Frau Oels, sie forschen am Zentrum für Klimaresilienz der Universität Augsburg zu Klimapolitik und verfolgen daher intensiv die Weltklimakonferenz, die an diesem Wochenende in Baku enden soll, auch eine Mitarbeiterin von Ihnen war vor Ort. Wieder einmal prägen zähe Verhandlungen und wahrscheinlich ein Kompromiss mit kleinen Schritten die Veranstaltung. Dabei drängt die Zeit, die Klimakrise schreitet scheinbar unaufhaltsam voran. Wozu brauchen wir diese Weltklimakonferenz noch?
Angela Oels: Sie dient als Druckmittel, um den Finger in die Wunde zu legen und lenkt Aufmerksamkeit auf das Thema. Und sie bringt all die Positionen, die miteinander streiten, auf einem Gelände zusammen. Auf den Klimakonferenzen wird um die Deutungshoheit über die Klimapolitik gerungen. Es ist der Ort, wo sich die internationale Gemeinschaft der Frage stellen muss, ob sie genug macht. Und die Antwort ist derzeit ganz klar nein. Deshalb brauchen wir die Konferenz dringender denn je.
Braucht die Klimakonferenz trotzdem Reformen?
Oels: Weil in diesem Jahr 1700 Vertreter der fossilen Industrie vor Ort sind, wird darüber diskutiert, ob sie die Verhandlungen behindern und besser nur unter bestimmten Bedingungen zugelassen werden sollten. Eine grundlegende Reformdebatte halte ich nicht für zielführend, weil auf der Konferenz das Konsensprinzip gilt. Diejenigen, die ein Interesse am Status quo haben, werden einfach nicht zustimmen.
Was wird von der Klimakonferenz 2024 hängen bleiben?
Oels: Im kommenden Jahr müssen alle Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaabkommens neue und ehrgeizigere Klimaziele für das Zieljahr 2035 einreichen. Bei vielen Entwicklungsländern ist die Frage, wie weit sie dabei gehen können, davon abhängig, wie viel Geld sie dafür erhalten. Dieses Signal, dass die Industrieländer finanziell unterstützen, muss die Klimakonferenz liefern. Viele Entwicklungsländer haben ihre Zustimmung zum Pariser Abkommen im Jahr 2015 davon abhängig gemacht, ab 2020 bis 2025 jährlich 100 Milliarden Dollar von den Industrieländern zu erhalten. Es wurde leider nicht vereinbart, was für Finanzströme anrechenbar sind und wer die Zielerfüllung überprüft. Als Folge wird nun darüber gestritten, ob das Ziel erreicht wurde oder nicht. Benötigen würden die Entwicklungsländer für die neue Runde der nationalen Klimaziele rund eine Billion US-Dollar jährlich im Zeitraum von 2025 bis 2035. Nur dann können sie ihren Teil dazu leisten, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Wenn wir über Emissionen sprechen, sind es ja aber nicht die Entwicklungs-, sondern die Industrieländer, die den größten Anteil an der Klimaerwärmung haben. Wie bedeutend sind die Entwicklungsländer deshalb überhaupt?
Oels: Es geht darum, dass die Entwicklungsländer, von denen viele hoch verschuldet sind, drei Dinge finanzieren können. Erstens den Klimaschutz: Dort, wo es noch gar keinen Strom gibt, sollen keine neuen fossilen Kraftwerke gebaut werden, sondern gleich Erneuerbare eingesetzt werden. Zweitens ist Geld für Klimaanpassung nötig: Entwicklungsländer sind vom Klimawandel besonders betroffen, haben aber nicht das Geld, um sich vor den Folgen zu schützen. Weil dieser Bereich aber für die private Wirtschaft nicht rentabel ist, muss er mit Zuschüssen finanziert werden. Der dritte Bereich sind Schäden und Verluste durch Klimafolgen, die nicht mehr vermieden werden können. Für diesen Zweck gibt es einen Fonds, in dem allerdings nur 750 Millionen Euro stecken. Alleine die Schäden im Ahrtal zu reparieren, kostet rund 30 Milliarden Euro. Man sucht händeringend nach weiteren innovativen Geldquellen. Diskutiert wird dabei über die vom G20-Gipfel in Rio Anfang der Woche vorgeschlagene Milliardärssteuer oder Abgaben auf Schiffs- und Flugverkehr nach dem Verursacherprinzip.
Auf welche Akteure kommt es beim Klimaschutz an?
Oels: Die Industrieländer sind diejenigen, die immer Vorreiter sein müssen, weil sie historisch gesehen den größten Anteil an CO2-Emissionen hatten. Inzwischen ist allerdings auch China entscheidend, das für derzeit 30 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Die gute Nachricht ist, dass China seine erneuerbaren Energien massiv ausbaut und vielleicht schon dieses Jahr den Höhepunkt seiner Treibhausgas-Emissionen erreicht. In den Industrieländern sinken die Treibhausgas-Emissionen nicht schnell genug. Weltweit müssten die Emissionen von 2019 bis 2030 um 43 Prozent fallen - leider steigen sie aber aktuell noch. Deutschland kann sich auf die Fahne schreiben, dass der schon angesprochene Fonds für die Bewältigung von Schäden und Verlusten in den vergangenen zwei Jahren zustande kam.
Und woran hakt es?
