Der Fall ist extrem – aber nur einer von vielen. Ahmed A., ein 40-jähriger Syrer, ist als Asylbewerber anerkannt und in einer Flüchtlingsunterkunft im Landkreis Donau-Ries untergebracht. Er spricht kein Deutsch und hat auch noch keine Arbeit gefunden. Trotzdem stellt seine Frau, die bei der Hochzeit gerade einmal 14 Jahre alt war und im Libanon gestrandet ist, für sich und die zehn Kinder einen Antrag auf Familiennachzug. Die Bedenken des Landratsamtes in Donauwörth, das nicht weiß, wie es eine derart große Familie unterbringen soll, weist das Auswärtige Amt zurück. Mutter und Kinder dürfen nach Deutschland einreisen. Inzwischen ist noch ein elftes Kind dazu gekommen.
Zusätzlich zu den 244.000 Menschen, die im vergangenen Jahr in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, haben die Botschaften und Konsulate der Bundesrepublik noch 117.000 Visa für Familienangehörige von in Deutschland lebenden Ausländern ausgestellt, damit diese ebenfalls nach Deutschland einreisen können. Tendenz weiter steigend: Von Januar bis Juli des laufenden Jahres waren es nach den Zahlen des Auswärtigen Amtes bereits knapp 77.000. Damit zeichne sich ab, dass 2023 nicht nur bei der irregulären Zuwanderung ein Rekordjahr werde, sondern auch beim Familiennachzug, kritisiert die CSU-Innenexpertin Andrea Lindholz. „Neben 300.000 Asylerstanträgen ist mit rund 130.000 Visaerteilungen zum Familiennachzug zu rechnen“, betonte sie gegenüber unserer Redaktion. „Und in den Zahlen sind die Ukraine-Flüchtlinge nicht einmal enthalten.“ Dabei seien viele Kommunen mit der Aufnahme und Integration der vielen Menschen schon jetzt überlastet.
Beim Thema Familiennachzug ist sich die Ampel noch uneinig
Die Abgeordnete aus Unterfranken, die auch stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion ist, fordert die Ampelkoalition auf, den Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten zu reduzieren. Das sind Menschen, die nicht persönlich aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen verfolgt und daher nicht als Asylbewerber anerkannt werden, in deren Heimatländern aber ein Bürgerkrieg herrscht oder denen willkürliche Gewalt droht. Die meisten Visa für sie werden nach Angaben aus Regierungskreisen gerade an den Konsulaten in Beirut, in Istanbul und im irakischen Erbil ausgestellt. Neun von zehn Anfragen stellen dabei syrische Bürger.
Sozialdemokraten und Grüne wollen subsidiär, also nachrangig geschützten Menschen das gleiche Recht auf Familiennachzug einräumen wie anerkannten Asylbewerbern, danach könnte jeder beziehungsweise jede von ihnen Ehepartner und Kinder nachkommen lassen. Bisher gibt es dafür lediglich ein Kontingent von 1000 Visa pro Monat, die vor allem für Angehörige gedacht sind, die bereits Deutschkenntnisse haben und selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Die FDP ist allerdings noch skeptisch. „Bislang sehe ich noch kein überzeugendes Gesamtkonzept, mit dem sich die Kapazitätsgrenzen der Kommunen mit humanitären Aspekten in Einklang bringen lassen“, kritisiert der Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Stephan Thomae. „Wer für Familiennachzug plädiert, muss angesichts der steigenden Zahlen nachziehender Familienmitglieder überzeugende Antworten auf die Fragen geben, wo Familien mit mehreren Kindern untergebracht werden sollen und wie die nötigen Kita-, Kindergarten- und Schulplätze geschaffen werden können.“
Familiennachzüge belasten den Wohnungsmarkt
Ende Juli war das Kontingent von 1000 Visa pro Monat mit 7350 bereits leicht überzogen. Damit habe die Bundesregierung mehr Visa erteilt als in den Vorjahren und mehr, als es das Gesetz erlaube, kritisiert CSU-Expertin Lindholz. „Außerdem sollte angesichts der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt ein Visum nur erteilt werden, wenn der bereits in Deutschland lebende Ausländer ausreichenden Wohnraum für die nachziehenden Familienangehörigen nachweist.“
Abgesehen von einer Ausnahme im Pandemiejahr 2020 kommen nach den Zahlen des Auswärtigen Amtes seit 2016 Jahr mehr als 100.000 Menschen pro Jahr über den sogenannten Familiennachzug nach Deutschland.