Wenn Nancy Faeser in der Vergangenheit auf ihre europäischen Amtskollegen traf, füllte sie oft eine Art Sonderrolle aus. Die Bundesinnenministerin war es, die aus dem Gros der Befürworter von härteren Maßnahmen gegen Migranten gerne ausscherte und auf humanitäre Standards gepocht hatte. Doch nach dem Kurswechsel in der Berliner Flüchtlingspolitik wirkt es, als nähere sich die SPD-Frau zunehmend der strikten Linie der übrigen Mitgliedstaaten an. Das zeigte dieser Donnerstag, als die EU-Innenminister auf dem Luxemburger Kirchberg zusammenkamen.
Die Politiker signalisierten, dass die Migrationspolitik in der Union weiter verschärft werden soll. So sprach sich Faeser etwa für strengere Abschieberegeln aus. Demnach müsse die EU-Rückführungsrichtlinie dringend überarbeitet werden, weil sie in der Praxis häufig nicht funktioniere. Als Beispiel nannte Faeser die Möglichkeit zur Zurückweisung an den Grenzen, wobei dafür Verträge mit Drittstaaten vereinbart werden müssten. Vor wenigen Tagen hatten sich 17 EU-Länder zusammengeschlossen und in einem Diskussionspapier die EU-Kommission aufgefordert, die 16 Jahre alte Richtlinie zu überarbeiten, um Migranten, die keinen legalen Aufenthaltsstatus in der EU haben, schneller und leichter in ihre Heimat zurückschicken zu können. Dass die Bundesrepublik ebenfalls auf der Liste der Unterzeichner stand, wird in Brüssel als Zeichen für die deutsche Neuorientierung in der Asylpolitik bewertet.
In der nächsten Woche sind die Staats- und Regierungschefs am Zug
Nächste Woche wollen die 27 Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel über das Thema sprechen. Und dabei scheint kein Schritt mehr drastisch genug. Vielmehr sucht die Gemeinschaft nach Wegen, wie sie Menschen, die noch nicht europäischen Boden betreten haben, fernhalten kann. Als „informelle Drehscheibe“ für Migranten gelte beispielsweise die Türkei, sagte ein Brüsseler Diplomat. Um zu verhindern, „dass sie nach Europa gelangen“, sollte man sich vor Ort „stärker engagieren“. Will die Union Asylverfahren in Drittstaaten auslagern? Einige der Gedankenspiele erinnern an das gescheiterte Ruanda-Modell des Vereinigten Königreichs oder den Deal der Italiener mit Albanien. Faeser sagte, man prüfe gerade rechtlich die Möglichkeiten solcher Asylverfahren in Drittstaaten.
Die Tabus fallen derzeit wöchentlich. Das liegt nicht nur am Rechtsruck im EU-Parlament, sondern auch an den Erfolgen der Rechtsextremen in Ländern wie den Niederlanden oder Österreich sowie einer neuen rechten französischen Regierung und Siegen der rechtspopulistischen AfD in Deutschland. Hinzu kommt Ungarns EU-Ratspräsidentschaft, die die EU-Grenzen für russische Gastarbeiter öffnete und gleichzeitig damit droht, Migranten in Bussen nach Brüssel zu schicken.
Erst im April gab es eine Verschärfung des Asylrechts
Erst im April hatte die EU-Länder eine deutliche Verschärfung des Asylrechts beschlossen. Nach jahrelangem Streit verabschiedeten sie die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), die strengere Regeln, Asylverfahren an den Außengrenzen sowie einen obligatorischen Solidaritätsmechanismus zwischen den Mitgliedstaaten vorsieht, um Hauptankunftsländer wie Italien, Griechenland oder Bulgarien zu entlasten. Staaten wie Deutschland, wo es besonders viele Migranten hinzieht, würden gleichwohl in Form von sinkenden Flüchtlingszahlen profitieren. „Es geht darum, dass wir eine faire Verteilung bekommen“, so Faeser. Man mache deutlich, dass nicht alle Asylbewerber, die in die EU einreisen, „nur bei uns aufgenommen werden können“.
Das neue System setzt auf Abschreckung und Abschottung, wobei das Recht bislang nicht zur Anwendung kommt, sondern erst in zwei Jahren in Gänze implementiert sein dürfte. Für zahlreiche Experten dauert das zu lange. Es sei „prioritär“, sagte Faeser, den Migrationspakt „schnellstmöglich“ umzusetzen, dafür werde sie in den nächsten Tagen einen Gesetzentwurf vorlegen. In Deutschland gäbe es beispielsweise die Möglichkeit, schon bald an den Außengrenzen, ergo an den Flughäfen, beschleunigte Verfahren durchzuführen. Laut Reform werden diese Schnellverfahren unter haftähnlichen Bedingungen zum Normalfall für alle Asylbewerber, die aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent kommen, wie etwa aus der Türkei.
Ebenfalls debattiert wurde der Zustand des Schengen-Raums, nachdem aktuell acht Länder, darunter Deutschland, wieder Grenzkontrollen eingeführt haben. Diese würden bleiben, „bis wieder Ordnung im System ist“, kündigte Faeser an, auch wenn die Checks zunächst für sechs Monate angemeldet sind. In Brüssel geht man jedoch davon aus, dass sie mindestens ein Jahr lang bleiben werden – bis zur Bundestagswahl 2025. Im Extremfall können die Kontrollen drei Jahre dauern.
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