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Reportage: Unterwegs auf dem Balkan: Söders Suche nach den Fachkräften

Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, besuchte bei seiner Reise nach Rumänien das Kloster Stavropoleos, wo er von der Nonne Roxana empfangen wurde.
Reportage

Unterwegs auf dem Balkan: Söders Suche nach den Fachkräften

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    Ein paar Passanten bleiben stehen und staunen über die Szene, die sich da zuträgt an diesem sonnig-kalten Tag im Zentrum von Bukarest. Ein Pulk Menschen zwängt sich durch die enge Drehtür einer Bierhalle. Das Caru' cu Bere ist eine Institution in der rumänischen Hauptstadt, eindrucksvolle Gewölbe, Holzschnitzereien an der Decke, die bunten Fenster erinnern an eine Kathedrale. Der "Bierpalast" steht ganz oben auf jedem Touristen-Programm. Der deutsche Botschafter will sie auch den Gästen, die er für wenige Stunden empfängt, zeigen.

    Voran schreitet Markus Söder, doch bis sich der letzte Teilnehmer seiner Delegation in das historische Gebäude mit dem deftigen Speiseangebot gequetscht hat, fädelt sich der bayerische Ministerpräsident schon wieder in Richtung Ausgang. Handy zücken, der Kellnerin zulächeln und weiter. Es muss schnell gehen auf dieser Reise. Eine halbe Stunde beim rumänischen Ministerpräsidenten, 45 Minuten beim Präsidenten, 10 Minuten in einem Kloster, Händeschütteln, in Kameras grüßen, Vereinbarungen unterzeichnen – danach wartet schon wieder der Flieger. Es ist so etwas wie politisches Speed-Dating, das Söder im Südosten Europas betreibt. Ein halber Tag Rumänien, ein halber Tag Albanien, früh los, spätabends zurück in München. Das Objekt der Begierde: Arbeitskräfte.

    Markus Söder mit dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis.
    Markus Söder mit dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Rumänen bilden die größte migrantische Gruppe in Bayern

    Eine Brücke wolle Bayern bauen, sagt Söder. Er ist gut drauf, die SPD in Berlin hat kurz vorher eine krachende Niederlage kassiert, das hebt die Laune bei der Union, der Ministerpräsident legt gern noch einmal nach. Die Ampel-Regierung habe Länder wie Albanien und Rumänien wenig im Blick, kritisiert er. Ganz stimmt das nicht. Gerade Rumänien hat sich seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine zu einem beliebten Reiseziel der internationalen Politik entwickelt. Steinmeier war da, Baerbock war da, von der Leyen, Jill Biden – Rumänien teilt sich eine Grenze mit der

    Bayern hat einen besonderen Draht zu dem Land: Rumänen sind die größte migrantische Gruppe im Freistaat, vor den Türken, vor den Kroaten. Die Menschen sind meist gut integriert, gesellschaftlich wie beruflich. Söder will dieses Band nutzen, um die wirtschaftlichen Beziehungen zu stärken. Dazu wird ein Programm wiederbelebt, das es schon seit Ende der 90er Jahre gibt, das aber unter der Vorgängerregierung von Präsident Klaus Johannis eingeschlafen war. Der Rechtsstaat war in dem Karpaten-Land Stück für Stück ausgehöhlt worden. Das stieß in der EU auf wenig Begeisterung. Seit 2015 hatte das Land zehn verschiedene Regierungen.

    Nun scheint der Zeitpunkt für einen politischen Neuanfang günstig, der Präsident hat massive Reformen versprochen. Deutschland hofft auf den Wandel. Ganz uneigennützig ist das nicht. In Bayern drängt wie im Rest Deutschlands ein Problem, bei dem Rumänien wie auch Albanien von Nutzen sein können: der Fachkräftemangel. "Wir haben die Möglichkeit, uns da gegenseitig zu unterstützen", sagt der bayerische Ministerpräsident. Neben ihm steht Ministerpräsident Nicolae Ciuca, dahinter die Flaggen Deutschlands, Rumäniens und der EU. Es ist viel von Respekt die Rede, von Freundschaft. Das Thema Arbeitskräfte erwähnt Ciuca nicht. 

