Wenn Deutschland seine Klimaziele für das Jahr 2030 nicht krachend verfehlen will, ist dafür eine scharfe Kehrtwende nötig. Die bisherigen Anstrengungen reichen nicht annähernd aus, um den zugesicherten Beitrag zur Dämpfung der Erderwärmung zu leisten. Diese düstere Bilanz hat kurz vor Beginn der Weltklimakonferenz in Ägypten der Expertenrat der Bundesregierung gezogen.
Vorsitzender Hans-Martin Henning berichtete, dass der Ausstoß klimaschädlicher Gase in Deutschland vom Jahr 2000 bis 2021 zwar temperaturbereinigt um rund 27 Prozent gesunken ist. Doch die Bundesrepublik hat sich verpflichtet, ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 um mindestens 65 Prozent zu reduzieren. So warnte die stellvertretende Ratsvorsitzende Brigitte Knopf: "Mit einem 'Weiter so' werden wir die Klimaziele definitiv nicht erreichen."
Umstieg auf Elektromobilität deutlich zu langsam
50 Prozent der erreichten Ausstoß-Minderung geht dem Bericht zufolge allein auf das Konto der Energiewirtschaft, die etwa den Einsatz von Kohle drastisch reduziert hat. Zudem habe es auch einige Entwicklungen hin zu einem sparsameren Einsatz von Energie gegeben. Doch die Erfolge würden vielfach durch stärkeren Verbrauch und höheren Konsum zunichtegemacht. Henning: "Effizienzgewinne werden durch das allgemeine Wirtschaftswachstum, größere Wohnfläche oder gestiegene Transportleistungen konterkariert." Der Bestand an Fahrzeugen etwa sei ständig gestiegen, auch wenn neuere Wagen sparsamer oder elektrisch betrieben seien, sei dann in der Energiebilanz "überhaupt nichts gewonnen".
Das unabhängige Gremium aus fünf Sachverständigen legte am Freitag in Berlin seinen ersten Bericht vor, laut Klimaschutzgesetz sollen künftig alle zwei Jahre solche Wasserstandsmeldungen folgen. Betrachtet wird dabei die Entwicklung in verschiedenen Sektoren wie Energiewirtschaft, Gebäude, Verkehr, Industrie oder Landwirtschaft. Quer durch alle Bereiche gebe es Defizite. Wolle etwa die Industrie ihre Ziele noch erreichen, müsse sie ihre Einspar-Anstrengungen verzehnfachen, im Verkehrssektor wären sogar vierzehnmal höhere jährliche Minderungen notwendig.
Weder der Ausbau von Solar- und Windkraft noch die Umrüstung von Öl- oder Gasheizungen auf Wärmepumpen komme schnell genug voran. Der Umstieg auf Elektromobilität vollziehe sich ebenfalls deutlich zu langsam. Bislang, so kritisieren die Autoren des Berichts, seien "praktisch keine Maßnahmen implementiert worden, die auf Verhaltensänderungen abzielen". Zwar habe es finanzielle Förderung für klimafreundliche Projekte gegeben und die habe auch gewirkt. Allerdings habe sie nicht dazu geführt, dass klimaschädliche Anlagen im gleichen Maße zurückgefahren würden.
Am kommenden Montag reist Bundeskanzler Olaf Scholz zur Weltklimakonferenz in den ägyptischen Badeort Sharm El Sheik. Dort wollen sich 197 Partnerstaaten auf einen konkreten Fahrplan zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens der Vereinten Nationen (UN) von 2015 einigen. Der Vertrag sieht vor, den weltweiten Temperaturanstieg im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf höchstens zwei Grad Celsius zu begrenzen – besser auf 1,5 Grad.
UN-Studie: Erderwärmung von 2,8 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts
Doch nach einer aktuellen UN-Studie steht der Erde ein Temperatur-Plus von 2,8 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts bevor – wenn alles so weiterläuft, wie bisher. In vielen Staaten haben die Folgen des Ukraine-Kriegs die Klimaschutzanstrengungen erschwert. Auch in Deutschland verzögert sich etwa der Ausstieg aus der Kohlenutzung. Klima- und Umweltschutzorganisation kritisierten die bisherige Bilanz der Bundesregierung scharf. Bei der Weltklimakonferenz werde Bundeskanzler (Olaf) Scholz "den anderen Ländern erklären müssen, warum Deutschland nicht entschiedener gegen die Klimakrise vorgeht", sagte Christiane Averbeck, die Vorsitzende der Klima-Allianz Deutschland.
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