Ein Knall und ein Lichtblitz am Himmel schreckten am Wochenende die Bewohner der iranischen Kleinstadt Badrud auf. Zuerst dachten viele, die nahe Atomanlage von Natanz sei angegriffen worden, denn in Bunkern dort stehen Gaszentrifugen zur Uran-Anreicherung. Schon öfter hat Israel die Anlage mit Sabotageaktionen lahmgelegt, doch diesmal stammte die Explosion von einer iranischen Abwehrübung. Dass die Armee ausgerechnet jetzt ein solches Manöver ansetzt, ist kein Zufall, denn die Atomverhandlungen mit dem Westen stehen vor dem Scheitern: Eine neue militärische Eskalation wird wahrscheinlicher.
Fast ein halbes Jahr waren die Gespräche zwischen dem Iran und dem Westen über eine Wiederbelebung des Atomvertrags von 2015 wegen des Regierungswechsels in Teheran unterbrochen. Der neue Präsident Ebrahim Raisi, ein Hardliner, ließ sich nach seinem Wahlsieg im Juni viel Zeit, um an den Verhandlungstisch in Wien zurückzukehren.
In sechs Gesprächsrunden im Frühjahr hatten der Iran, Europa und die USA nach Medienberichten rund drei Viertel eines neuen Abkommens ausgehandelt. Es sah vor, dass der Iran die Anreicherung von Uran herunterfahren und dafür mit einem Abbau von US-Wirtschaftssanktionen belohnt werden sollte. Auf diese Weise wollten die Unterhändler den Vertrag von 2015 retten, der durch den Ausstieg der USA vor drei Jahren praktisch außer Kraft gesetzt worden war. US-Präsident Joe Biden will mit den neuen Wiener Verhandlungen verhindern, dass der Iran eine Atombombe bauen kann.
Doch als Raisis Delegierte vorige Woche zur Fortsetzung der Verhandlungen in Wien ankamen, zeigte sich bald, dass die neue Führung in Teheran nicht daran denkt, an die Ergebnisse vom Frühjahr anzuknüpfen. Der Iran nahm Kompromisse zurück und stellte neue Forderungen. Die drei europäischen Mächte im Atomvertrag – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – zeigten sich entsetzt. Ohne eine baldige Kursänderung der iranischen Seite wären die Verhandlungen sinnlos.
USA machen Druck: Ohne Bewegung kein Vertrag - und kein Entgegenkommen
Voraussichtlich an diesem Mittwoch soll es in Wien weitergehen. Wenn die iranische Delegation bei ihrer Haltung bleibt, könnte der Westen die Gespräche für gescheitert erklären und neue Sanktionen auf den Weg bringen. Mit dieser Drohung wollen die USA und Europa den Iran zu Kompromissen bewegen. Der Iran müsse verstehen, dass er mit seiner derzeitigen Haltung keine Vorteile für sich erzwingen könne, verlautete aus dem US-Außenamt. Ohne Kursänderung könne der Iran nicht auf einen Sanktionsabbau hoffen, um die schwere Wirtschaftskrise zu lindern.
Die Frage ist, ob Raisi nur pokert, um im letzten Moment einzulenken, oder ob er ein Scheitern in Kauf nehmen will, wenn der Westen seine Forderungen nicht erfüllt. Nach seinem Amtsantritt im Sommer hatte der iranische Präsident gesagt, er wolle sein Land von der Last der Sanktionen befreien – aber nicht um jeden Preis.
Raisis Regierung nutzte die Pause, um die Uran-Anreicherung auf 60 Prozent zu steigern – im Atomvertrag ist dem Iran eine Anreicherung von unter vier Prozent erlaubt. Für das nun erreichte Niveau gebe es keine zivile Anwendung, berichtete die New York Times. Für eine Atombombe brauche es eine Anreicherung von über 90 Prozent.
Kann der Iran rasch zur Atommacht aufsteigen?
Schon jetzt könnte die Erfahrung mit der Anreicherung dem Iran wichtiges Know-how in der militärischen Atomtechnologie eingebracht haben. Falls Raisi und sein Mentor, Revolutionsführer Ali Khamenei, zu dem Schluss kommen, dass der Iran rasch zur Atommacht werden kann, dürfte Teheran bei den Wiener Verhandlungen weiter kompromisslos auftreten.
Die nächsten Tage also werden zeigen, was der Iran vorhabe, sagte US-Außenminister Antony Blinken. Nach US-Regierungsangaben wurden auch Russland und China, die den Iran unterstützen, von dessen destruktiver Verhandlungstaktik in Wien überrascht. Iran-Gegner wie Israel und US-Republikaner sehen sich in ihrer Haltung bestätigt, wonach nur politischer und militärischer Druck im Umgang mit Teheran zu Ergebnissen führt.
Angesichts der Reaktionen rückte Teheran am Montag zumindest etwas von der kompromisslosen Haltung der vergangenen Woche ab. Der Iran sei bereit, über seine Forderungen zu sprechen, sagte Außenamtssprecher Saeed Khatibzadeh. Man warte auf die Gegenvorschläge des Westens.