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Aufstand von Wagner-Chef Prigoschin: Wird er Putin gefährlich?

Hintergrund

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin – ein Mann geht über Leichen

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    Der Chef der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, bei der Beerdigung eines Kämpfers seiner Truppe. Prigoschin hat aus der Söldner-Truppe ein international tätiges Unternehmen gemacht.
    Der Chef der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, bei der Beerdigung eines Kämpfers seiner Truppe. Prigoschin hat aus der Söldner-Truppe ein international tätiges Unternehmen gemacht. Foto: Uncredited, AP/dpa

    Vom Nobelgastronom zum Chef eines weltweit agierenden Unternehmens. Vom kriminellen Knastbruder zu einem der mächtigsten Männer Russlands. Das hört sich nach einer der vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichten an. Doch harmlos ist diese Story nicht, denn Jewgeni Prigoschin – genannt „Putins Koch“ – und sein Partner Dmitri Utkin, ein Militärexperte, haben ein Monster geschaffen, das Konflikte schürt, Krieg führt, eine Troll-Fabrik zur Desinformation und dunkle Geschäfte betreibt, für brutale Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht wird und nun sogar den Aufstand in Russland probt: Wer ist die Gruppe Wagner?

    In rund 30 Ländern, viele davon in Afrika, waren Wagner-Söldner seit 2014 aktiv. Oft handelte es sich um Sabotageaktionen, die Bekämpfung von Milizen oder regional begrenzte militärische Operationen. Doch aktuell ist die Wagner-Gruppe massiv in den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verwickelt. Ihre Kämpfer stehen in den erbitterten Gefechten an vorderster Front. Ihr massives Eingreifen ist auch die Folge einer neuen russischen Strategie, wie der Politikwissenschaftler Andreas Heinemann-Grüder von der Universität Bonn analysierte: „Der Wandel in der Kriegsführung kommt den Wagner-Einheiten zugute. Die Hoffnung der russischen Militärs, dass die Moral der Ukraine durch Raketenangriffe über lange Distanz gebrochen werden kann, hat sich nicht erfüllt. In Städten wie Soledar oder Bachmut wird jetzt um jede Straße und jedes Haus gekämpft. Das ist die Spezialität der Wagner-Kämpfer.“ Die Taktik führe auch dazu, dass es „jetzt auch aufseiten der Ukraine sehr viele Tote“ gebe. „Was wir dort erleben, ist in seiner Brutalität mit Mariupol durchaus vergleichbar“, sagte der Russland-Experte im Gespräch mit unserer Redaktion am Anfang des Jahres.

    Immer wieder Spannungen zwischen Wagner und russischen Streitkräften

    Schon gibt es Spekulationen, ob die Wagner-Gruppe eine führende Rolle auf russischer Seite spielt. So weit will Heinemann-Grüder nicht gehen. Übernehmen könne Wagner den Krieg nicht, aber in der „Zwischenphase des Krieges“ spiele die Gruppe eine „wichtige Rolle“. Sie ist jedoch von Waffen des regulären Militärs und Geheimdienstinformationen abhängig. Die Söldner-Truppe sei jetzt sehr selbstbewusst. Sie sage, dass sie wieder gutmachen müsse, was das Militär nicht schaffe, weil ihre Kämpfer über eine bessere Moral verfügten und ihre Einheiten bereit seien, sich bis zum letzten Mann zu opfern. „Ihr Motto lautet: Es gibt keinen Rückzug mehr.“ 

    Spannungen zwischen den regulären Streitkräften und den Söldnern ergaben sich fast zwangsläufig. Zumal Prigoschin keine Rücksicht auf Befindlichkeiten nimmt: „All diese Volldeppen sollen mit Sturmgewehren barfuß an die Front“, zeterte er in seinem Telegram-Kanal in Richtung des Generals Alexander Lapin und seiner zurückweichenden Soldaten nach einem der vielen militärischen Rückschläge. Lapin wurde vom russischen Präsidenten Wladimir Putin Ende Oktober 2022 als Kommandeur abserviert – ein klares Statement, zumal Lapin lange hoch in der Gunst Putins stand.

