Zwei Jahre nach Veröffentlichung der vielbeachteten Studie über sexuelle Gewalt im katholischen Erzbistum München und Freising sieht Gutachter Ulrich Wastl noch große Defizite im Umgang mit Betroffenen - und zwar nicht nur innerhalb der Kirche.
Die von der bayerischen Staatsregierung eingerichtete Anlaufstelle für Opfer von Missbrauch und sexualisierter Gewalt kritisierte der Rechtsanwalt von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) im Interview der "Augsburger Allgemeinen" scharf: "Um es deutlich zu sagen: Das ist ein Witz!" Er habe "den Eindruck, deren Einrichtung war mehr oder weniger dem Landtagswahlkampf geschuldet".
Studie geht von mindestens 497 Opfern aus
Die Kanzlei WSW war vom Münchner Erzbistum mit einem Gutachten über Missbrauchsfälle beauftragt worden. Die Studie, die im Januar 2022 weltweit Schlagzeilen machte, geht von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern aus - und von einem weit größeren Dunkelfeld.
Den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, der später Papst Benedikt XVI. wurde, wurde in dem Gutachten persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vorgeworfen - ebenso wie dem aktuellen Amtsinhaber, Kardinal Reinhard Marx.
Aufarbeitungsprojekte erforderten Rückgrat, betonte Wastl. "Wichtig wäre weiterhin eine gänzlich unabhängige und entsprechend finanziell ausgestattete Stelle, die Betroffene nicht nur umfassend berät, sondern auch deren Interessen vertritt", sagte er der "Augsburger Allgemeinen". "Es muss endlich ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen Betroffenen und Kirche hergestellt werden."
(dpa)