    Die Wirtschaft im Freistaat sucht händeringend nach Arbeitskräften, das Problem geht längst über den Pflegebereich hinaus. Bayerns Ziel ist es, im Bereich "Künstliche Intelligenz" zur Nummer 1 in Deutschland aufzusteigen, schon jetzt haben Firmen wie Google ihren Sitz in München. Doch längst nicht alle Stellen können besetzt werden. Wichtige Bauprojekte kommen nicht voran, weil es an Handwerkern mangelt. Gasthäuser verkürzen ihre Öffnungszeiten, weil sie keine Servicekräfte und erst recht keine Köche mehr finden. Eine Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK) prognostiziert, dass im Freistaat bis zum Jahr 2035 1,3 Millionen Beschäftigte fehlen werden. 55 Prozent aller bayerischen Unternehmen sehen im Fachkräftemangel ein Geschäftsrisiko. Schon der Krieg in der Ukraine und die damit einhergehende Energiekrise hat den Verantwortlichen gezeigt, wie verletzlich der Wohlstand hierzulande ist, wie schnell das Versprechen, dass es den eigenen Kindern noch besser gehen soll, ins Wanken geraten kann. 

    Auch in Rumänien mangelt es an Fachkräften

    Der Haken an der Sache: Auch Rumänien selbst kennt dieses Problem, das mit der Gegenseitigkeit ist also so eine Sache. Laut einer Studie, die der deutschen Presseagentur vorliegt, herrscht unter anderem im rumänischen Gesundheitswesen akuter Personalmangel. Sichtbar wurde dies zuletzt vor allem während der Corona-Pandemie, als in den Krankenhäusern zahlreiche zusätzlich bereitgestellte Betten nicht belegt werden konnten, weil es die dazugehörigen Ärzte und Pfleger nicht gab. Aktuell fehlen wegen massiver Abwanderung etwa 50.000 Krankenpfleger, heißt es in der Untersuchung, die Rumäniens größte Krankenpflegerschule "Carol Davila" in Bukarest in Auftrag gab und Ende 2022 veröffentlichte. Für bestimmte Branchen, vor allem das Bauwesen, holt Rumänien inzwischen Gastarbeiter aus dem Fernen Osten, wie etwa aus Nepal. 

    Rumänien ist ein Staat, der den Umbruch von der sozialistischen Diktatur noch längst nicht gemeistert hat. Die Hauptstadt Bukarest ist ein Sinnbild für den Zustand des Landes: Neben den modernen Hochhauskomplexen mit spiegelnden Fassaden ziehen sich ganze Straßenzüge mit Häusern, die von der Armut erzählen, die die rumänische Gesellschaft zu überwinden versucht. Die Fassaden sind braun, Fenster bestehen nur noch aus spitzen Splittern, Dächer sind so löchrig wie die Strümpfe von Straßenkindern. Die Politik ist dringend darauf angewiesen, dass eine junge Generation sich engagiert. 

    Bayern unterstützt den Wunsch Rumäniens nach einem Schengen-Beitritt

    Söder weiß um den Spagat, auch wenn er öffentlich von einem Geben und Nehmen spricht. Deshalb weiß er auch, dass er den Rumänen etwas anbieten muss. Bayerns Wirtschaft habe auch Investitionen zu verteilen, daher "ist es kein einseitiger, sondern ein Kanal in beide Seiten, der da vorangeht. Der hilft dann beiden." Doch die eigentliche Währung ist eine andere: Die Unterstützung für den Schengen-Beitritt des Landes. Bislang wird dieser innerhalb der EU einzig von Österreich blockiert, Söder verspricht, sich im Nachbarland für die Wünsche aus Bukarest einzusetzen. Der nächste Termin wartet. 

    "Und jetzt geht's nach Albanien", sagt Söder und steigt zurück ins Flugzeug. Gut eine Stunde geht der Flug über die Gebirgslandschaft. Tirana, die Hauptstadt, schmiegt sich in eine bergige Kulisse. Mit Blaulicht heizt die Wagenkolonne vorbei an halb fertiggestellten Häusern, Bauernhöfen und Einkaufszentren. Bertram Brossardt, einflussreicher Chef der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), wartet schon. Er steht auf einem Platz, dessen Geschichte so skurril ist, dass man sie fast im Reich der politischen Märchen vermuten könnte. Doch Fakt ist: Franz-Josef Strauß, bayerischer Übervater, war im Jahr 1984 der erste westliche Politiker, der dem albanischen Diktator Enver Hoxha einen Besuch abstattete – und zwar nicht in offizieller Mission, sondern als Tourist. Auf der Fahrt mit seiner Familie in den Griechenlandurlaub machte er in dem Land halt, das damals so etwas wie das Nordkorea Europas war. Politischer Pragmatismus à la CSU. Die Albaner dankten es ihm, indem sie einen Platz nach ihm benannten: den Sheshi Franc Jozef Shtraus. Er liegt nicht ganz zentral, an Beton wurde nicht gespart, die Senioren der Stadt vertreiben sich hier gerne die Zeit mit Domino-Spielen. Drumherum reihen sich zweckmäßige Wohnbauten, die Wäsche flattert auf den Leinen an den Balkonen. 