    Die Rivalität ist nicht neu: „Wagner-Söldner haben bereits 2014/15 in der Ostukraine gekämpft. Es gab eigene Strukturen, Plünderungen und Einsätze auf eigene Faust. Das führte zu einem Spannungsverhältnis. Zugleich haben Wagner-Leute dann pro-russische Kommandeure liquidiert, die sich dauerhaft nicht unterordnen wollten“, sagt Heinemann-Grüder. Am Freitagabend erreichte die Rivalität dann eine neue Eskalationsstufe: Prigoschin behauptete, russische Streitkräfte hätten seine Söldner-Truppe angegriffen. Daraufhin stellte sich die Wagner-Gruppe offen gegen die Militärführung Russlands und startete sogar einen Marsch auf Moskau, den Prigoschin nach eigenen Angaben später stoppte.

    Über die personelle Stärke der Wagner-Gruppe kursieren verschiedene Zahlen. Der russische Experte Wladislaw Inosemzew spricht von 37.000 Wagner-Mitgliedern, von denen 11.500 Häftlinge seien. „Am Anfang bestand die Gruppe aus alten Kämpfern, die schon in den Tschetschenien-Kriegen dabei waren und aus Kleinkriminellen mit militärischem Hintergrund, die Geld verdienen wollten. Jetzt werden Strafgefangene rekrutiert, die als Kanonenfutter an die vorderste Front geschickt werden, um die Kugeln auf sich zu ziehen“, erklärt Heinemann-Grüder. Der ukrainische Geheimdienst verfüge über Informationen, dass bei Wagner Türken, Syrer, Männer aus Zentralafrika, Kirgisen, Kasachen, Belarussen, aber auch einige Ukrainer kämpfen. Deutsche sollen ebenfalls dabei sein. „Klar ist, wer als Ausländer zu Wagner geht, kann nicht in ein normales Leben zurückkehren. In Deutschland und anderen westlichen Staaten würde er behandelt werden wie ein Terrorist.“ Forderungen, dem Treiben der Wagner-Gruppe international viel entschlossener entgegenzutreten, wurden in der Vergangenheit immer wieder laut.

    Die Finanzierung der Gruppe spiegelt ihr breites Tätigkeitsfeld wider

    Ein Blick auf die Finanzierung der Gruppe zeigt, wie divers die Tätigkeitsbereiche der Wagner-Gruppe ist. Munition, Waffen oder die Kompensation für Hinterbliebene von getöteten Kämpfern – all das wird verdeckt aus dem russischen Staatshaushalt beglichen. Andere Einnahmequellen sind Plünderungen sowie die Beteiligung an Unternehmen. Da geht es um Öl, Gas, Gold aus Mali, Bodenschätze wie Salz in Soledar, um Edelhölzer, aber auch um Bauprojekte, erklärt Heinemann-Grüder. „Hinzu kommen Finanztransaktionen, auch mit Kryptowährungen. Ein weiteres Geschäftsfeld von privaten Militärfirmen aus Russland ist, Staaten zu beraten, wie Sanktionen umgangen werden können. Da geht es nicht nur um Russland.“ 

    Wie steht Putin zu Prigoschin, hat der Wagner-Chef politische Ambitionen? Fragen, die nicht nur Kreml-Kaffeesatzleser seit Jahren beschäftigen. Der Wagner-Chef landete 1981 in St. Petersburg wegen Raubes im Gefängnis. In den wilden 90er Jahren, nachdem die Sowjetunion in sich zusammengefallen war, eröffnete Prigoschin Luxusrestaurants und eine Catering-Firma. Putin war zu dieser Zeit enger Mitarbeiter des St. Petersburger Bürgermeisters Anatoli Sobtschak. Heinemann-Grüder kann sich gut vorstellen, dass die beiden sich schon in dieser Zeit begegnet sind. Putin habe „keine Berührungsängste zum kriminellen Milieu“ in der Stadt gehabt. Aus späterer Zeit belegen Fotos ihre Bekanntschaft. 

    Wie steht Wladimir Putin zu Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin?
    Wie steht Wladimir Putin zu Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin? Foto: Aleksey Babushkin, Pool Sputnik Kremlin, AP/dpa

    Putins Abhängigkeit von der Wagner-Gruppe hat zugenommen

    Und heute? „Die Abhängigkeit Putins von der Wagner-Gruppe hat durch den Ukraine-Krieg zugenommen. Aber dass Prigoschin eines Tages die Rolle von Putin einnehmen wird, halte ich für ausgeschlossen.“ Das Erfolgsgeheimnis des Präsidenten sei es gewesen, „die verschiedenen Interessen zwischen Politik, Industrie, Landwirtschaft und vor allem zwischen der Zentralmacht und den Regionen auszubalancieren.“ Dazu sei Prigoschin nicht in der Lage.

    Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist erstmals im Januar 2023 erschienen. Wir haben ihn am 24. Juni 2023 aktualisiert.

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