Nach der Tötung eines Polizisten durch einen afghanischen Flüchtling in Mannheim hat Bundeskanzler Olaf Scholz eine Verschärfung der Abschieberegeln angekündigt. „Solche Straftäter gehören abgeschoben, auch wenn sie aus Syrien oder Afghanistan stammen. Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder haben hier nichts verloren“, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag. „Wer unseren Schutz ausnutzt, wie der Täter von Mannheim, der hat diesen Schutz verwirkt“, begründete er den Kurswechsel in der Asylpolitik wenige Tage vor der Europawahl. Es ist der zweite binnen weniger Tage. Vergangene Woche erst erteilte Scholz der Ukraine die Erlaubnis, mit deutschen Waffen Ziele in Russland anzugreifen.
Scholz will Straftäter auch nach Afghanistan abschieben
Nach dem Willen des Bundeskanzlers sollen künftig auch Menschen außer Landes geschafft werden können, die terroristische Verbrechen verherrlichen. Scholz sprach der Familie des getöteten Polizisten sein Mitgefühl aus. Sein Tod „hat uns alle ins Herz getroffen“.
Bislang werden Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive und sogar Straftäter, die aus Afghanistan und Syrien stammen, nicht in ihre Heimatländer abgeschoben. Grund dafür ist die politische Lage in beiden Staaten. Afghanistan wird von den radikalislamischen Taliban regiert, in Syrien herrscht Diktator Baschar al-Assad. Scholz zufolge sei die Bundesregierung mit Nachbarländern Afghanistans in Kontakt, um Abschiebungen über den Umweg zu ermöglichen.
Pro Asyl wirft Bundesregierung Bruch des Völkerrechts vor
Die Pläne des Kanzlers stoßen allerdings auf massiven Widerstand von Experten und Flüchtlingsorganisationen. Karl Kopp, Geschäftsführer von Pro Asyl, wirft der Bundesregierung einen klaren Rechtsbruch vor: „Das Völkerrecht verbietet ganz eindeutig jegliche Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien. Denn in beiden Ländern drohen Folter und unmenschliche Strafen“, betonte Kopp gegenüber unserer Redaktion. Das betonten auch die Vereinten Nationen immer wieder. Die Tat von Mannheim habe alle schockiert, die Bundesregierung müsse aber auf die Mittel des deutschen Rechtsstaates setzen. „Das Folterverbot gilt absolut und für jeden – auch für Straftäter“, so Kopp.
Der bekannte Leipziger Asylrechtsexperte und Rechtsanwalt Matthias Lehnert sieht hohe rechtliche und praktische Hürden in den Plänen der Bundesregierung. „Selbst das Bundesamt für Migration hat festgestellt, dass Abschiebungen nach Afghanistan mit Blick auf die Europäische Menschenrechtskonvention in aller Regel menschenrechtlich unmöglich sind“, betonte Lehnert. Die Menschenrechte würden universell für alle Menschen gelten, selbst wenn sie schwerste Verbrechen begangen haben. Auch bei Abschiebungen über den Umweg von Drittstaaten greife die Menschenrechtskonvention. Bei Afghanistan komme als zusätzliche Hürde hinzu, dass es sich bei den Taliban als Machthaber um keine international anerkannte Regierung handle. „All diese schwierigen Fragen werden im Einzelfall Gerichte aufwendig klären müssen, das kann nicht ein Bundeskanzler einfach festlegen“, so Lehnert.
Auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, verwies im Bundestag darauf, dass es angesichts der fehlenden Menschenrechte in Syrien und Afghanistan keine einfachen Antworten auf die Frage geben könne, wie Flüchtlinge dorthin zurückgebracht werden könnten.
Merz fordert Scholz zum Handeln auf
Deutschland unterhält keine offiziellen diplomatischen Beziehungen mehr zu Kabul, seit die Taliban vor drei Jahren die Macht übernommen haben. Syrien und Deutschland pflegen trotz des Bürgerkrieges und der Verbrechen des Assad-Regimes offizielle Verbindungen, obwohl die deutsche Botschaft in Damaskus seit 2012 geschlossen ist. Zu den Taliban bestehen unterhalb der offiziellen Kanäle Kontakte. In seiner Antwort auf die Rede des Bundeskanzlers forderte Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU), genau jene Kontakte zu nutzen, um mit den islamistischen Machthabern über die Rücknahme ihrer Landsleute zu verhandeln.
Merz warf der Bundesregierung vor, der Bedrohung durch Islamisten sowie Rechts- und Linksextreme bislang zu wenig entgegenzusetzen. „Die Zeit des Warnens und des Verurteilens, des Abwiegelns und der Ankündigungen, diese Zeit ist jetzt vorbei. (…) Ihre Regierung, Herr Bundeskanzler, muss jetzt handeln“, forderte der 68-Jährige. Er rief die Ampel-Koalition auf, die demnächst geplante Abstimmung über die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zu verschieben. SPD, Grüne und FDP wollen Ausländern den Weg zum deutschen Pass erleichtern und doppelte Staatsbürgerschaften grundsätzlich ermöglichen.
AfD übt erneut scharfe Kritik an Migrationspolitik
Die AfD nutzte die Debatte im Reichstag für scharfe Kritik an der deutschen Migrationspolitik. „Der Messerstecher von Mannheim hätte nicht hier sein dürfen“, sagte Fraktionschefin Alice Weidel in ihrer Rede. Der deutsche Staat könne seine Pflicht nicht mehr erfüllen, die Sicherheit und die Rechte der Bürger zu schützen. Der Fall zeige exemplarisch das „migrationspolitische Versagen dieser Regierung und der CDU-geführten Vorgänger“. Weidel forderte eine Kehrtwende und die Schließung der Grenzen.
In Deutschland hat sich die politisch motivierte Gewalt von rechts, links und religiösen Extremisten in den vergangenen zehn Jahren beinahe verdoppelt. Seit dem Terror der Hamas gegen Israel im Oktober 2023 hat die Zahl antisemitischer Straftaten drastisch zugenommen. Die Daten hatte das Bundeskriminalamt kürzlich vorgelegt.
Der Afghanistan-Experte Reinhard Erös hält eine Abschiebung für durchaus realistisch, da Kabul den Namen Afghanistans durch den Messerstecher in den Schmutz gezogen sehe: „Ich habe am Donnerstag mit zwei hochrangigen Mitgliedern der Taliban-Regierung gesprochen. Beide haben Bereitschaft signalisiert, den Mann nach einer Verurteilung in Deutschland zu übernehmen“, berichtete Erös, der über sehr gute Kontakte in Afghanistan verfügt, gegenüber unserer Redaktion. Er würde dann in Kabul in eine Haftanstalt überführt werden. Es sei zugesichert worden, dass Deutschland sich jederzeit davon überzeugen könne, dass der Mann ordentlich behandelt werde. Erös, Gründer der Organisation „Kinderhilfe Afghanistan“, erklärte: „Berlin müsste lediglich die im Verhältnis verschwindend geringen Kosten für die Unterbringung im Gefängnis zahlen.“