    Markus Söder traf sich auf seiner Reise nach Albanien mit Erion Veliaj, Bürgermeister von Tirana auf dem Franz-Josef-Strauss-Platz.
    Markus Söder traf sich auf seiner Reise nach Albanien mit Erion Veliaj, Bürgermeister von Tirana auf dem Franz-Josef-Strauss-Platz. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Das Schild am Franz Josef Strauß-Platz hat schon bessere Tage erlebt, die Farbe blättert ab, Söder posiert gemeinsam mit dem jungen Bürgermeister darunter, verspricht ein neues zu schicken. Immer an seiner Seite: Brossardt. Just an diesem Morgen hat er den Kooperationsvertrag unterschrieben, spätestens am 1. Juli soll ein Verbindungsbüro eröffnen, das die bayerische mit der albanischen Wirtschaft verknüpft. Zwei Mitarbeiter sollen künftig hier sitzen und sowohl die berufliche Weiterbildung in Albanien unterstützen als auch Perspektiven für albanische Arbeitskräfte in Bayern ausloten. 41,3 Millionen Euro umfassen die Exporte aus dem Freistaat in das Balkan-Land, 54 Millionen sind es umgekehrt. "Da ist noch Luft nach oben", sagt Brossardt. Und: "Wir brauchen in

    Bayern will die Migration aus Albanien gezielt steuern

    Bayern will deshalb so etwas wie eine Art Überholspur bauen. "Gesteuerte Migration nützt uns, ungesteuerte Migration nützt uns nicht", sagt Söder. "Es ist doch inzwischen jedem bewusst, dass wir Arbeitsmigration brauchen." Ganz so selbstverständlich, wie dieser Satz klingen soll, ist er nicht. Noch 2013 hatte die CSU einen schärferen Kurs gegen Armutsmigranten aus der EU gefordert, der Slogan von Horst Seehofer lautete "Wer betrügt, der fliegt". Anlass war damals die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in den EU-Markt. 

    Eben jene Aufnahme in die Europäische Union ist das, was sich Albanien vom Besuch aus dem Westen erhofft. Edi Rama ist ein freundlicher Mann mit weißem Haarkranz, an den Füßen trägt er Turnschuhe. Der albanische Regierungschef schmeichelt seinem Gast, Söder sei eine der wichtigsten Persönlichkeiten in der deutschen Politik, immer interessiert an der Annäherung in Richtung Balkan, der Freistaat ein Bundesland, das stets nach dem Besseren strebe. Ein Vorbild.

    In Albanien wurde Markus Söder von Edi Rama, Premierminister der Republik Albanien, empfangen.
    In Albanien wurde Markus Söder von Edi Rama, Premierminister der Republik Albanien, empfangen. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Die Stimmung ist gut zwischen den Politikern. Im Land sieht es anders aus. Viele junge Menschen verlieren die Hoffnung, dass sich etwas ändert in ihrer Heimat. Seit dem Ende der kommunistischen Diktatur haben 1,6 Millionen Albanerinnen und Albaner ihr Glück in anderen Ländern gesucht – zum Vergleich: Das Land hat gerade einmal 2,8 Millionen Einwohner. 30 Prozent der Albaner leben also im Ausland. Die Corona-Pandemie konnte die große Volksbewegung ausbremsen, doch inzwischen steigen die Zahlen wieder. Besonders Großbritannien erlebt einen regelrechten Ansturm: In kleinen Booten kommen die Menschen über den Ärmelkanal. Dass da ein westlicher Politiker offensiv mit den heimischen Fachkräften flirtet, kommt besonders bei der albanischen Opposition nicht gut an. 

    Doch Innenpolitik ist für Rama an diesem Tag zweitrangig. Er hofft auf Investitionen aus dem reichen Bayern. Er sehe es langfristig als Mehrwert, wenn junge Menschen nach

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