Zum ersten Mal in der Geschichte der Alternativen Nobelpreise werden Menschenrechtskämpfer aus dem Iran und Belarus mit der renommierten Auszeichnung geehrt. Der Preis, der offiziell Right Livelihood Award heißt, geht in diesem Jahr unter anderem an die in iranischer Haft sitzende Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh sowie den belarussischen Demokratie-Aktivisten Ales Beljazki und das von ihm gegründete Menschenrechtszentrum Wesna. Das gab die Right-Livelihood-Stiftung am Donnerstag in Stockholm bekannt. Ebenfalls mit dem Preis geehrt werden der US-Bürgerrechtsanwalt Bryan Stevenson und die Aktivistin Lottie Cunningham Wren aus Nicaragua.
Alternative Nobelpreise gehen an Menschen, die nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit stehen
Damit bleibt die Vergabejury ihrer Linie treu und zeichnet vier Persönlichkeiten aus, die international nicht ganz so sehr im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen. Das hatte sie in der Vergangenheit immer wieder getan, auch wenn gelegentlich auch prominentere Namen unter den Preisträgern aufgetaucht waren - im Vorjahr etwa der von Greta Thunberg. Zusammen mit der schwedischen Klimaaktivistin waren 2019 die Menschenrechtskämpferin Aminatu Haidar aus der Westsahara, die chinesische Frauenrechtlerin Guo Jianmei sowie der brasilianische Ureinwohner Davi Kopenawa und seine indigene Vereinigung Hutukara Yanomami ausgezeichnet worden.
Die Träger der Alternativen Nobelpreise 2020
Ales Beljazki und das Menschenrechtszentrum Wesna (Belarus): Die Lage in Belarus (Weißrussland) und die Proteste gegen den autoritären Machthaber Alexander Lukaschenko werden von der Welt seit Wochen genau verfolgt. Der 58-Jährige Beljazki hat sich schon viele Jahre vorher für die Demokratie und Freiheit in seinem Land eingesetzt, lange bevor die dortige Situation in diesem Sommer international in die Schlagzeilen geraten ist. Der Aktivist und das von ihm gegründete Zentrum Wesna sind so zu Leuchttürmen der Menschenrechte in einem Land geworden, das oft als «die letzte Diktatur Europas» bezeichnet wird. Auch Verhaftungen und mehrere Jahre im Gefängnis hielten ihn nicht davon ab, weiter für seine Ideale einzustehen - auch und gerade während der Großproteste nach der umstrittenen Präsidentenwahl. Wesna ist zudem einer der wichtigsten Kanäle, der über die Festnahmen der Demonstranten berichtet.
Nasrin Sotudeh (Iran): Zuletzt kämpfte sie vor Gericht unter anderem für Frauen, die aus Protest gegen die iranische Gesetzeslage in der Öffentlichkeit ihre Kopftücher abgenommen hatten. Diese Frauen sind bei Weitem nicht die einzigen, für die sich Sotudeh eingesetzt hat: Die in Teheran geborene Rechtsanwältin verteidigte bereits nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl 2009 während der Proteste gegen die Regierung eine Reihe von verhafteten Aktivisten, später vertrat sie die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi. Außerdem ist ihr der Kampf gegen die Todesstrafe im Iran eine Herzensangelegenheit. All das hat die 57-Jährige mehrmals ins Gefängnis gebracht, dort sitzt sie auch heute: Im März 2019 war sie unter anderem wegen «Schürens von Korruption und Prostitution» zu mehr als drei Jahrzehnten Haft und fast 150 Peitschenhieben verurteilt worden. Auch ihre Familie berichtet von Festnahmen und schwerwiegenden Übergriffen.
