Es ist eines jener Länder, die die meisten Deutschen wohl erst mal auf der Landkarte suchen müssen. Mali ist zwar mehr als dreimal so groß wie Deutschland, doch die 5400 Kilometer, die zwischen der Hauptstadt des westafrikanischen Wüstenstaates und Berlin liegen, sind nur ein Klacks im Vergleich zur gefühlten Entfernung, die zwischen Europa und dem Armenhaus dieser Welt klafft. 20 Millionen Einwohner, 95 Prozent der Menschen leben von weniger als 5,50 Dollar am Tag, seit einem Militärputsch vor zehn Jahren lassen radikale Islamisten und separatistische Tuareg-Rebellen das Land nicht zur Ruhe kommen. Allein im letzten Quartal 2021 gab es 68 Angriffe auf nationale und internationale Sicherheitskräfte mit 40 Toten und 52 Verletzten. Dazu kamen 324 Angriffe auf Zivilisten. Dabei wurden mindestens 80 Personen getötet, 95 verletzt und 90 entführt.
Der Konflikt zwischen Paris und Bamako eskaliert
Ulf Lässing sitzt in seinem Büro in der malischen Hauptstadt Bamako. Er ist Leiter des Regionalprogramms Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und macht sich Sorgen um eine Region, die doch eigentlich ohnehin nur aus Sorgen und Problemen und enttäuschten Hoffnungen besteht. Doch tatsächlich sind die Nachrichten, die derzeit Mali zurück in den europäischen Aufmerksamkeits-Radius katapultieren, selbst für den Krisenstaat beunruhigend. Die für Februar geplanten Wahlen wurden handstreichartig um fünf Jahre verschoben, der französische Botschafter sowie dänische Soldaten ausgewiesen, die Regierung gefällt sich im politischen Flirt mit Russland, die westafrikanische Staatenunion hat Mali mit drastischen Sanktionen belegt, die die Armut weiter wachsen lassen.
Die französische Regierung, die als ehemalige Kolonialmacht seit Jahren gegen die Dschihadisten kämpft, denkt offen über einen Abzug aus dem Land nach. Der Konflikt zwischen der malischen Militärregierung und Paris eskaliert zunehmend und könnte den Anti-Terror-Kampf gefährden. Denn der Zwist zwischen Bamako und Paris lässt auch in Berlin alle Alarmglocken schrillen – zu tief sitzt nach wie vor der Schock, den das Afghanistan-Debakel hinterlassen hat. Außenministerin Annalena Baerbock stellt bereits den Einsatz der Bundeswehr in Mali infrage. Es ist das größte deutsche Mandat, das es derzeit gibt. Die Bundeswehr ist seit neun Jahren mit mehr als 300 Soldaten an der EU-Ausbildungsmission EUTM beteiligt und mit mehr als 1100 Soldaten an der UN-Mission Minusma. Schon bald soll im Bundestag über die Zukunft der Beteiligung an beiden Einsätzen entschieden werden.
„Die Stimmung hier ist schlecht“, sagt Ulf Lässing. Die Franzosen als ehemalige Kolonialherren gelten als Bösewichte, die Enttäuschung über die überschaubaren militärischen Erfolge gegen die Islamisten schlägt zunehmend in Wut um, die Zahl der Terroranschläge ist zuletzt wieder steil angestiegen. Millionen Menschen sind auf der Flucht, tausende gestorben, hinzu kommt die grassierende Armut. Seit Jahrzehnten hängt Mali am Tropf der internationalen Entwicklungshilfe und schafft es doch nicht, sich aus dem Klammergriff des Elends zu befreien. Immer deutlicher wird, dass sich der Konflikt mit den Dschihadisten kaum militärisch lösen lässt.
Doch ein zweiter Endlos-Krieg, wie ihn Deutschland am Hindukusch erlebt hat, gilt in Berlin als regelrechte Horrorvorstellung. „Unser Einsatz ist kein Selbstzweck", sagt Bundesaußenministerin Baerbock der Süddeutschen Zeitung. Sicherheit für die Menschen in Mali und Stabilität sowie Entwicklung könne es nur durch Reformen und die Rückkehr zur Demokratie geben, wie es das Land auch mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) vereinbart habe. Das heißt nichts anderes als: Gibt es keine Erfolge, steigen die deutschen Soldaten zurück in den Flieger Richtung Heimat. Mit guter Absicht, diese Erkenntnis hat sich bei vielen durchgesetzt, lässt sich kein Krieg gewinnen.
