Deutschland schlingert in eine sozialpolitische Notlage, deren Dimension nicht verstanden wird. Nach Jahren des Booms endet die Betongeld-Ära auf dem Bau. Gelang es schon in der Hochphase nicht, genügend bezahlbare Wohnungen fertigzustellen, droht sich der Mangel nun deutlich zu verschlimmern. Denn hunderttausende Flüchtlinge aus der Ukraine und dem Nahen Osten brauchen eine Wohnung. Und eigentlich will die Regierung zusätzlich hunderttausende Arbeitskräfte in das Land holen, um den Personalmangel zu lindern.
Es müssten also viel mehr Wohnungen gebaut werden, doch in Wirklichkeit sind es weniger. Die Zahlen sind alarmierend. Statt der angestrebten 400.000 neuen Wohnungen werden in diesem Jahr wahrscheinlich nur 280.000 geschafft. Im nächsten Jahr rechnet das Baugewerbe mit einem weiteren Rückgang auf 245.000. Der Auftragseingang bei den Baufirmen für neue Wohnungen und Häuser liegt um 12,6 Prozent unter Vorjahr. Bei den Bauunternehmen sind beinahe 200.000 Stellen unbesetzt.
Wegen Energiekrise und Kreditzinsen werden viele Bauprojekte abgebrochen
Entgegen der ökonomischen Lehre wird das Bauen nicht billiger. Der Energieschock sorgt für weiter steigende Baupreise bei Stahl, Zement und Ziegeln, während gleichzeitig die Zinsen für Kredite steigen. Wegen dieser giftigen Gemengelage werden geplante Neubauprojekte reihenweise gestrichen.
In Bayern beispielsweise streichen die Wohnungsbauunternehmen 2000 geplante Wohnungen. Das ist jede fünfte Wohnung, die die im Verband der Wohnungswirtschaft organisierten Firmen 2023 im Freistaat errichten wollten. Für Mieter ist das eine schlechte Nachricht. Schrumpft das Angebot bei steigender Nachfrage, klettern die Mieten oder bleiben auf ihrem hohen Niveau. An dieser Stelle bleiben die ökonomischen Gesetze in Kraft.
Die Bundesregierung hat sich lange geweigert, die raue Realität anzuerkennen. Bauministerin Klara Geywitz räumte erst im Herbst ein, dass sie ihre Zielmarke reißen wird. Erreicht hat die SPD-Politikerin bislang, dass neue Wohnungen schneller bei der Steuer abgeschrieben werden können. Bei der Modernisierung des Baurechts und der Beschleunigung der Bauverwaltung ist die Vertraute von Kanzler Olaf Scholz (SPD) nicht vorangekommen. Die Bauordnungen sind Ländersache und entgegen aller Schwüre zur Vereinheitlichung kocht jeder Landesfürst weiter sein eigenes Süppchen. Die Bauämter im Lande bestehen weiter auf Papier, das ihnen in Aktenmetern auf die Schreibtische gelegt wird.
Die Bauministerin musste auch machtlos zusehen, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Neubauförderung über Nacht stoppten. Ein eilig aufgelegtes Nachfolgeprogramm wurde kurz darauf ebenfalls gestoppt, weil die Mittel ausgeschöpft waren.
Der Verlust an Sozialwohnungen in Deutschland geht weiter
Trotz aller Versprechen und mehr Geld für die Länder verliert Deutschland weiter Sozialwohnungen. Gerade diese würden aber für Familien und Flüchtlinge dringend gebraucht. Dass Sozialwohnungen verloren gehen, liegt daran, dass sie nach 20 bis 30 Jahren aus der Preisbindung fallen und normal vermietet werden dürfen. Der Bau neuer Sozialwohnungen kann den Wegfall nicht kompensieren. Unter dem Strich büßte Deutschland im Jahr 2021 knapp über 27.000 Sozialwohnungen ein. Die Bauministerin kann an dieser Stelle aber wenig mehr machen, als den Ländern Geld vor die Tür zu stellen, denn diese sind laut Verfassung dafür zuständig.
Um die Misere am Bau aufzulösen, hat die Opposition eigene Vorschläge erarbeitet, weil die Ampel aus ihrer Sicht versagt. Der CDU-Wirtschaftsflügel hat sie in einem Papier zusammengefügt, das unserer Redaktion vorliegt. Darin fordert er zum Beispiel zinsgünstige staatliche Darlehen für Haushalte mit niedrigem Einkommen, um sich eine Wohnung oder ein Häuschen kaufen zu können. Außerdem sollten hohe Freibeträge von 250.000 Euro pro Erwachsenem und 100.000 Euro pro Kind bei der Grunderwerbsteuer eingeführt werden. „Druck käme auch aus dem Kessel, wenn mehr Mieter den Sprung in die eigene Immobilie schaffen würden“, sagte der Chef des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger, unserer Redaktion.
Er sprach sich dafür aus, die Standards für die Sanierung von Altbauten zu überdenken, weil diese das Bauen teuer machten. „Auch Fragen des Klimaschutzes müssen verstärkt angegangen werden. Es muss gelten: lieber einfachere energetische Sanierung als gar keine“, meinte Steiger.