Findet die Ampel in Meseberg aus ihrem Dauerstreit? Als Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstagmittag federnden Schrittes vor dem brandenburgischen Barockschloss eintrifft, versucht er, Optimismus zu verbreiten. Seine Regenjacke zeigt, dass der heiße Sommer vorbei ist. Statt über die hitzigen Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen will der SPD-Politiker vor Beginn der zweitägigen Kabinettsklausur lieber über Erfolge reden.
So sagt er über den am Vortag erzielten Kompromiss zur Kindergrundsicherung: „Das ist ein Fortschritt, um den wir lange gerungen haben, aber am Ende mit einem, wie ich finde, sehr beeindruckenden und guten Ergebnis.“ Mit ihrer Einigung haben Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) auch den Weg für das Wachstumschancengesetz frei gemacht.
Es sieht rund 50 Steuererleichterungen für Unternehmen vor, die klimafreundlich investieren. Paus hatte es im Streit um die Kinderleistungen zunächst blockiert, will nun aber zustimmen. Für sein Einlenken kann Lindner wohl das bislang geplante Entlastungsvolumen von 6,5 Milliarden Euro sogar noch auf sieben Milliarden Euro erhöhen.
Gesetzesentwurf sieht steuerliche Anreize für den Wohnungsbau vor
Im aktuellen Entwurf des Gesetzes sind auch steuerliche Anreize vorgesehen, die den kriselnden Wohnungsbau ankurbeln sollen. Geplant ist eine auf sechs Jahre befristete, sogenannte degressive Abschreibung, die eine schnellere Refinanzierung von Wohnbauprojekten ermöglichen würde. Dem Staat würde dadurch rund eine halbe Milliarde Euro jährlich entgehen. Einen Beschluss dürfte es nach der Kabinettssitzung an diesem Mittwoch also zu vermelden geben. Doch Streitpunkte bleiben den Ministerinnen und Ministern genügend.
Ärger droht etwa in der Energiepolitik. Um besonders stromintensive Branchen zu entlasten, fordert Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) einen subventionierten Preis für Elektrizität. Doch der Kanzler und auch die FDP haben schwere Bedenken. Es könnte zu gefährlichen Wettbewerbsverzerrungen kommen, wenn etwa industrielle Großbäckereien den billigeren Strom bekommen, nicht aber kleinere regionale Betriebe. Zuletzt trommelten die beiden wichtigsten SPD-Landesverbände Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit Blick auf die heimische Industrie für die Subvention. Auch die Bundestagsfraktion ist dafür, sodass der Kanzler gezwungen sein könnte, den Weg für den Industriestrompreis freizumachen.
Mit der Axt durch den Vorschriften-Dschungel?
Im Grundsatz einig sind sich die drei Ampelpartner, dass es der Wirtschaft guttäte, dem wuchernden Vorschriften-Dschungel mit der ganz großen Axt zu Leibe zu rücken. Doch der Teufel liegt im Detail. Die FDP fordert zum Beispiel auch Bürokratieabbau beim neuen Lieferkettengesetz. Dessen Einführung war eine Herzensangelegenheit der SPD, begrüßt wird es auch von den Grünen.
Betriebe müssen nun nachweisen, dass auch ihre ausländischen Zulieferer Menschenrechte sowie Arbeits- und Umweltschutzstandards einhalten. Wirtschaftsverbände sprechen von einem „Bürokratiemonster“. Die Eckpunkte für ein Bürokratieentlastungsgestz, die der liberale Justizminister Marco Buschmann vorlegen will, könnten also Zündstoff enthalten. Zumal es dabei auch um die mögliche Rolle von Künstlicher Intelligenz bei der Verwaltungsdigitalisierung gehen soll – was unweigerlich brisante Fragen des Datenschutzes aufwirft.
Kaum eine Chance auf Umsetzung haben dürfte die Forderung aus der SPD, die steigenden Wohnkosten mit einer Mietpreisbremse abzumildern. Die FDP hat deutlich gemacht, was sie davon hält: gar nichts. Würden Vermieter nun noch weiter gegängelt, dann würden noch weniger Wohnungen gebaut, glauben die Liberalen. Und weil dazu nichts im Koalitionsvertrag steht, können die knapp zwei Tage im Gästehaus der Bundesregierung wohl mit anderen Debatten sinnvoller genutzt werden.
Ukraine will Raketen, der Kanzler mehr Harmonie im Kabinett
Die Ukraine etwa wünscht sich zur Abwehr der russischen Aggression dringend deutsche Taurus-Marschflugkörper. FDP und Grüne würden gerne liefern, doch der Kanzler zögert wie schon vor früheren Entscheidungen über Waffenhilfe. Um Bedenken zu zerstreuen, dass mit diesem Waffensystem Ziele in Russland angegriffen werden, könnten die Raketen technisch in ihrer Reichweite begrenzt werden.
Ob dieses Thema, das einigen Zündstoff birgt, in Meseberg überhaupt zur Sprache kommt, ist unklar. Schließlich soll ja gerade nicht der Eindruck entstehen, da treffe sich ein völlig zerstrittener Haufen, der keine gemeinsame Basis mehr hat. Scholz jedenfalls lobte das Bündnis gleich zum Auftakt über den grünen Klee: „Wir haben eine sehr erfolgreiche Leistungsbilanz im letzten und diesem Jahr.“ Nur, so fügte er an, „es wäre natürlich gut, wenn alle mit ihren Kommunikationsstrategien dazu beitragen“.