Vor dem Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern am Mittwoch deutet noch nichts auf eine Verständigung hin. Der Streit zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten um Milliarden Euro wird jetzt noch durch Meinungsverschiedenheiten in der Ampel-Koalition angeheizt.
Die Aufgabe ist enorm. In Deutschland suchen wieder so viele Menschen Schutz wie während der großen Flüchtlingskrise 2015 und 2016. Die FDP als eine der Ampel-Parteien fordert einen Bruch mit der bisherigen Zuwanderungspolitik. "Wir brauchen eine Wende in der Migrationspolitik: Viel zu lange hat Deutschland es denen schwer gemacht, die hier arbeiten wollen – und gleichzeitig haben wir es denjenigen zu leicht gemacht, die bei uns keine Perspektive haben. Das müssen wir umkehren", sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr unserer Redaktion.
FDP-Fraktionschef Dürr will sich im Umgang mit Geflüchteten an USA und Kanada orientieren
Er will die Zuwanderung viel stärker nach dem Beispiel von den USA und Kanada ausrichten, die zwar auch Verfolgte aufnehmen, aber Menschen vor allem nach dem Personalbedarf ihrer Wirtschaft zu sich holen. Dürr sprach sich aus diesem Grunde dafür aus, Flüchtlingen weniger Bargeld zu geben und im Gegenzug Sachleistungen, wie Kleidung, Essenspakete, Geschirr und Töpfe, zur Verfügung zu stellen. "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Direktzahlungen ein Magnet für Menschen sein können, um in die sozialen Sicherungssysteme einzuwandern." Die SPD weist das zurück und begründet das mit dem hohen bürokratischen Aufwand für Beschaffung und Ausgabe der Sachleistungen.
Um Geldzahlungen in höherer Dimension zanken wiederum Bund und Länder. Die Forderungen der Ministerpräsidenten sind noch nicht auf einen Nenner gebracht. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verlangt 8 Milliarden Euro aus der Bundeskasse, sein Amtskollege Boris Rhein aus Hessen (auch CDU) hat 5,5 Milliarden in den Ring geworfen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wiederum liegt auf einer Linie mit Wüst. Doch Bundesfinanzminister Christian Lindner will keine zusätzlichen Mittel lockermachen. Der FDP-Vorsitzende ist allenfalls zu symbolischen Zugeständnissen bereit und weiß seine Liberalen hinter sich. "Der Bund hat Länder und Kommunen bereits mit vielen Milliarden Euro unterstützt. Ministerpräsidenten wie Markus Söder sollten daher aufhören, ständig neue Mittel vom Bund einzufordern und stattdessen selbst aktiv werden", konterte Fraktionschef Dürr die Forderungen.
Flüchtlingsgipfel: Bayerns Innenminister verlangt konsequentere Abschiebepolitik
Der Bund selbst beziffert die Unterstützung der Flüchtlinge im laufenden Jahr auf 16 Milliarden Euro. Laut Grundgesetz sind eigentlich Länder und Kommunen dafür zuständig. Die Ministerpräsidenten halten der Bundesregierung falsche Zahlen vor und werfen ihr vor, entgegen der eigenen Behauptung die Finanzhilfen in den vergangenen Jahren sogar zurückgefahren zu haben. "Erhebungen der Bundesländer belegen, dass die Mittel, die der Bund für 2022 und 2023 gewährt, nur einen Bruchteil der Kosten für Asyl und Integration ausmachen. Heuer sinkt der Bundesanteil auf unter 20 Prozent", sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann unserer Redaktion.
Damit die Akzeptanz in der Bevölkerung für Flüchtlinge nicht erodiere, verlangte Herrmann mehr Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber. "Diejenigen, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, müssen unser Land verlassen, notfalls durch Abschiebungen", betonte der CSU-Politiker. Bei der Steuerung der illegalen Zuwanderung brauche es "endlich konkrete Taten statt nur wohlklingender Worte".
Immerhin hier deutet sich ein Kompromiss an. "Bund und Länder werden die Zahl der Rückführungen ausreisepflichtiger Personen steigern", heißt es in der Beschlussvorlage zum Flüchtlingsgipfel. Das Papier liegt unserer Redaktion vor. Der Bund verspricht darin, die Länder bei den Abschiebungen zu unterstützen. So soll laut Entwurf unter anderem die Abschiebehaft verlängert werden, damit eine Abschiebung sorgfältiger vorbereitet werden kann. Klagen werden den Vorschlägen zufolge keine aufschiebende Wirkung bei Abschiebungen mehr haben. Bayerns Innenminister Hermann zeigte sich jedoch skeptisch: Nach der Ankündigung einer "Rückführungsoffensive" seien kaum konkrete Maßnahmen erfolgt. "Die aktuelle Beschlussvorlage des Kanzleramts lässt hier leider keinen Durchbruch erwarten", so Herrmann.
Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat Deutschland mehr als eine Million Ukrainer aufgenommen. Außerdem kamen im vergangenen Jahr 218.000 Schutzsuchende aus anderen Ländern, die meisten aus Syrien und Afghanistan. Auch im laufenden Jahr erreichen jeden Monat rund 20.000 Flüchtlinge Deutschland.