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Bayern: Am Limit: Unter den bayerischen Polizisten wächst der Unmut

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Am Limit: Unter den bayerischen Polizisten wächst der Unmut

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    Die extreme Belastung wird für Polizisten weitergehen – sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Unser Foto zeigt Beamte bei einer Demonstration am Rande des G-7-Gipfels.
    Die extreme Belastung wird für Polizisten weitergehen – sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Unser Foto zeigt Beamte bei einer Demonstration am Rande des G-7-Gipfels. Foto: Boris Roesler, dpa (Archiv)

    Die Beamten konnten die gute Nachricht fast nicht glauben. Da waren die Frauen und Männer der fünften Bereitschaftspolizeiabteilung in Königsbrunn bei Augsburg in diesem Jahr nahezu im Dauereinsatz. Erst in den oberbayerischen Alpen, beim G-7-Gipfel auf Schloss Elmau. Kurz danach an der Grenze zu Österreich, wo wegen des Flüchtlingsansturms seit Monaten wieder kontrolliert wird. Ein Leben in ständiger Einsatzbereitschaft. Polizeibeamter Johannes Daxbacher fasst das so zusammen: „Viele Kollegen kamen aus ihren Einsatzstiefeln fast nicht mehr raus.“

    Und dann hieß es auf einmal, dass die Weihnachtsfeiertage für die etwa 90 Bereitschaftspolizisten, die zur sogenannten Einsatzhundertschaft in Königsbrunn gehören, weitgehend frei sein sollten. Ein ganz neues Gefühl.

    An der Landesgrenze stehen nun vorübergehend andere Einheiten, die Christkindlesmärkte sind vorbei, und der FC Augsburg, dessen Spiele ebenfalls in schöner Regelmäßigkeit die Beamten beschäftigen, ist in der Winterpause. „Es tat den Beamten gut, Weihnachten mit der Familie feiern zu können“ , sagt Johannes Daxbacher. „Bei aller Einsatzbereitschaft haben sie diese Erholung jetzt auch gebraucht.“

    Bayerische Polizisten stehen unter enormer Belastung

    Besonders lange ist diese Pause ohnehin nicht. Jetzt bei der Vierschanzentournee sind die Beamten schon wieder gefragt. Und im Januar stehen auch wieder Einsätze an den Grenzen und als Schleierfahnder an. Ein Ende der stressigen Zeit ist vorerst nicht absehbar – obwohl momentan so viele Polizisten wie noch nie ausgebildet werden.

    Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) räumt diese Situation auch offen ein. In einem Interview vor Weihnachten sagte er: „Wir haben eine extreme Belastung in dem zu Ende gehenden Jahr, und das wird sich im nächsten Jahr fortsetzen.“ Es gebe viele Polizisten, die Überstunden machen müssen, „aber das ist angesichts der jetzigen Gefährdungssituation leider unvermeidbar“.

    Besonders hart trifft es derzeit die Bundespolizei und die Präsidien in den Grenzregionen zu Österreich. Die Polizeigewerkschaften sprechen von einem riesigen Berg an Überstunden, der derzeit angehäuft werde. Jörg Radek, Vize-Chef der GdP, hat für alle Kollegen in Bund und Ländern eine Zahl von „mindestens zehn Millionen“ errechnet. Die Mehrarbeit durch die Flüchtlingskrise und die Wiedereinführung der Grenzkontrollen – das alles mache den ohnehin schon knapp besetzten Behörden schwer zu schaffen, sagt Herrmann.

    Personalnot auch im Alltag spürbar

    Die Arbeitsbelastung ist längst nicht mehr nur ein Thema an der Grenze. Die Personalnot setzt sich fort – ähnlich einer Welle, die sich ausbreitet. Auch in der Großstadt Augsburg mit ihren gut 280.000 Einwohnern bekommen die Polizeibeamten das zu spüren. Ein Einsatz, der sich im Herbst in der Innenstadt abspielte, zeigt dies beispielhaft. In der Maximilianstraße, der beliebten Ausgehmeile, griffen mehrere Betrunkene nachts Polizisten an. Darunter waren auch Nachtschwärmer, die zufällig vorbeikamen und denen der Anblick der Polizei wohl einfach nicht passte.

