich über Oppositionsführer Friedrich Merz ärgert. Dessen Vorwurf, nicht die letzten 16 Jahre CDU-geführte Bundesregierung seien das Problem des Landes, sondern die letzten 16 Wochen unter Führung der AmpelKoalition, kontert Scholz ätzend mit den Worten: „Da kann ich nur sagen: Wer das glaubt, der glaubt auch an sprechende weiße Kaninchen. Willkommen bei Alice im Wunderland!“
Meist jedoch nimmt Scholz Kritik mit einem amüsierten Lächeln zur Kenntnis, in der Ampel-Regierung ist er damit das Gegenstück zu Robert Habeck. Der grüne Vizekanzler redet viel und gerne; zu Beginn der Wahlperiode schien es, als ob er dem Chef mit seiner Präsenz das Wasser abgraben könnte. Gar frühzeitige Neuwahlen waren im Bereich des Denkbaren.
Der Kanzler hat das Gebaren seines Stellvertreters im Blick. Medienleute in Berlin amüsieren sich schon darüber, dass der Ankündigung einer Habeck-Pressekonferenz oft eine Replik aus dem Kanzleramt folgt – und umgekehrt. Die Energiekrise ist ein Feld, auf dem sich beide austoben. Scholz nimmt für sich in Anspruch, das Problem der Gasknappheit schon kurz nach Amtsantritt erkannt und seine Leute entsprechend auf Touren gebracht zu haben „Bereits im Dezember habe ich die zuständigen Minister gefragt, was eigentlich ist, wenn wir Schwierigkeiten kriegen mit Lieferungen aus Russland.“ Er meint vor allem Minister Habeck.
Die großen Taten und die Zeitenwende überzeugen die Wähler bislang mittelprächtig; in den Umfragen haben sowohl Scholz wie die gesamte SPD im letzten Jahr Federn lassen müssen. Die Union liegt aktuell mit 27 bis 30 Prozent vorn, Grüne und SPD sind jeweils um etwa zehn Punkte schlechter. Die Liberalen kommen auf fünf bis sieben Prozent Zustimmung. Die nach der Wahl beginnende Kurve der Grünen verläuft insgesamt günstiger, doch Habeck hat den Nimbus des „Ersatzkanzlers“ eingebüßt. Laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Forsa versteht inzwischen ein Drittel aller Bundesbürger nicht mehr, was der Wirtschaftsminister mit seinen Erläuterungen zu den Problemen der Energieversorgung und zu den von der Regierung beschlossenen Maßnahmen zur Bewältigung der Probleme meint. Für den wortkargen Kanzler könnte das eine Bestätigung seines Stils sein; er wird später einmal – wie bei vielen anderen Dingen auch – womöglich sagen können, er habe es ja schon immer kommen sehen.
Seine Selbstwahrnehmung scheint ohnehin eine andere zu sein als die der Öffentlichkeit. Wieso er bei seinen Reden „immer so gefühllos“ sei, wurde Scholz in der ZDF-Sendung „logo!“ gefragt. Er finde, entgegnete Scholz der Kinderreporterin, dass er „sehr gefühlvoll spreche“. Sein Herz jedenfalls sei „immer dabei“.
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Ein ganz interessanter Artikel
auf t-online, über Kanzler Olaf Scholz und seine wohl kommenden internen Aufgaben, die er bitte, ganz schnell lösen sollte.
Muss er diese drei Minister rauswerfen?
https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100092402/ein-jahr-ampel-muss-scholz-drei-minister-rauswerfen-ein-schadensbericht.html
Die ersten zwei Damen, wären meines Erachtens schon angebracht auszutauschen und bitte als Verteidigungs-Minister auch jemanden (besser ein Mann) der auch mit einem höheren Rang bei der Bundeswehr gedient hat.
Zumindest ich würde das so machen, nachdem nun "drei Frauen" auf diesem Verteidigungs-Minister-Posten "Total-Ausfälle" waren.
Man stelle sich an der Stelle von Scholz einmal ganz kurz Armin Laschet vor – nein, man will es sich nicht wirklich vorstellen. Angesichts der Krisen, die diese "neue" Regierung zu bewältigen hat, kann man froh sein, einen besonnenen Kanzler an der Spitze zu haben. Ich bin sicher, es wird noch einiges auf den Weg gebracht werden, was die letzten 16 Jahre sträflich vernachlässigt wurde. Man merkt schon, wie schwer es Herrn Lange fällt, Scholz und seiner Regierung etwas Konkretes vorzuwerfen – außer vielleicht, dass der Kanzler auf internationaler Bühne die englische Sprache bevorzugt und dabei manchmal nicht perfekt ist. Nun, damit kann ich besser leben als mit den offensichtlichen Versäumnssen de letzten Jahre.
>>Man stelle sich an der Stelle von Scholz einmal ganz kurz Armin Laschet vor – nein, man will es sich nicht wirklich vorstellen. Angesichts der Krisen, die diese "neue" Regierung zu bewältigen hat, kann man froh sein, einen besonnenen Kanzler an der Spitze zu haben. <<
Aber, aber, Frau Reichenauer! Wie können Sie so etwas schreiben? Wo hier doch jede Menge besserer Kanzler mitschreiben, nur holt die niemand in Amt und Würden.
Ernsthaft: Natürlich ist nicht jede Entscheidung der Regierung immer die beste und richtige gewesen, aber das war auch bei allen Vorgängerregierungen so. Nur mussten die sich nicht auch noch mit einem Krieg und den wirtschaftlichen Folgen daraus beschäftigen. Insofern hat sich die Ampel keineswegs schlecht geschlagen mit ihren Entscheidungen. Die hätte auch eine Regierung Laschet nicht anders getroffen, denn auch in ihr wären Grüne und FDP die Koalitionspartner gewesen. Nur wäre das regieren noch schwieriger gewesen, weil ja auch noch die CSU dabei gewesen wäre. Und die hat schon zu Coronazeiten gezeigt, was sie von getroffenen Vereinbarungen hält.
"Die nach der Wahl beginnende Kurve der Grünen verläuft insgesamt günstiger, doch Habeck hat den Nimbus des „Ersatzkanzlers“ eingebüßt. Laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Forsa versteht inzwischen ein Drittel aller Bundesbürger nicht mehr, was der Wirtschaftsminister mit seinen Erläuterungen zu den Problemen der Energieversorgung und zu den von der Regierung beschlossenen Maßnahmen zur Bewältigung der Probleme meint."
Wenn es zwei Drittel verstehen, dann ist das doch mehr als zu erwarten ist. Die bemühte Analyse von Herrn Lange sagt mehr über ihn selbst aus als über das erste Jahr dieser Regierung.
Es ist doch schön lieber @Wolfgang L.
wenn man sich selber belügen kann und das im Ernst auch noch glaubt. Lesen Sie lieber mal in der heutigen Ausgabe der AZ, den Artikel von Stefan Lange, "Das politische Überraschungsei" ein ganz gut gemachter Beitrag/Artikel über das "Ei", gemeint ist da nämlich Kanzler Olaf Scholz und dabei kommt ihr viel gelobter Wirtschaftsminister Habeck gar nicht sooo gut weg lieber Wolfgang!