Bryan Stevenson (USA): Immer wiederkehrende Fälle übermäßiger Polizeigewalt und die Bürgerrechtsbewegung Black Lives Matter haben die Rassismusdebatte in den USA in diesem Sommer abermals hochkochen lassen. Für Bryan Stevenson ist das Thema alles andere als neu: Der 60-Jährige zählt zu den führenden Bürgerrechtsanwälten seines Landes, oberstes Ziel seines Schaffens ist seit langem die Reform der US-Strafjustiz, die übermäßig viele Schwarze und Arme ins Gefängnis bringt. Der in Harvard ausgebildete Jurist will eines Tages sehen, dass alle US-Bürger unabhängig von der Hautfarbe die gleichen Rechte genießen. Grundlage seines Kampfes ist der Ausgangspunkt, dass Justiz und Gesellschaft vor dem Hintergrund der Geschichte der Sklaverei und weißer Überlegenheitsgesinnungen weiter von systematischem Rassismus durchdrungen seien.
Lottie Cunningham Wren (Nicaragua): Die 61 Jahre alte Rechtsanwältin gehört selbst dem indigenen Volk der Miskito an, das vor allem an der Karibikküste im nicaraguanischen Grenzgebiet zu Honduras lebt. Vor diesem Hintergrund kämpft Cunningham trotz regelmäßiger Einschüchterungsversuche dafür, dass Indigene in Nicaragua ihr Land und die damit verbundenen Ressourcen behalten dürfen und besser vor Ausbeutung geschützt sind. Dabei ist es ihr unter Zuhilfenahme nationaler und internationaler Gesetze gelungen, dass es mittlerweile Landrechte für indigenen Boden in ihrem Heimatland gibt - ein Fortschritt, der auch indigenen Gemeinschaften in anderen Ländern bei ihrem rechtlichen Streit für den Schutz ihres Lebensraums nützt. Das hilft letztlich auch der Umwelt, da der Schutz indigenen Landes auch bedeutend für die entsprechenden Ökosysteme ist. (dpa)
Der seit 1980 verliehene Right Livelihood Award ist gemeinhin als Alternativer Nobelpreis bekannt. Mit ihm ehrt die Right-Livelihood-Stiftung diejenigen, die sich oft unter hohen Risiken in besonderem Maße für den Frieden und eine gerechtere und nachhaltigere Welt einsetzen. In diesem Jahr wurden 182 Nominierungen aus 71 Ländern berücksichtigt, die fristgerecht bis Anfang März eingereicht worden sind. Die Auszeichnung steht dabei in kritischer Distanz zu den eigentlichen Nobelpreisen, deren Preisträger ab Montag in Stockholm und Oslo bekanntgegeben werden.
Jury will Schlaglicht auf die zunehmende weltweite Bedrohung der Demokratie werfen
Wie so häufig kommen die diesjährigen Alternativen Nobelpreisträger aus völlig unterschiedlichen Weltteilen. Sie eint aber der Kampf für Gleichberechtigung, Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit, sagte Stiftungsdirektor Ole von Uexküll bei der Preisbekanntgabe. "Mit ihrem Widerstand gegen ungerechte Rechtssysteme und diktatorische politische Regime stärken sie erfolgreich die Menschenrechte, fördern Zivilgesellschaften und prangern institutionelles Fehlverhalten an."
Mit der diesjährigen Auswahl wolle man ein Schlaglicht auf die zunehmende weltweite Bedrohung der Demokratie werfen, sagte von Uexküll. "Es ist höchste Zeit, dass wir alle, die weltweit an die Demokratie glauben, aufstehen und einander unterstützen."
Die Iranerin Sotudeh und der Belarusse Beljazki mit Wesna sind die jeweils ersten Alternativen Nobelpreisträger aus ihren Ländern. Die inhaftierte Sotudeh wird ausgezeichnet, weil sie laut Jury furchtlos für die Förderung politischer Freiheiten und der Menschenrechte im Iran einsteht. Beljazki und das Wesna-Zentrum bekommen den Preis derweil "für ihren entschlossenen Kampf für die Verwirklichung von Demokratie und Menschenrechten in Belarus" - ein Thema, das angesichts der anhaltenden Proteste gegen den umstrittenen Machthaber Alexander Lukaschenko kaum aktueller sein könnte. Der Preis für Beljazki und Wesna sei auch ein "Ausdruck der internationalen Solidarität mit all denen, die für die Freiheit und die Demokratie in Belarus kämpfen", sagte von Uexküll.
