Ausgerechnet an dem Tag, an dem Deutschland zum ersten Mal die Schwelle von 100.000 Neuinfektionen überschritten hat, kippten Verwaltungsrichter eine der weitreichendsten bayerischen Regeln im Kampf gegen das Corona-Virus: Ungeimpfte dürfen nicht mehr vom Einzelhandel ausgeschlossen werden, in Geschäften gilt die 2G-Regel ab sofort nicht mehr. Auch das von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossene 2G-plus-Konzept für die Gastronomie wurde im Freistaat nie umgesetzt. Was bleibt da also noch übrig vom Schutz vor der Virus-Ausbreitung?
In München gibt man sich betont gelassen. „Die Schutzmaßnahmen im Kampf gegen das aktuelle Infektionsgeschehen sind in Bayern nach wie vor sehr umfassend“, sagt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek unserer Redaktion. „Gleichwohl werden wir in der kommenden Kabinettssitzung beraten, wie wir das Gesamtsystem der Maßnahmen weiter aussteuern.“ Bislang sollte in der nächsten Sitzung allerdings vor allem über die nächsten Öffnungsschritte gesprochen werden, etwa bei der Zuschauerregel bei Sportveranstaltungen. Bis zur kommenden Woche will die Regierung beobachten, wie sich die steigenden Infektionszahlen auf die bayerischen Krankenhäuser und insbesondere auf die Intensivstationen auswirkt.
Corona in Bayern: So ist die Lage in den bayerischen Kliniken
„Aktuell steigt die Zahl der Covid-19-Patienten im Normalpflegebereich wieder leicht“, sagt Holetschek. „Bei der Auslastung der Intensivkapazitäten hingegen sehen wir, entgegen der früher von den Experten geäußerten Befürchtungen, erfreulicherweise derzeit noch keine steigende, sondern weiter eine leicht sinkende Tendenz bei der Auslastung mit Covid-19-Patienten.“ Am Donnerstag waren laut Intensivregister Divi 369 Covid-19-Fälle in intensivmedizinischer Behandlung, das ist nur etwas mehr als ein Drittel des Höchstwertes aus der Delta-Welle. Allerdings gibt es typischerweise einen Zeitverzug zwischen Infektionen und Intensivbehandlung.
In der bayerischen FDP hofft man, dass das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs die Regierung zum Umdenken bringt. „Der Blick in andere Länder zeigt: Ein Strategiewechsel im Umgang mit Corona ist möglich – und er ist nach zwei Jahren auch dringend notwendig“, sagt Martin Hagen, Chef der Bayern-FDP. „Die bisherige harte Linie der Staatsregierung hat ohnehin nie zu besseren Ergebnissen geführt, Bayern gehörte bundesweit meist zu den Sorgenkindern.“ Und weiter: „In der aktuellen Lage mit niedriger Hospitalisierungsinzidenz und der milderen Omikron-Variante sind Lockerungen auch bei steigenden Infektionszahlen möglich.“
Baden-Württemberg sieht Fehler in der bayerischen Verordnung
Andere Bundesländer nehmen sich Bayern nicht zum Corona-Vorbild. Eine Sprecherin des baden-württembergischen Staatsministeriums betonte, dass man trotz der Gerichtsentscheidung im Freistaat an 2G im Einzelhandel festhalten werde – dort kommen auch die Gerichte zu einem anderen Urteil. In Bayern sei nicht klar genug definiert worden, so die Sprecherin des Staatsministeriums, welche Ladengeschäfte unter die Zugangsbeschränkung nach Maßgabe der 2G-Regel fallen und welche dagegen als Ladengeschäfte zur Deckung des täglichen Bedarfs ausgenommen seien. Problem sei damit die konkrete Umsetzung der 2G-Regel. Das könne nicht ohne Weiteres auf die Corona-Verordnung in Baden-Württemberg übertragen werden.