    „Die Kollegen haben das Gefühl, dass die Aggression im Nachtleben wieder zunimmt“, sagt Martin Oberman, der Bezirkschef der Deutschen Polizeigewerkschaft in Nordschwaben. Er hat auch einen Grund dafür ausgemacht: Weil die Polizei seit Monaten überlastet sei, seien weniger Beamte in der Maximilianstraße präsent. In den vergangenen Jahren war es – auch durch starke Polizeipräsenz – gelungen, die zunehmende Gewalt durch Betrunkene im Nachtleben der Stadt deutlich zu reduzieren. Ein Erfolg, der nun aus Sicht der Gewerkschaften in Gefahr ist.

    In normalen Zeiten bekommen die Augsburger Beamten oft Unterstützung durch die Bereitschaftspolizei – etwa bei nächtlichen Einsätzen, beim Plärrer-Volksfest, bei Fußball- und Eishockeyspielen. Doch diese Hilfe fällt derzeit deutlich geringer aus, weil die Bereitschaftspolizisten mit der Flüchtlingskrise beschäftigt sind. Es bleibt mehr Arbeit an den Beamten vor Ort hängen. Dabei haben auch die schon genug zu tun. Es gibt nahezu keine Dienststelle, sei es bei den Inspektionen der Schutzpolizei oder bei der Kripo, die voll besetzt ist. Überall klaffen Löcher im Personal.

    Die Gewerkschafter schlagen immer schärfere Töne an. „Die Bundespolizei ist gegenwärtig nicht in der Lage, den ihr obliegenden Auftrag der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung an der deutsch-österreichischen Grenze in der gesetzlich gebotenen Weise wahrzunehmen“, warnte GdP-Vize Radek kürzlich in einem Brief an Kanzlerin Angela Merkel. In hunderttausenden Fällen, so glaubt er, reisten Flüchtlinge unkontrolliert nach Deutschland ein. Aus Sicht der Gewerkschaften ist das ein Sicherheitsrisiko – nicht alleine wegen möglicher Terroristen, die ins Land kommen könnten. Grundsätzlich macht es die Ermittlungsarbeit schwerer, wenn viele Menschen nirgends gemeldet sind, sie also offiziell gar nicht existieren und für die Behörden deshalb nicht erreichbar sind.

    Deshalb hat Innenminister Herrmann nun angeboten, die Bundespolizei zu entlasten und die Grenzen mit bayerischen Polizeikräften zu sichern. Wie dies mit Blick auf die Überlastung auch dieser Beamter personell machbar sein soll, sagte er nicht. Das Bundesinnenministerium hat den Vorschlag mit Hinweis auf die alleinige Zuständigkeit des Bundes an den Grenzen ohnehin abgelehnt. Zu Recht, wie Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, gestern betont. Er sagt aber auch: „Ich kann den bayerischen Innenminister verstehen, wenn er hier kritisiert, dass der Bund seinen Aufgaben nicht nachkommt.“ Der Bund verpflichte die Bundespolizei seit Monaten dazu, mit tausenden von Beamten polizeifremde Aufgaben wahrzunehmen – er meint damit die Flüchtlingshilfe – und ihre eigentliche Arbeit zu vernachlässigen, so Wendt gegenüber der Passauer Neuen Presse.

    Massenhaft Überstunden: Aber Augsburger sind vergleichsweise gut dran

    In Augsburg klingt das, was die Gewerkschafter seit Monaten sagen, deutlich zurückhaltender. Sie wissen genau, dass sie – trotz aller Belastungen – noch ganz gut dran sind im Vergleich zu anderen Regionen. „Die Sicherheit ist gewährleistet, weil die Kollegen sehr engagiert sind“, sagt Martin Oberman. Doch ein Dauerzustand dürfe die derzeitige Situation nicht werden. „Die Beamten häufen massenhaft Überstunden an“, sagt Karlheinz Klose von der Gewerkschaft der Polizei. „Wenn man mit den Kollegen spricht, hört man Unmut.“ Es fallen dann Sätze wie: „Wir haben nur noch Dienst“ oder „Wann gibt es eigentlich mal wieder ein freies Wochenende?“

