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Baden-Württemberg: Wahl in Baden-Württemberg: Was Kretschmann hat und die anderen nicht

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Wahl in Baden-Württemberg: Was Kretschmann hat und die anderen nicht

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    In Fragen des beliebtesten Politikers ist der Vorsprung von Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann gigantisch. Trotzdem könnte er abgewählt werden.
    In Fragen des beliebtesten Politikers ist der Vorsprung von Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann gigantisch. Trotzdem könnte er abgewählt werden. Foto: Felix Kästle/Archiv (dpa)

    Fast in Zeitlupe nimmt er die Brille ab und reibt sich die Augen. Die Politik der Kanzlerin ist gerade gar nicht das Thema des Gesprächs. Und doch sagt der Mann nach ein paar Sekunden Pause ungefragt: „Was Angela Merkel zur Flüchtlingsfrage sagt, kann ich nur eins zu eins unterschreiben.“ Ein Lob für die Kanzlerin – ganz ohne Wenn und ganz ohne Aber. Das gibt es nicht so oft in diesen Tagen. Aber es ist halt Wahlkampf. Und da muss man zusammenhalten. Die üblichen Plattitüden? Von wegen! Denn es ist nicht der CDU-Kandidat, der Merkel den Rücken stärkt. Es ist Winfried Kretschmann. Der beliebteste

    Mehr als 70 Prozent der Wähler halten den 67-Jährigen für den besten Regierungschef, den das Ländle am 13. März kriegen kann. Die Leute lieben diesen unaufgeregten Herrn. Das heißt aber noch lange nicht, dass er im Amt bleibt. Denn Kretschmann hat ein Problem. In Baden-Württemberg, das jahrzehntelang lang tiefschwarz regiert wurde, wählt man normalerweise nicht grün. Andererseits: Was ist schon normal in diesem Wahlkampf?

    CDU-Kandidat Guido Wolf kennen nur wenige

    Ein Hotel in Stuttgart. Gespräch mit Journalisten. Landtagswahl im Jahr 2016, das heißt: Alles ist möglich – auch das Gegenteil. Für die klassischen Koalitionen gibt es wahrscheinlich keine Mehrheiten. Das öffnet fabrikhallengroße Räume für Spekulationen. Wer mit wem? Das ist die Frage, die in schwäbischen Hinterzimmern diskutiert wird. Die Grünen setzen voll auf ihren populären Ministerpräsidenten und haben nach einer unglaublichen Aufholjagd tatsächlich die Chance, stärkste Partei zu werden. Das wäre eine Sensation. Dumm nur, dass Superminister Nils Schmid die SPD zur einer Art Splitterpartei gemacht hat. Das eröffnet der abgewählten CDU die Chance auf ein Comeback. Deren Spitzenkandidat Guido Wolf war bis vor ein paar Jahren Landrat in Tuttlingen. Jetzt will er das ganze Land regieren. Die Sache hat nur einen Haken: Entweder kennen ihn die Leute gar nicht oder sie mögen ihn nicht besonders.

    Manche sagen, das markanteste am Herausforderer sei die schwarze Brille. Und die Zeiten, in denen es den Wählern völlig egal war, wer für die CDU kandidiert, sind eben auch im konservativen Südwesten vorbei. Winfried Kretschmann ist unter diesen Umständen das Schlimmste, was Guido Wolf passieren konnte.

    Als er vor fünf Jahren der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands wird, stellt die geprügelte CDU noch düstere Prophezeiungen auf. „Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt, wenn ihr so einen wählt“, lautet die mehr oder weniger unterschwellige Botschaft aus dem Lager des skandalumwitterten Vorgängers Stefan Mappus. Für die CDU steht fest, dass die Grünen das Land innerhalb kürzester Zeit an die Wand fahren werden. Auch in den Chefetagen großer Konzerne hält sich die Begeisterung über den Machtwechsel in Grenzen. Doch dann tut Kretschmann etwas, womit all die Skeptiker nicht gerechnet haben. Er regiert total pragmatisch und fast frei von Ideologien. Die Wirtschaft läuft mehr als nur gut, das Land schwimmt im Geld. Wie um alles in der Welt soll man diesem Mann an den Karren fahren? Diese Frage hat sich Wolf oft gestellt. Er versucht es über die Bildungspolitik. Er kritisiert, dass Baden-Württemberg trotz riesiger Steuereinnahmen – anders als Bayern – neue Schulden macht. Das stimmt. Nutzt aber alles nichts. Sein Versuch, sich wenigstens volksnah zu zeigen, indem er für die Fotografen ein Pferd tätschelt, wirkt unfreiwillig komisch. Es wird einsam um Wolf. Also setzt er auf das Aufregerthema des Jahres: die Flüchtlinge. Und damit fangen die Probleme für den Wahlkämpfer erst richtig an.

    Jetzt wird der 54-Jährige endgültig zum Kandidaten des Ungefähren. Seine schier unlösbare Aufgabe: Wie kritisiere ich die Kanzlerin, ohne die Kanzlerin zu kritisieren? Denn eines ist für Wolf völlig klar: Schuld an seinem dramatischen Sinkflug in den Umfragen sind allein Angela Merkel und ihre Politik der offenen Grenzen. Natürlich spricht er das nicht so offen aus. Aber wer ihn auf den historischen Absturz der CDU in Baden-Württemberg anspricht, bekommt Antworten wie diese: „Das hat – mit Verlaub – nichts mit meiner Person zu tun.“ Noch Fragen?