Sahel-Experte Lässing spricht sich gegen Abzug aus
Ein schneller Abzug aber, da ist sich Lässing sicher, würde weiter zur Destabilisierung des Landes beitragen und die Sicherheitslage dramatisch verschlechtern. Die islamistischen Kämpfer könnten weitere Gebiete erobern, ihr Ziel ist es, sich in Richtung Meer vorzuarbeiten, um von dort Schmugglerboote auf die Reise schicken zu können. Die Probleme dürften sich zudem noch weiter auf andere Länder in der Region ausbreiten, als das ohnehin schon der Fall ist. Die Gemengelage ist also alles andere als einfach. „Ich glaube, dass es eine Möglichkeit gibt, mit der Übergangsregierung von Mali ins Gespräch zu kommen“, sagt der KAS-Experte. „Es spricht viel dafür, vor Ort zu bleiben.“ Man werde aus dem westafrikanischen Staat niemals eine zweite Schweiz machen, doch das Risiko, hier ein Land noch weiter in Richtung Abgrund zu schieben, sei groß. Vor allem Frankreich müsse im Interesse einer gemeinsamen Lösung einen diplomatischeren Ton anschlagen, den Wahlkampf außen vor lassen, in dem Präsident Emmanuel Macron ganz bewusst Durchsetzungsvermögen zeigen will.
Gerade die Anfangszeit, als die internationalen Truppen ins Land gekommen waren, haben gezeigt, dass die Situation keineswegs aussichtslos war. Städte wie Kidal, Gao und Timbuktu wurden befreit, der Vormarsch der Radikalen gestoppt. Doch nachhaltig war der Einsatz selten. Dort, wo die Islamisten und andere kriminelle Banden vertrieben wurden, gelang es dem schwachen malischen Staat nie, das Vakuum zu schließen. Zuletzt wurde die Regierung im Jahr 2020 und im Jahr 2021 gestürzt, aktuell hat eine nicht demokratisch installierte Militär-Junta mit Oberst Assimi Goita als Übergangspräsident an der Spitze das Sagen. Man wisse gar nicht mehr, wen man überhaupt unterstütze, heißt es in Berlin. Die Bevölkerung stellt sich hinter die Offiziere – zu oft haben die Menschen erlebt, wie ihre zivilen Herrscher mehr an das eigene Konto als ans Gemeinwohl gedacht haben. Wer in einem Land wie Mali als Zivilist an die Spitze einer Regierung kommt, entstammt meist einer kleinen Elite, die gerne eigene Netzwerke und den eigenen Kontostand pflegt. Da erscheint vielen die Armee als kleineres Übel.
Doch die will sich mit rechtstaatlichen Grundsätzen lieber nicht aufhalten. Im Westen wird befürchtet, dass die malische Führung sich immer stärker an Russland anlehnt. Hunderte Söldner der sogenannten Wagner-Gruppe sollen sich in Mali aufhalten. „Als ich heute ins Büro gefahren bin, bin ich an russischen Fahnen vorbeigekommen“, sagt Lässing. Zwar sei es unwahrscheinlich, dass sich Moskau ähnlich wie in Syrien mit vollem Anlauf in den Mali-Konflikt werfe, doch gerade das Straucheln der Europäer dürfte dem Kreml gefallen. „Russland schafft es, mit minimalem Einsatz für maximale Unsicherheit zu sorgen“, sagt Ulf Lässing. Die russischen Söldner hätten so etwas wie eine „Marktlücke“ gefunden, weil sie, anders als etwa die Deutschen, gemeinsam mit ihren malischen Kollegen an die Front gehen. Die Bundeswehr hingegen belässt es bei Patrouillen, Logistik und Ausbildung.
Ob sie das auch weiterhin tut, soll das Parlament noch im Februar entscheiden. „Wenn sich in Mali nichts ändert, kann es ein einfaches Weiter-so nicht geben“, hatte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht schon im Januar angekündigt. Zwar fügte sie hinzu: "Wir werden nicht weichen, so einfach machen wir es den Russen nicht." Doch das Wort Exit-Strategie, es dröhnt immer lauter durch das politische Berlin.