Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Ausschreitung in Großbritannien: Das steckt hinter rechtsextremem Protest

Großbritannien

Krawalle in England: Experte Neumann spricht von „neuem Drehbuch“ für rechtsextreme Proteste

    • |
    • |
    Randalierern bedrängen Polizisten in Rotherham.
    Randalierern bedrängen Polizisten in Rotherham. Foto: Danny Lawson, PA Wire, dpa

    Polizisten im Flaschenhagel, aufgebrochene Türen, zerschlagene Scheiben, brennende Häuser, qualmende Autoreifen – Großbritannien und vereinzelt auch Nordirland erleben seit Anfang vergangener Woche gewalttätige, antimuslimische Ausschreitungen. Im nordenglischen Rotherham attackierten Rechtsextreme ein Hotel, in dem sie Asylbewerber vermuteten. In Middlesbrough randalierten Vermummte und griffen Polizisten an, in Liverpool versuchten ein Mob, die Feuerwehr an Löscharbeiten zu hindern.

    In mehr als 30 britischen Städten gab es Krawalle. Ausgelöst wurden sie unter anderem durch Falschmeldungen in den sozialen Medien über den tödlichen Messerangriff eines 17-jährigen Briten auf Teilnehmer eines Tanzkurses in der nordwestenglischen Stadt Southport, bei dem am Montag drei Mädchen getötet sowie mehrere weitere Kinder und Eltern zum Teil lebensgefährlich verletzt worden sind. Im Internet verbreiteten sich Gerüchte, dass der Täter ein Islamist sei, der kürzlich mit einem Boot in Großbritannien angekommen sei. Dabei ist der 17-Jährige als Sohn von Einwanderern aus Ruanda in England geboren. Das Motiv der Tat liegt im Dunklen.

    Die Gewaltausbrüche in Großbritannien sind eine Herausforderung für Premier Starmer

    Die Heftigkeit der Gewaltausbrüche mit verletzten Polizisten und Hunderten Festnahmen sind längst eine Herausforderung für den neuen Premierminister Keir Starmer. „Ich garantiere Ihnen, Sie werden es bereuen, an diesen Unruhen teilgenommen zu haben“, sagt der Labour-Politiker an die Adresse der Randalierer. Es handele sich um rechtsextremes Banditentum ohne jede Rechtfertigung.

    Der Terror- und Sicherheitsexperte Peter Neumann, der am renommierten Kings College in London lehrt, erklärte im Gespräch mit unserer Redaktion, dass die rechtsextremen Proteste nach einem „neuen Drehbuch“ abgelaufen seien, das man sich auch in Deutschland sehr genau anschauen solle, um rechtzeitig gegensteuern zu können.

    Der neue Premier von Großbritannien, Keir Starmer, kündigt ein hartes Durchgreifen seiner Regierung gegen die Randalierer an.
    Der neue Premier von Großbritannien, Keir Starmer, kündigt ein hartes Durchgreifen seiner Regierung gegen die Randalierer an. Foto: Henry Nicholls, PA Wire/dpa

    „Migration ist in Großbritannien ein Riesenthema. Insbesondere das Thema Bootsflüchtlinge, auch wenn die Zahlen weit geringer sind als beispielsweise in Deutschland“, sagt Neumann. Allerdings sei insbesondere in Nordengland ein explosiver Mix entstanden, da es dort Regionen gebe, die im Europa-Vergleich strukturell noch schwächer dastünden als problematische EU-Regionen in Osteuropa. Es gebe ein extremes Gefälle. Neumann: „Das Motto der Unruhen heißt: ,Genug ist genug.’ Dieser Frust bei vielen Briten, die sich abgehängt fühlen, die ihr Land in „der größten Krise aller Zeiten‘ sehen, hat sich bereits bei der Volksabstimmung über den Brexit in demokratischer Weise entladen. Allerdings zeigt sich längst, dass sich die Lage nach dem Austritt aus der EU nicht verbessert hat.“

    Neumann hat analysiert, wie die gewalttätige Protestbewegung orchestriert wird. Dabei würde die wichtigste Rolle Online-Influencern wie dem vorbestraften Ex-Hooligan Tommy Robinson zukommen, die ihre große Zahl von Anhängern im Netz motivieren würden, Proteste zu organisieren. Sogenannte „Content Creators“ hätten die Aufgabe, Videos von den Protesten zu drehen und ins Netz zu stellen. Für besonders gefährlich hält es Neumann, dass die früher oft zerstrittenen lokalen rechtsextremen Gruppen nun zusammen mit Fußballfans oder Verschwörungstheoretikern vor Ort für eine Vernetzung der Aktionen gegen Migration sorgten. Plattformen wie TikTok, Telegram oder X als Verbreitungskanäle würden eine große Reichweite ermöglichen.

    Experte Peter Neumann kritisiert den rechten Rand des Establishments

    Neumann kritisiert zudem, dass diese Machenschaften durch den rechten Rand des Establishments stillschweigend unterstützt würden. Und zwar nicht nur durch Nigel Farage mit seiner rechtspopulistischen Reform-Partei, sondern auch durch Teile der abgewählten konservativen Tories. Zudem könnte russische Desinformation ein Faktor sein, vermutet der Experte.

    Die Regierung Starmer versucht nun, die Kontrolle auf der Straße mit einer harten Linie zurückzugewinnen. Am Montag tagte der nationale Krisenstab Cobra am Regierungssitz in London. Diskutiert werden Schnellgerichte im Dauereinsatz, die schon vom damaligen britischen Oberstaatsanwalt und heutigen Premier Starmer gegen Randalierer im Jahr 2011 organisiert wurden. Aber auch ein hartes juristisches Vorgehen gegen Organisatoren der Krawalle im Internet liegt auf dem Tisch.

    Peter Neumann hält diese Ansätze für richtig. „Das ist aber nur die eine Ebene. Man muss natürlich über die Gefahr durch Rechtsextreme sprechen, aber auch über soziale Medien und Desinformation. Sprechen muss man aber auch über die Probleme bei Migration und Integration, über die abgehängten Regionen im Land. Die Linken wollen nur über die Gefahr durch Rechtsextreme sprechen, die Rechten nur über Migration – beides greift zu kurz.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden