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Asyldebatte: Die Grünen auf dem harten Boden der Realität

Asyldebatte

Die Grünen auf dem harten Boden der Realität

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    Annalena Baerbock und Robert Habeck verweisen beim Asyl-Kompromiss der EU auf die Notwendigkeit einer Einigung.
    Annalena Baerbock und Robert Habeck verweisen beim Asyl-Kompromiss der EU auf die Notwendigkeit einer Einigung. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Bei den Grünen gärt es: Zur Halbzeit der gemeinsamen Regierung mit SPD und FDP sind viele an der Basis und in der Fraktion unzufrieden: Ob beim Klimaschutz oder in der Sozialpolitik, wichtige grüne Ziele wurden krachend verfehlt. Und jetzt droht auch noch die Zerreißprobe in einem Feld, das für weite Teile der Partei praktisch heiliger Boden ist. Gerade unter jungen Mitgliedern gilt eine von Willkommenskultur geprägte Flüchtlingspolitik als nicht verhandelbar. Doch die Debatte um die Frage, wie die stark angestiegene Asylzuwanderung gehandhabt werden kann, spitzt sich fast täglich weiter zu. Auf nationaler und europäischer Ebene, durch Koalitionspartner und Opposition ebenso wie im Inneren der Partei – überall steigt der Druck. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai warf den Grünen vor, sie seien im Feld der Migrationspolitik ein "Sicherheitsrisiko", weil sie mit realitätsfernen Positionen Lösungen verhinderten. Plötzlich will Innenministerin Nancy Faeser (SPD) Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien prüfen. Die hatte sie selbst lange abgelehnt und die meisten Grünen tun das noch immer. 

    Merz' Angebot und Habecks Ankündigung

    Unionsfraktionschef Friedrich Merz hatte SPD-Kanzler Olaf Scholz gar das Angebot gemacht: "Lassen Sie uns das zusammen machen, und wenn Sie das mit den Grünen nicht hinbekommen, dann werfen Sie sie raus, dann machen wir es mit Ihnen – aber wir müssen dieses Problem lösen." Der grüne Vizekanzler Robert Habeck hat sich inzwischen auch für "moralisch schwierige Entscheidungen" in der Asylpolitik offen gezeigt. Landräte aus ganz Deutschland, manche auch mit grünem Parteibuch, warnen seit Wochen, dass die schiere Zahl der Flüchtlinge die Kommunen überlaste. Habeck stimmt seine Partei auf einen schärferen Kurs ein. Doch bei der eigenen Nachwuchsorganisation stößt er auf harsche Ablehnung. Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend, sagte unserer Redaktion: "Die Grüne Partei darf die angestrebten Verschärfungen nicht mittragen. Das würde die Situation der geflüchteten Menschen nur weiter verschlechtern." Die Grüne Jugend werde stets "für eine Migrationspolitik kämpfen, die den Menschen in den Mittelpunkt rückt". Der Kurs der Bundesregierung dagegen sei geprägt von "Scheinlösungen", warnt Dzienus. "Neue Grenzkontrollen, die Ausweitung angeblich sicherer Herkunftsstaaten und unsinnige Obergrenzen helfen den Kommunen in der aktuellen Lage nicht weiter", sagte er.

    Die Grünen und ihre lange Liste der verpassten Ziele

    Der neu entflammte Streit um die Migration trifft die Grünen in einer Phase, in der viele Mitglieder tief enttäuscht über eine vermeintlich mickrige "Ausbeute" in der Ampel sind. Dass im Zuge des Ukraine-Kriegs und der resultierenden Energiekrise Atommeiler länger liefen und Fracking-Gas eingekauft wurde, dass die letzten Reste des Erbes der Friedensbewegung in der Debatte um Waffenlieferungen beerdigt wurden, daran hatten viele an der Basis zu kauen. Doch die Entkernung des ambitioniert gestarteten Heizungsgesetzes aus dem Haus von Klimaminister Habeck unter dem Druck auch der Ampel-Partner, steigerte den Frust noch einmal gewaltig. Dass Habeck jetzt auch die geplanten schärferen Dämm-Vorschriften für Gebäude kippt, lässt Grünen-nahe Organisationen wie WWF und Deutsche Umwelthilfe toben. Ambitionierte Klimaschutzziele wurden auch im Verkehrssektor geschleift, wo die FDP durchsetzte, dass auch künftig neue Autobahnen gebaut werden. Dann war auch noch die Kindergrundsicherung deutlich schmäler ausgefallen, als erhofft, weil FDP-Finanzminister Christian Lindner bremste. Mit jeder Schlappe verfestigte sich an der grünen Basis der Eindruck: Zu oft knicken wir in der Ampel ein. 

    Kommt ein heißer Asylstreit im Herbst?

    Nun stehen in Sachen Migration weitere heikle Fragen an. Auf europäischer Ebene etwa wird eine Verschärfung der Asyl-Regeln vorbereitet, vorgesehen sind etwa Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen für Migranten mit geringer Bleibeperspektive und mehr Abschiebungen. Dem hatte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock im Juni zugestimmt – was viele Parteifreunde scharf kritisierten. Doch das Reformprojekt droht zu kippen, weil unter anderem Baerbock in einzelnen Punkten Rest-Bedenken hat. Generell kämpfe sie aber "für ein Asylsystem mit Ordnung", betont sie. Timon Dzienus von der Grünen Jugend dagegen fordert "Solidarität statt Abschottung". Nötig sei vielmehr, die Kommunen bei der Aufnahme von Geflüchteten zu unterstützen. Der Bund müsse dafür "Milliarden für dezentrale Unterbringungen, Sprachkurse und Kitaplätze in die Hand nehmen". Die Asyldebatte bei den Grünen jedenfalls nimmt gerade mächtig Fahrt auf – die Partei geht einem unruhigen Herbst entgegen. 

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