Traktoren sind in diesen Tagen schon ein nicht mehr ganz so ungewohnter Anblick für manche Städter geworden, selbst im Herzen Berlins. An diesem Montag soll eine extra lange Kolonne in die Hauptstadt rollen - zum Höhepunkt einer Welle bundesweiter Proteste gegen das Aus von Diesel-Vergünstigungen für die Landwirtschaft. Nach einer ersten großen Kundgebung im Dezember kommen die Trecker wieder ans Brandenburger Tor. Bauernverbände und der Speditionsverband BGL erwarten Tausende Menschen und Fahrzeuge zu einer Großdemonstration. Direkt zur Demo haben auch die Fraktionschefs der Ampel-Koalition Bauernvertreter zum Gespräch geladen. Kommt Bewegung in den Konflikt?
Worum dreht sich der Streit?
Mit Trecker-Korsos machten Landwirte in den vergangenen Tagen quer durch die Republik Front gegen schon abgeschwächte Einsparpläne der Bundesregierung für den Haushalt 2024. Konkret soll die seit mehr als 70 Jahren bestehende Agrardiesel-Begünstigung wegfallen. Noch können sich Betriebe die Energiesteuer teilweise zurückerstatten lassen - mit einer Vergütung von 21,48 Cent pro Liter. Ursprünglich sollte die Hilfe sofort ganz wegfallen. Nun soll sie über drei Jahre auslaufen. Eine zunächst geplante Streichung auch der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirtschaftsfahrzeuge hat die Regierung ganz fallen gelassen.
Was fordern die Bauern?
Der Bauernverband hält die Korrekturen für unzureichend und fordert eine Rücknahme der Mehrbelastungen. "Ein fauler Kompromiss, wie er derzeit auf dem Tisch liegt, kann keine Lösung sein - denn der wird keinen Traktor von der Straße holen", hatte Bauernpräsident Joachim Rukwied deutlich gemacht. Am Wochenende legte er mit Blick auf das Gespräch mit der Ampel-Koalition nach: "Wir setzen darauf, dass die Fraktionsvorsitzenden am Montag zum Agrardiesel eine Lösung vorlegen." Man gehe davon aus, "ernsthafte Vorschläge" zu erhalten. Und: "Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Beim Gespräch am Montag kann es zunächst nur um den Agrardiesel gehen."
Wie ist die Position der Regierung?
Kanzler Olaf Scholz (SPD) und mehrere andere Ampel-Politiker haben angesichts des Proteststurms schon Verständnis und Dialogbereitschaft signalisiert. Konkrete weitere Zugeständnisse beim Agrardiesel waren vorerst aber nicht in Sicht. Agrarminister Cem Özdemir (Grüne), der sich schon geballtem Unmut von Bauern stellte, dringt darauf, der Branche gerade jetzt neue Chancen und Planungssicherheit zu eröffnen - etwa mit einer dauerhaft gesicherten Finanzierung für den Umbau der Tierhaltung hin zu besseren Bedingungen über eine Tierwohlabgabe. Finanzminister Christian Lindner (FDP), der am Montag bei der Demo reden will, brachte weniger Regulierung und Bürokratie ins Spiel.
Was bedeutet der Agrardiesel-Streit finanziell?
Das Ende der Vergünstigungen beim Agrardiesel ist zu einem Symbol geworden - wobei es konkret im Schnitt etwa 3000 Euro Mehrkosten pro Jahr und Betrieb bedeutete, wie die Bundesregierung erläutert. Der Bauernverband warnte in einer Stellungnahme für eine Anhörung im Finanzausschuss des Bundestags am Montag, besonders die Hofnachfolge werde zunehmend gefährdet, da sich die Planungssicherheit im Hinblick auf die Einkommenssituation weiter deutlich verschlechtere.
Wie stehen die Landwirte gerade geschäftlich da?
Die Pläne treffen die Branche, für die Schwankungen nicht nur wegen der Abhängigkeit vom Wetter zum Geschäft gehören, in einer insgesamt stabileren Phase. Im Ende Juni abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022/23 stieg der durchschnittliche Gewinn der Betriebe auf das Rekordniveau von 115 400 Euro - ein Plus von 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Davon sind auch noch Investitionen zu bezahlen. Im Jahr davor hatten sich die Ergebnisse von einer längeren Durststrecke erholt. Bei den Geschäftsaussichten zeigte sich der Bauernverband indes schon vor dem Agrardiesel-Ärger pessimistisch. Was Höfe für ihre Produkte erzielen können, wird auch längst über schwankende Weltmarktpreise bestimmt.
Welche Subventionen gibt es für Landwirte?
Auch um Risiken abzufedern, gehören europäische und nationale Subventionen zur Kalkulation der Betriebe. Zuschüsse und Zahlungen haben im Schnitt einen Anteil von 45 Prozent am Einkommen, wie es im Agrarpolitischen Bericht 2023 der Bundesregierung nach Daten für 2021/22 heißt - bei den großen Betrieben in den ostdeutschen Ländern fast 50 Prozent. Der Großteil davon entfällt auf Direktzahlungen aus der EU-Agrarfinanzierung, die auch an Umweltauflagen gekoppelt sind. Dabei sollen die Milliarden aus Brüssel die Nahrungsversorgung und den Erhalt der Landschaften und ländlichen Räume insgesamt sichern.
Geht es nur um den Agrardiesel?
Die Hiobsbotschaft aus Berlin habe das Fass zum Überlaufen gebracht, heißt es bei Bauernvertretern. Denn auf vielen Höfen, die sich nach schwierigen Zeiten zuletzt stabilisieren konnten, hat sich seit Jahren einiger Frust aufgestaut. Schon Ende 2019 richteten sich breite Traktoren-Proteste gegen neue Umweltvorgaben und Düngeregeln - bei gleichzeitig vielen Billigpreisen im Supermarkt.
Bauern forderten mehr Mitsprache und Wertschätzung für ihre Arbeit. Der Marktdruck der großen Supermarktketten ist generell hoch, auch wenn Bauern zuletzt von höheren Preisen profitieren konnten. Dazu kommen Anforderungen von Politik und Verbrauchern, nachhaltiger zu produzieren.
Wie geht es beim Agrardiesel weiter?
Die Pläne sind nun im parlamentarischen Verfahren. Dabei geht es um ein Gesetz, das Kürzungen im Etat 2024 umsetzen soll. Ende Januar soll der Bundestag über den Haushalt und auch über das Gesetz zum Agrardiesel abstimmen. Änderungen sind also prinzipiell noch möglich. Der Bundesrat könnte sich am 2. Februar damit befassen. Dabei ist das Haushaltsfinanzierungsgesetz nicht zustimmungsbedürftig, die Länder könnten es aber in den gemeinsamen Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag schicken. Mehrere Ministerpräsidenten auch der SPD hatten den Bund aufgefordert, die Agrardiesel-Regelung nicht zu streichen. (dpa)