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Ausländische Kämpfer in Ukraine: Eindrücke von der Front

Krieg in der Ukraine

Eindrücke von der Front: Ausländische Söldner kämpfen für die Ukraine

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    Sabyrzhan (vorne) und ein Kamerad in einer Zigarettenpause. Während des Gefechts pfeifen russische Granaten über die beiden hinweg.
    Sabyrzhan (vorne) und ein Kamerad in einer Zigarettenpause. Während des Gefechts pfeifen russische Granaten über die beiden hinweg. Foto: Till Mayer

    Taras Schewtschenko blickt grimmig mit Pelzmütze und dichtem Schnurrbart aus dem Bilderrahmen. Er steht auf staubigem Boden in einer großen Halle. Beton unter ihm, Beton links, Beton rechts. 1100 Denkmäler ehren den Schriftsteller (1814-1861) in der Ukraine. Es gibt kaum ein Städtchen, in dem er nicht an markanter Stelle zu sehen ist. Der Künstler ist ein Nationalheld. Vermutlich wäre er als ukrainischer Patriot stolz darauf, dass er hier zwischen Munitionskisten, Maschinengewehren und tragbaren Panzerabwehrraketen einen würdigen Platz gefunden hat. Sabyrzhan stellt eine Kerze vor dem wuchtigen Ölporträt ab. Sie brennt für einen Freund, der kurz zuvor gefallen ist. Der Schein flackert auf dem Gesicht des Dichters. In der Lagerhalle warten Soldaten auf ihren Einsatz. Ziel ist es, ein wenige Kilometer entferntes Dorf zurückzuerobern und russische Stellungen Richtung Osten zu drängen. Es ist nicht mehr lange hin, dann wird die Mission beginnen.  

    In der Ferne ist Artilleriefeuer zu hören. Dumpfes Grummeln. Vorboten für das, was kommt. Die Männer versuchen, noch ein wenig Schlaf zu finden. Oder wenigstens zur Ruhe zu kommen. Sie haben ihre Isomatten ausgerollt. Bald wird es so schnell keinen Schlaf mehr geben. Dessen ist sich jeder bewusst.

    Internationale Legion: Menschen aus 55 Ländern kämpfen für die Ukraine gegen Russland

    Auch der junge Portugiese, der mit nacktem Oberkörper unruhig mitten in der Halle steht. Bauch, Brust und Rücken sind mit Tätowierungen übersät. „Ich finde keine Ruhe. Schon zu viel Adrenalin im Körper“, sagt er heiser lachend. Die Soldaten dieser Einheit kommen aus Kolumbien, den USA, Portugal, Spanien, Australien, Neuseeland, Polen und Belarus. Sie nennt sich Internationale Legion der ukrainischen Territorialstreitkräfte. Laut einem Sprecher sollen darin 55 Nationen vertreten sein.

    Sabyrzhan versucht noch einmal, seine Gedanken zu ordnen. Er ist ein nachdenklicher junger Mann. Der 23-Jährige stammt aus Kasachstan. Vor 15 Jahren heiratete seine Mutter einen Ukrainer. Sabyrzhan wuchs in Kiew auf und studierte Internationale Beziehungen an der Jagiellonian-Universität im polnischen Krakau und im belgischen Leuven (Löwen). „Ich glaube an Weltoffenheit. Das gefällt mir an der Ukraine. Die Menschen lieben ihr Land, und sie teilen diese Liebe gerne mit anderen. Auch mit einem kleinen Jungen, der zu ihnen aus

    Putins Russland steht genau für das Gegenteil, so sieht Sabyrzhan das. Für einen aggressiven, engstirnigen Nationalismus, der neben sich nichts duldet. „Putin muss jetzt aufgehalten werden. Sonst ist es vorbei mit der Freiheit für ganz Europa. Ich hoffe, das verstehen auch die Menschen in Deutschland. Wir brauchen dringend mehr schwere Waffen.“

    Zuletzt hatte die Einheit in Sjewjerodonezk gekämpft. Nun steht sie an der Front im Südosten. „Gute Männer sind gefallen“, erzählt Sabyrzhan. „Übrigens, die Amerikaner hatten die Idee, Schewtschenko mitzunehmen. Sie bekamen das Gemälde im Donbas geschenkt. Jetzt begleitet uns der Dichter.“ Er deutet auf drei Männer, die ihr Lager direkt an der kahlen Wand aufgeschlagen haben. Die Amerikaner sind durchtrainierte Kolosse. Schnell stellt sich im Gespräch heraus, dass sie Profis im Kriegshandwerk sind, schon im Irak und in Afghanistan gekämpft haben. „Jetzt verteidigen wir hier die Freiheit“, erklärt einer von ihnen.