    Die Frage ist berechtigt. Eine schnelle Entlastung ist nicht zu erwarten. Über 30000 Beamte arbeiten bei der bayerischen Polizei. Nach einem Sparkurs in der Ära Stoiber wurde deren Zahl in den letzten Jahren zwar um mehr als 1000 erhöht. Dennoch räumte Landespolizeipräsident Wilhelm Schmidbauer schon im Sommer 2014 ein, dass das Personal knapp ist. Vor Politikern im Landtag sagte er: „Wir haben zu wenige uniformierte Fußstreifen. Wir haben zu wenig Polizeipräsenz.“ Das war ein Jahr vor dem Großeinsatz rund um den G-7-Gipfel in Elmau. Von einer möglichen Flüchtlingskrise und deren Auswirkungen sprach damals noch keiner.

    Wo sind dann jene Beamten, die neu eingestellt wurden? Schmidbauer begründete die Personalnot so: „Die Polizei hatte noch nie so viele Beamte, aber auch noch nie so viel Arbeit wie heute.“ So sieht es auch Hans Wengenmeir, der bayerische Landeschef des Bundes deutscher Kriminalbeamten. Wengenmeir kennt die Arbeit bei der Kripo genau, er hat jahrelang Betrüger gejagt. Doch die Zeiten haben sich rasant geändert. Heute spiele sich ein großer Teil der Kriminalität im Internet ab, sagt er. Dafür brauche es viele Spezialisten und zusätzliche Ermittler. Vielerorts werden neue „Cyber“-Kommissariate gebildet. Dazu kommen neue Dienststellen und Abwehrzentren zur Terror-Bekämpfung. Außerdem bringt der Flüchtlingsstrom auch für Polizisten, die weit entfernt von der Grenze arbeiten, zusätzliche Aufgaben. Etwa bei der Vermisstensuche.

    Es sind Geschichten wie die von Ali, 13, aus Afghanistan, mit denen sich Kripobeamte befassen. Der Junge wurde in Augsburg von Bundespolizisten aufgegriffen. Das Kind war allein unterwegs. Es kam in eine Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Nach nur zwei Tagen war Ali wieder verschwunden. Er ist einer von gut 100 jugendlichen Flüchtlingen, die in diesem Jahr bei der Augsburger Polizei als vermisst gemeldet worden sind. Viele reisen auf eigene Faust weiter zu Verwandten oder Bekannten. Die Fälle werden bei der Kripo bearbeitet. Die Ermittler versuchen, zumindest von jedem jungen Flüchtling, der als verschollen gilt, einen genetischen Fingerabdruck zu bekommen – zum Beispiel von Kleidung, die er in der Unterkunft zurücklässt. Damit kann man Jugendliche identifizieren, falls sie irgendwo wieder auftauchen.

    Schnelle Lösung ist nicht in Sicht

    Ideen für eine schnelle Lösung haben auch die Gewerkschaften nicht. Sie begrüßen es, dass nach den Anschlägen von Paris nun noch einmal 300 neue Stellen bei den Sicherheitsbehörden in Bayern geschaffen werden sollen. Außerdem sollen rund 65 Millionen Euro in die Ausstattung der Polizei investiert werden. Doch es dauert eben, bis ein Beamter ausgebildet ist und im täglichen Dienst eingesetzt werden kann. Zudem braucht man auch Leute, die den Nachwuchs ausbilden – die dann aber wieder im Tagesgeschäft fehlen.

    Die Gewerkschafter wünschen sich, dass rasch zusätzliche Verwaltungsmitarbeiter eingestellt werden, um die Beamten zumindest von der Bürokratie zu entlasten. Eine Entlastung wäre es aus ihrer Sicht auch, wenn sich die Polizisten nicht mehr um Aufgaben kümmern müssten, für die eigentlich keine Beamten notwendig sind – etwa um Schwertransporte oder um die Zwangsentstempelung von Autokennzeichen. Manche Aufgaben könnten die Städte und die Landkreise genauso gut übernehmen, sagt Karlheinz Klose. Große Hoffnungen macht er sich nicht. Die Kommunen, meint er, seien wegen der vielen Asylbewerber ja derzeit selbst überlastet.

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