Greta und Snowden: Prominente Träger der Alternativen Nobelpreise
Die Right-Livelihood-Stiftung fördert mit den Alternativen Nobelpreisen oft weniger bekannte Kämpfer für Frieden, Menschenrechte und Umwelt. Einige Male haben aber auch weltbekannte Gesichter die Auszeichnung erhalten:
Greta Thunberg: 2019 stach vor allem ein prominenter Name unter den Preisträgern heraus: der von Klimaaktivistin Greta Thunberg. Die junge Schwedin wurde für ihren Kampf gegen die Klimakrise geehrt, bei dem sie mit ihren Forderungen nach mehr Klimaschutz zur Inspirationsquelle für Millionen überwiegend junge Demonstranten in aller Welt geworden ist. Obwohl der Preis in ihrer Heimatstadt Stockholm verliehen wurde, konnte ihn die damals 16-Jährige nicht persönlich in Empfang nehmen: Sie befand sich nach ihrer Rückreise von diversen Klimagipfeln und -demonstrationen in Amerika und vor der Weltklimakonferenz in Madrid zu dem Zeitpunkt in Lissabon.
Edward Snowden: Der US-Whistleblower wurde im Jahr 2014 mit dem Right Livelihood Award geehrt. Die Stiftung begründete die Ehrung damit, dass er mit Mut und Kompetenz das beispiellose Ausmaß staatlicher Überwachung offengelegt habe, das grundlegende demokratische Prozesse und Verfassungsrechte verletze. Abholen konnte der seit 2013 im russischen Exil lebende Snowden die Auszeichnung nicht, weil die USA nach ihm fahnden.
Denis Mukwege: Ein Jahr vor Snowden erhielt der kongolesische Arzt Mukwege den Preis für seinen Einsatz für Frauen, die in Kriegszeiten sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen sind. Fünf Jahre später wurde er 2018 schließlich mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Der 65-Jährige gilt als weltweit führender Experte für die Behandlung von Verletzungen durch Gruppenvergewaltigungen und als Aktivist gegen sexuelle Gewalt.
Astrid Lindgren: Die Kinderbuchautorin und weltweit wohl berühmteste Schwedin hat den Alternativen Nobelpreis 1994 erhalten. Die Stiftung verlieh Thunbergs Landsfrau den nicht dotierten Ehrenpreis für ihren "lebenslangen Kampf für die Rechte von Kindern".
Bianca Jagger: Die frühere Ehefrau des Rolling-Stones-Sängers Mick Jagger bekam den Preis 2004 für ihren Einsatz für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz. Sie habe gezeigt, "wie man Berühmtheit in den Dienst von Ausgebeuteten und Benachteiligten stellt", begründete die Stiftung die Wahl damals.
Vier Deutsche sind seit 1980 unter den Preisträgern gewesen, darunter als erste die Friedensaktivistin und Mitbegründerin der Grünen, Petra Karin Kelly. Zuletzt wurde 1999 der SPD-Politiker Hermann Scheer für sein Engagement für die erneuerbaren Energien ausgezeichnet.
Stevensons Auszeichnung lenkt die Aufmerksamkeit auf die Rassismusdebatte in den USA
Auch mit der Auszeichnung des US-Amerikaners Stevenson lenkt die Right-Livelihood-Stiftung die Aufmerksamkeit auf ein brandaktuelles gesellschaftliches Thema, nämlich die Rassismusdebatte in den USA. Der Bürgerrechtsanwalt strebe nach der Reform der US-Strafjustiz und der Versöhnung der Menschen "im Angesicht des historischen Traumas des Rassismus", hieß es vonseiten der Stiftung. Die Nicaraguanerin Cunningham schließlich setze sich auf unermüdliche Weise für den Schutz des Landes der indigenen Bevölkerung und der Ureinwohner vor Ausbeutung und Plünderung sowie damit auch für den Umweltschutz ein.
Sotudeh, Stevenson, Cunningham sowie Beljazki und Wesna sollen nach Stiftungsangaben am 3. Dezember im Rahmen einer Preisverleihung gewürdigt werden, die diesmal wegen der Corona-Pandemie virtuell stattfinden soll. Jeder Preisträger erhält eine Million schwedische Kronen (rund 95 000 Euro), die für seine Arbeit bestimmt sind. (dpa)
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