    Russland erkennt die Streitkräfte der Internationalen Legion nicht an

    Ihr Sold entspricht offiziell dem der ukrainischen Soldaten. Der ist nach Gefährlichkeit gestaffelt. Bis zu 2500 Euro gibt es für Mannschaftsgrade, die direkt an der Front kämpfen. Das ist deutlich weniger als der Sold bei internationalen Sicherheits- und Militärunternehmen, die weltweit ihre Söldner in Einsätze schicken. Dort liegen die Verdienste je nach Erfahrung und Spezialisierung oft um ein Vielfaches höher.

    In der Internationalen Legion müssen sich Ausländer bei der ukrainischen Armee vertraglich verpflichten. Von russischer Seite wurde den Angehörigen der

    Rechtlich gesehen sind Angehörige der Internationalen Legion aber sehr wohl Kombattanten. Dies bestätigt auch der renommierte Völkerrechtler Professor Daniel-Erasmus Khan von der Universität der Bundeswehr in München: „Die Angehörigen der Internationalen Legion sind durch das humanitäre Völkerrecht als Kombattanten geschützt. Sie sind Teil der ukrainischen Streitkräfte.“ Die Legionäre müssen jedoch „eine für ihre Untergebenen verantwortliche Person an ihrer Spitze haben, ein bleibendes und von Weitem erkennbares Unterscheidungszeichen führen, ihre Waffen offen tragen und bei ihren Kampfhandlungen das humanitäre Völkerrecht achten“. So fordern es die „Haager Landkriegsordnung“ von 1918 und das „Genfer Abkommen über Kriegsgefangene“ von 1949.

    In Donezk werden Legionäre als Terroristen zum Tode verurteilt

    Gerade aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion und Nachbarländern melden sich Freiwillige aus Überzeugung, um der Ukraine beizustehen. Die russische Invasion sehen sie als direkte Gefahr für ihre eigene Heimat. Wie viele Kämpfer derzeit die Legion zählt, gibt das Verteidigungsministerium nicht preis. Doch verschiedenen Berichten zufolge veranlassten die heftigen

    Das Risiko ist nicht nur im Gefecht hoch. In der selbst ernannten Volksrepublik Donezk wurden Legionäre jüngst als „Terroristen“ zum Tode verurteilt. Gerade kursiert ein Video in der Ukraine, das zeigt, wie russische Soldaten einen ukrainischen Gefangenen foltern. Unabhängig überprüfen lassen sich solche Aufnahmen nicht. Aber bei Leuten wie Sabyrzhan hinterlassen sie Wirkung.

    Davon erzählt auch seine Frisur. Ein Blick durch die Halle zeigt: Egal ob aus Georgien oder Kolumbien, fast jeder trägt Kurzhaarschnitt. Nur der 23-Jährige nicht. „Manchmal weiß ich nicht, ob ich am nächsten Tag noch lebe. Jetzt will ich einfach überleben, hier in einem Stück herauskommen und dabei ein Mensch bleiben. Deswegen trage ich meine Haare weiterhin lang. Weil ich nicht vergessen will, dass es vor dem Krieg ein anderes Leben gab.“ Dann entschuldigt sich der Soldat. Er will noch ein wenig Zeit für sich.

    Wenig später verlassen die ersten Soldaten die Halle. Sie werden in vier Gruppen aufgeteilt. „Eine soll in das Dorf einrücken, zwei weitere gegen russische Stellungen außerhalb vorrücken. Die vierte koordiniert von einer strategisch günstigen Stellung den Vormarsch. Unterstützt werden wir von Artillerie und ukrainischen Einheiten“, erklärt George. Der 26-Jährige ist stellvertretender Kommandeur der Einheit. Wie alle Offiziere der Legion ist er Ukrainer. Auf Soldaten wie Sabyrzhan ist er sichtlich stolz. „Das ist ein feiner junger Mann“, sagt der ebenfalls sehr junge Offizier, der Männer befehligt, die vom Alter her seine Väter sein könnten.

    „Es ist nicht leicht, so viel Verantwortung zu tragen. Gerade weil die Aufgabe, die man erfüllen muss, Menschenleben fordert. Es ist ein harter Kampf“, erklärt er. „Vor geraumer Zeit hatten wir einige ehemalige Bundeswehrsoldaten, die auch in Afghanistan im Einsatz waren. Stolz erzählten sie anfangs von ihren Erfahrungen. Doch sie mussten schnell lernen, dass sie eben keine echten Kampferfahrungen hatten. Zumindest im Vergleich zu dem, was sie hier durchstehen müssen. Sie blieben nicht lange bei uns und kehrten nach Deutschland zurück.“ Mit seiner Truppe ist er jetzt zufrieden. Die Männer sind erfahren, haben harte Einsätze hinter sich. Mit kriegslüsternen Möchtegerns kann der Offizier nichts anfangen.

    Aus der Halle, in der die Legionäre auf ihren Einsatz warten, dringt kein Licht

    George verabschiedet sich. Soldaten verschwinden mit Kalaschnikows und tragbaren Maschinengewehren in betagten grün lackierten VW-Bussen. Es geht zum Sammelpunkt für den Angriff. Auf den Weg dorthin bieten die Wagen wenig Schutz, es fehlt jede Panzerung. Den Stahl der Seitenwände durchschlägt jede Kalaschnikowkugel. Durch die Frontscheibe eines der Transporter ist bereits ein Geschoss gepfiffen. Die Wagen verschwinden in einer Staubwolke vom Gelände.

