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Außenpolitik: Diplomat Ischinger: "Sich wegducken ist eine Einladung zum Kriegführen"

Außenpolitik

Diplomat Ischinger: "Sich wegducken ist eine Einladung zum Kriegführen"

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    Wolfgang Ischinger ist Diplomat und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz
    Wolfgang Ischinger ist Diplomat und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz Foto: Thomas Imo, Imago

    Es sind Wochen, wie sie die Welt nur selten erlebt. Berlin, Paris, Washington, Kiew, Moskau, Warschau, Brüssel. Nicht nur die Telefonleitungen zwischen den Hauptstädten glühen, auch das, was man Reisediplomatie nennt, läuft gerade auf Hochtouren. Scholz trifft Biden. Biden trifft Putin. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock an die ukrainische Frontlinie im Donbass führen. Die Angst vor einem Krieg, sie ist fast mit Händen greifbar. Wie eine Schlinge legt sie sich um den Hals des Westens, mit aller Kraft versuchen diejenigen, denen es um Frieden geht, sie zu lockern.

    Bundeskanzler Olaf Scholz mit US-Präsident Joe Biden im Oval Office des Weißen Hauses.
    Bundeskanzler Olaf Scholz mit US-Präsident Joe Biden im Oval Office des Weißen Hauses. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Wolfgang Ischinger kennt die Mechanismen ganz genau, weiß um jedes Rädchen, das sich gerade in Bewegung setzt. Von Diplomatie braucht man dem 75-Jährigen nichts zu erzählen. 40 Jahre lang war er selbst im diplomatischen Dienst, arbeitete bei den Vereinten Nationen und im Auswärtigen Amt, war Botschafter in London und Washington, begleitete im Jahr 1989 DDR-Flüchtlinge im Zug von Prag nach Bayern, leitet seit 14 Jahren die Münchner Sicherheitskonferenz. „Aber die aktuelle Lage stellt alles in den Schatten“, sagt er. Denn auch wenn der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland der Beherrschende ist, ist die Liste der internationalen Konfrontationen lang: Iran, China, die wieder anschwellende Flüchtlingsbewegung, Afghanistan, Mali. Schockwellen kommen von allen Regionen der Welt. Und sie stellen die alten Bündnispartner einmal mehr auf die Probe.

    Mit wachsendem Unbehagen musste Ischinger in den vergangenen Tagen beobachten, wie es Russland gelungen war, Deutschland, Europa und die USA beinahe auseinander zu dividieren. Nord Stream 2, Waffenlieferungen, Sanktionsdrohungen – beinahe in keinem Punkt fanden die Partner zu einer einheitlichen Linie. Doch der Druck von außen schweißt die Alliierten zunehmend zusammen. „Die Bundesregierung hat Gas gegeben“, sagt Ischinger. „Das ist gut so und das ist wichtig.“ Denn allen Debatten zum Trotz seien es nicht allein Waffen und nicht allein Drohungen, die Wladimir Putin am meisten ängstigen müssten, wichtiger sei eine geschlossene Front, die ihm klar macht: Wir verzetteln uns nicht im Streit untereinander, wir stehen gemeinsam zu unseren Werten und zu unseren Partnern. „Das wird seine Wirkung auf die russische Seite hoffentlich nicht verfehlen“, sagt er. Russland müsse wissen, dass der Preis, den es für das Überschreiten einer roten Linie zahlen muss, höher wäre als der Gewinn, den ein Übergriff auf die Ukraine bedeuten könnte.

    Pazifismus ist tief in der deutschen Gesellschaft verankert

    Und doch weiß Ischinger, dass vor allem Deutschland noch einen weiten Weg vor sich hat. Der Pazifismus gehört zu den Grundfesten der Außenpolitik der Bundesrepublik seit 1949. In einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen sprechen sich mehr als 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Baerbock haben diesen Grundsatz zu ihrem politischen Mantra gemacht. Dürften sie sich überhaupt darüber hinwegsetzen? Haben sie nicht die Pflicht, Lehren zu ziehen aus der kriegerischen deutschen Vergangenheit – oder ist diese Erklärung längst zur bloßen Joker-Karte verkommen, die immer und jederzeit alle Argumente sticht? Zumindest die Welt sieht im Verweis auf die Geschichte eine hohle Ausrede. Zu Recht, wie Ischinger findet. „Die Lehren aus der deutschen Geschichte der Ukraine gegenüber können uns genauso gut zu einem umgekehrten Schluss führen“, sagt er. „Nachdem wir die Verantwortung dafür tragen, dass mehr als ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren haben, tragen wir eine Mitverantwortung, dass dieses Land nicht erneut mit kriegerischen Handlungen überzogen wird.“