Oels: In Baku weigerte sich die EU gemeinsam mit den anderen Industrieländern bis zum letzten Konferenztag, eine genaue Summe für das neue Finanzierungsziel zu benennen, die man bereit wäre, an die Entwicklungsländer ab 2026 jährlich zu zahlen. Erst seit Freitagnachmittag kursiert eine Beschlussvorlage mit der Zahl von 250 Milliarden US Dollar jährlich bis 2035, die weit hinter den Erwartungen der Entwicklungsländer zurückbleibt. Bei den Verhandlungen gibt es eine Pattsituation: Die Industrieländer sind sehr unzufrieden darüber, dass die Konferenz hinter die Klimaschutz-Ergebnisse des Vorjahres zurückfallen könnte. Für die Industrieländer ist es zentral, dass das Ziel einer Abkehr von den fossilen Energieträgern auch auf dieser Konferenz bekräftigt wird. Die Entwicklungsländer merken aber zu Recht an, dass sie ambitionierteren Klimaschutz aus eigener Kraft nicht finanzieren können. Sie fordern berechtigterweise Wege zum Schuldenerlass, auch im Beschlusstext, sonst haben sie in Sachen Klimaschutz keinerlei Handlungsspielraum.
Ist da auch Migration ein Thema auf der Konferenz?
Oels: Ja, auf jeden Fall. Meine Mitarbeiterin Alina Kaltenberg ist in Baku vor Ort und untersucht die Diskussion über dieses Thema. Viele Menschen verlieren bereits heute als Folge des Klimawandels ihre Lebensgrundlage. Aber der Diskurs, dass Millionen Klimaflüchtlinge nach Deutschland kommen werden, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Die meisten Menschen schaffen es gerade mal in den Slum der nächsten großen Stadt, die allerwenigsten überqueren eine Landesgrenze. Neu an der Debatte ist, dass Vertreibung durch Klimafolgen inzwischen auch unter der Überschrift von Schäden und Verlusten eingeordnet wird. Wenn das anerkannt würde, könnten Betroffene finanzielle Unterstützung aus dem Fonds zur Bewältigung von Schäden und Verlusten erhalten. Es ist nicht so, dass alle dringend zu uns kommen wollen. Die meisten von Klimafolgen Betroffenen pochen auf das Recht, in ihrer Heimat bleiben zu können. Sie bleiben teils auch, wenn es dort angesichts von Klimafolgen lebensgefährlich wird. Effektiver Klimaschutz ist also das wirksamste Mittel gegen zahlreiche Fluchtursachen.
Sie haben Gastgeber Aserbaidschan schon angesprochen: Das Land lebt vor allem vom Öl, wie die Emirate als Gastgeber im vergangenen Jahr auch. Wie nehmen Sie die Rolle des Landes wahr?
Oels: Aserbaidschan hat sich nicht darum gerissen, die Konferenz auszutragen. Es blieb am Ende als das einzige Land in Osteuropa übrig, gegen das es keine Einwände von Seiten Russlands gab. Aserbaidschan hat die Konferenz dann gleich sehr undiplomatisch eröffnet: Der Präsident hat in seiner Rede in alle Richtungen ausgeteilt und viele gegen sich aufgebracht, statt Brücken zu bauen. Das war ein schlechter Start. Die Präsidentschaft von Aserbaidschan zeigt auch bei den Verhandlungen weder Geschick noch Ehrgeiz. Aserbaidschan hat zudem provoziert, indem es die fossilen Energien als „Geschenk Gottes“ bezeichnet hat – und das bei einer Konferenz, bei der es um die Abkehr von den fossilen Energien gehen soll. Ein positives Zeichen ist ja gerade, dass über diese Abkehr endlich offen gesprochen wird. Was aber noch fehlt, ist ein Plan für den Ausstieg zum Beispiel aus der Kohle. Und der wird auch dieses Jahr nicht kommen.
So zäh die Verhandlungen laufen und angesichts dessen, dass die USA unter Donald Trump wieder aus dem Pariser Abkommen austreten dürften: Wie ernst nimmt denn die Weltgemeinschaft den Klimaschutz jetzt?
Oels: Der sichere Ausstieg von Trump aus dem Abkommen erschüttert die Verhandlungen tatsächlich gar nicht so sehr. Zum einen gab es das schon einmal in seiner ersten Präsidentschaft, und die Amerikaner kamen dann wieder. Und zum zweiten waren die USA wegen der fehlenden Mehrheit der Demokraten im US-Senat ohnehin keine großen Treiber oder Geldgeber mehr für den Klimaschutz. Weil inzwischen die erneuerbaren Energien zu den günstigsten Energieträgern zählen, wird auch Trump deren rasante weltweite Verbreitung nicht mehr aufhalten können. Dennoch stellt sich die Frage, ob wir schnell genug sind. Und da lautet die Antwort gerade eindeutig nein. Nach jetzigem Stand werden wir das Ziel verfehlen, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Und das wird drastische Folgen haben – auch hier bei uns. Alles, was wir jetzt nicht machen, verursacht in Zukunft Klimaschäden, die uns und unsere Kinder teuer zu stehen kommen. Nach Berechnungen könnten wir uns Schadenskosten in Höhe von bis zu 18 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2030 sparen, wenn wir das 1,5 Grad Ziel einhalten. Wir müssen uns klarmachen, dass Klimaschutz sich auszahlt.
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