    Kretschmann ist der "Kanzlerinnen-Versteher"

    Und dann ist da ja auch noch dieser verflixte Kretschmann, der in einem Interview erzählt, dass er jeden Tag für die Kanzlerin betet. Es ist zum Verzweifeln für Wolf, dem die Felle davon schwimmen. Fortan lässt er kaum eine Gelegenheit aus, seinen grünen Konkurrenten süffisant als „Kanzlerinnen-Versteher“ zu bezeichnen. Er selbst versteht die Chefin in Berlin schon lange nicht mehr. Wolf sieht sich als Opfer von Merkels Flüchtlingspolitik. Es macht ihn rasend, dass Kretschmann die Kanzlerin auch noch dauernd ungefragt lobt. Er hält das für Kalkül. Dabei darf man dem Grünen durchaus abnehmen, dass er tatsächlich hinter dem Kurs der Bundesregierung steht. Und wenn er damit seinem Gegner das Leben schwer macht? „Dann ist das eben ein Kollateralnutzen“, sagt Kretschmann und nimmt einen Schluck Kaffee.

    Wolf kocht, wenn er so etwas hört. Sogar von „Stalking“ ist in CDU-Kreisen die Rede. Angeblich hat er von Merkel gefordert, sie müsse sich öffentlich von Kretschmann distanzieren. Die Kanzlerin soll dem Grünen verbieten, sie zu unterstützen? Absurde Idee. Zeigt aber, wie groß die Nervosität in der CDU ist. Bei Kretschmann kann man sich kaum vorstellen, dass er jemals nervös wird. Der Mann strahlt eine bemerkenswerte Ruhe aus. Für viele Schwaben ist der uneitle, groß gewachsene Mann mit dem Bürstenhaarschnitt der erste würdige Nachfolger von Erwin Teufel. Der heute 76-jährige CDU-Mann hat 14 Jahre in Stuttgart regiert.

    Tatsächlich gibt es einige Parallelen. Beide stammen aus einem katholischen Elternhaus. Teufel war einst Bürgermeister in Kretschmanns Geburtstort. Und beide Männer haben in wichtigen politischen Fragen nicht den Streit gesucht, sondern den Konsens. Das mögen die Leute und Kretschmann weiß das. Nicht umsonst steht auf seinen Wahlplakaten „Regieren ist eine Stilfrage“. Der heutige Ministerpräsident kam zwar in Spaichingen zur Welt, wo Baden und Württemberg zusammenstoßen, seine Familie stammt aber aus Ostpreußen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mussten die Eltern fliehen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum er Merkels Willkommenskultur heute richtig findet. „Wir sind beide Naturwissenschaftler und deshalb schauen wir immer zuerst ganz nüchtern auf die Fakten“, sagt Kretschmann. Und dann erklärt er, warum es aus seiner Sicht überhaupt keinen Sinn macht, Zäune zu bauen – und welch verheerende Auswirkungen es für die Wirtschaft hätte, würde Deutschland die Grenzen schließen. Seine Sätze könnten auch von Merkel sein. Doch während die CDU-Chefin immer mehr Rückhalt verliert, wird Kretschmann im Endspurt des Landtagswahlkampfes immer noch beliebter. Wie macht er das?

    Hans-Ulrich Rülke hat eine Erklärung. Er ist Spitzenkandidat der FDP. Vom Ministerpräsidenten hält er nicht besonders viel und er ist einer der wenigen, die ihn frontal attackieren. „Kretschmann pflegt den Kult einer authentischen Großvatergestalt, das ist mir zu wenig“, sagt er mit einem spöttischen Grinsen. Die Liberalen sind zwar gerade erst von den Totgesagten auferstanden, doch Rülke kann kaum Laufen vor Selbstbewusstsein. Angesichts der schwierigen Mehrheitsverhältnisse hat die

    Die SPD kämpft in Baden-Württemberg gegen den Absturz

    Dort sitzt momentan noch Nils Schmid – auch wenn es kaum jemand merkt. Der SPD-Chef gilt als fleißiger und solider Fachmann. Doch er ist das Gegenteil eines Selbstdarstellers. Wenn man ihn nach dem Absturz seiner Partei fragt, sagt er Sätze wie „Unerfreuliche Ergebnisse sind immer unerfreulich“ oder „Das ist ein mechanisch wirkender Mechanismus“. Er sagt die Sätze ins Leere hinein, Blickkontakt ist nicht seine Sache. Für Schmid geht es ums politische Überleben. Weil die

    Die einzige Partei ohne Chance aufs Regieren ist die AfD. Mit dem Emporkömmling von Rechts will keiner etwas zu tun haben – anscheinend nicht einmal ihr eigener Spitzenkandidat. Der Wirtschaftsprofessor Jörg Meuthen ist ein Relikt der alten Lucke-AfD und folglich pausenlos damit beschäftigt, sich von den eigenen Leuten zu distanzieren. Kretschmann verliert kein Wort über die AfD. Er redet überhaupt kaum über die anderen. Sein bestes Argument im Wahlkampf ist er selbst. Und wenn es am Ende trotz aller Popularität nicht reichen sollte? Wäre das nicht tragisch? „Ach wissen Sie“, sagt er und setzt die Brille wieder auf. „Tragisch ist so ein großes Wort. Natürlich würde einen so etwas ein wenig schmerzen. Aber dann ist es halt so.“

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