    Politik dürfe sich niemals nur an Meinungsumfragen orientieren, sie müsse Führung vorgeben und notfalls auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Wie das geht, habe die BRD Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre gezeigt, als das Land über den Nato-Doppelbeschluss stritt. Die

    Unterstützung der Ukraine geht weit übers Militärische hinaus

    Ohnehin warnt Ischinger davor, den deutschen Beitrag kleinzureden – allem Hadern zum Trotz. Deutschland sei einer der wichtigsten Geldgeber für die Ukraine, habe mit umfangreichen finanziellen Hilfen deren Wirtschaft unterstützt und damit auch einen Beitrag geleistet, dass die Armee modernisiert werden konnte. „Wir haben in den vergangenen Jahren weitaus mehr für die Ukraine getan als alle anderen Europäer“, stellt er klar. Noch vor wenigen Jahren habe die Armee nur aus wenigen tausend kampfbereiten Soldaten bestanden, das habe sich geändert. „Wer war es denn, der 2014 die Verhandlungen übernommen hat, um den Vormarsch der von Russland unterstützten Separatisten zum Stillstand zu bringen? Wer war es denn, der mit Putin persönlich in unendlich schwierigen und nächtlichen Verhandlungen die Minsk Vereinbarung erzielt hat? Es war niemand anders als die deutsche Bundeskanzlerin.“ Die Frage der deutschen Ukraine-Politik könne daher keineswegs nur an den Waffenlieferungen festgemacht werden.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Treffen mit Wladimir Putin auf Schloss Meseberg.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Treffen mit Wladimir Putin auf Schloss Meseberg. Foto: Alexei Druzhinin, dpa

    Doch anders als bei seiner Vorgängerin Angela Merkel, wissen sowohl Deutschland als auch das Ausland bei Olaf Scholz nie so recht, wofür er außenpolitisch steht. Seine Partei, die SPD, tut sich erkennbar schwer, in einer Ost-Politik mehr zu sehen als eine Russland-Politik zugunsten von Moskau. Dass er sich in Washington zwar demonstrativ hinter Präsident Biden stellt, aber die Worte „Nord Stream“ partout nicht in den Mund nehmen will, schürt erneut das Misstrauen in seine Verlässlichkeit. Es bleiben Zweifel, ob er sich eine Hintertür offenhalten will. Womöglich ist es aber auch nur größtmögliche Vorsicht eines Politikers, der direkt vom Amtsantritt in eine der größten internationalen Krisen-Lagen der jüngsten Vergangenheit geschleudert wurde. Die Unsicherheit, mit der der Kanzler auf diesem für ihn neuen Terrain zu kämpfen hat, ist ihm anzumerken – auch, wenn die Schritte immer besser sitzen.

    Scholz kommt zur Sicherheitskonferenz

    Wohin die ihn führen werden, kann Scholz noch einmal selbst erklären: Nur wenige Tage nach seiner Reise in den Kreml in der kommenden Woche, wird er bei der Münchner Sicherheitskonferenz (18. bis 20. Februar) zu Gast sein. Das Stelldichein der Mächtigen ist ein Pflichttermin im Kalender der Politik – im vergangenen Jahr zwang Corona das Treffen ins Virtuelle. In diesem Jahr soll die Sicherheitskonferenz im Bayerischen Hof in München stattfinden, wenngleich ihr eine medizinische Schrumpfkur verordnet wurde. Nicht mehr als 500 Teilnehmer dürfen kommen, einer von ihnen wird der Bundeskanzler sein. Ob auch Russland eine Delegation schickt, ist noch nicht klar. „Ich würde mir nichts mehr wünschen, als dass zumindest ein paar Impulse gesetzt werden könnten, um die sogenannte Ukraine-Krise einer diplomatischen Entspannung zuzuführen“, sagt Ischinger. „Das wäre mein größter Wunsch.“

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