    Nachts, wenige Stunden vor dem Kampf: Die Soldaten sammeln sich in einer Halle. Kein Licht darf ihre Position verraten. Die Stimmung ist angespannt.
    Nachts, wenige Stunden vor dem Kampf: Die Soldaten sammeln sich in einer Halle. Kein Licht darf ihre Position verraten. Die Stimmung ist angespannt. Foto: Till Mayer

    Sabyrzhan ist für die Kommandotruppe eingeteilt. Sie wartet bis zum Einbruch der Nacht. In der Halle ist es stockdunkel. Kein Licht darf den Standort verraten, die russische Artillerie würde die Halle in Grund und Boden schießen. So haben die Soldaten ihre Lichter auf den Helmen meist auf den rot leuchtenden Modus gestellt. Lichtfetzen flackern über den Boden. Eine letzte kurze Besprechung. Dann geht es mit drei Wagen in die Nacht.

    An einem Steuer sitzt Andrii aus Belarus. Er ist von Beruf Arzt. Seit Jahren praktiziert er in Kiew. „Ich bin hier, weil ich in der Ukraine gesehen habe, wie wertvoll die Freiheit ist. So anders als in meiner alten Heimat, in der eine Diktatur herrscht“, sagt er, als die Wagen für einige Minuten stoppen, bis eine weitere Freigabe für das nächste Streckenstück erfolgt. Die Scheinwerfer werden ausgemacht, wo immer der Mond auch nur annähernd genug Licht zum Fahren spendet. Ansonsten muss es mit Standlicht gehen. Die Armaturen sind abgeklebt, auch sie wären gefährliche Lichtquellen.

    Die Wagen holpern durch leere Siedlungen, über mit Schlaglöchern übersäten Asphalt. Dann geht es von der Straße herunter und auf einer Wiese weiter. Der Fahrer holt aus dem Wagen raus, was geht. An einem Waldstück steigen die Soldaten aus. Mit schnellen Schritten geht es weiter, 20, 30 Minuten durch die Dunkelheit. Bis zu einer Stellung der ukrainischen Armee, die als Kommandopunkt dienen wird.

    Die Soldaten können ein Dorf von den Russen befreien

    Zwei, drei Stunden sind es noch bis zum geplanten Sturm auf das Dorf. Im Wald herrscht Stille. Dann zerreißen die ersten Geschosse die Ruhe. In einem Erdloch bedient Sabyrzhan mit seinem Kommandanten das Funkgerät. In einem Graben am Waldrand beobachten zwei Soldaten mit Ferngläsern das Geschehen. Ein weiterer lässt eine Drohne hochsteigen. Aus nahen Stellungen bellen Maschinengewehre der Ukrainer zur Feuerunterstützung. Raketen rauschen durch die Luft, das Zischen von Granaten ist zu hören. Die Russen antworten mit gleichen Kalibern. Doch sie können den Kommandopunkt nicht lokalisieren, ebenso nicht die Positionen der Maschinengewehre. So pfeifen Granaten über den Kopf des 23-Jährigen hinweg.

    Als die Geschosse zunehmen, sucht einer der Soldaten Schutz in einem Splittergraben.
    Als die Geschosse zunehmen, sucht einer der Soldaten Schutz in einem Splittergraben. Foto: Till Mayer

    Pfiuuuh. Pfiiuuhhh. Die Soldaten ziehen die Köpfe ein. Aus dem Wald ist ein Einschlag zu hören. Ein ukrainischer Soldat liegt im Splittergraben und hält sich die Ohren zu. Sabyrzhan steht am Funkgerät. Er ist nervös und raucht eine Zigarette nach der anderen. Die Nachrichten, die aus dem Funkgerät knarzen, sind zumindest teilweise wenig ermutigend. Das Dorf ist bis auf ein Gebäude, in dem sich eine Handvoll russischer Soldaten verschanzt hat, eingenommen. Das ist die Erfolgsmeldung. Aber die beiden russischen Stellungen konnten nicht wie erhofft überrannt werden. Es gibt heftige Kämpfe. Ein belarussischer Legionär kommt dabei ums Leben. George wird schwer verletzt, ebenso zwei weitere Kameraden.

    Die Männer im Beobachtungsstand verfolgen mit dem Fernglas, wie die Soldaten in Sicherheit gebracht werden. Die VW-Transporter rattern mit vollem Tempo durch das Grün. „Immerhin, das Dorf ist befreit“, freut sich Sabyrzhan. Doch schon am nächsten Tag droht ein Konterangriff der russischen Armee.

    Sabyrzhan wird mindestens eine weitere Kerze vor dem Schewtschenko-Porträt anzünden. Wenn alles gut geht und er heil aus der Stellung kommt.

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