Es ist einer der großen ungelösten Konflikte: Zwischen Nord- und Südkorea kam es nie zu einem offiziellen Friedensschluss. Die Lage ist seit Jahren angespannt. Nun aber ist eine Eskalation der Ereignisse zu beobachten, die ein erschreckend hohes Tempo hat: Erst am Wochenende hat Nordkoreas Generalstab die südkoreanische Regierung beschuldigt, unbemannte Drohnen mit Propaganda-Flugblättern über die Hauptstadt Pjöngjang geschickt zu haben. Nur wenige Tage später ließ das Regime von Kim Jong Un sämtliche innerkoreanischen Straßenverbindungen öffentlichkeitswirksam in die Luft sprengen. „Unser Angriffszeitpunkt für die Zerstörung von Seoul (...) ist nicht festgelegt“, ließ Kim Yo Jong, Schwester des Diktators, ausrichten: „Aber der Moment, wenn erneut eine Drohne der Republik Korea am Himmel über unserer Hauptstadt entdeckt wird, wird sicherlich zu einer fürchterlichen Katastrophe führen“.
Wie ernst die Lage ist, zeigt ein kurzfristig einberufenes Treffen der Vize-Außenminister von Südkorea, Japan und den USA in Seoul am Mittwoch, um sich angesichts der Bedrohung aus Nordkorea zu koordinieren. Tatsächlich glauben immer mehr Beobachter, dass es sich bei Pjöngjangs Drohungen nicht mehr nur um das übliche Aufplustern handelt, sondern dass man Kim Jong Un beim Wort nehmen sollte. Und dies sei „beängstigend“, wie ein südkoreanischer Ex-General mit Bitte um Anonymität sagt.
Für Nordkoreas Diktator Kim Jong Un ist Südkorea der Feind
Die Eskalationsspirale ist jedenfalls offensichtlich: Bereits im Dezember hat Machthaber Kim Jong Un Südkorea zum „Hauptfeind“ erklärt und dies auch in der Verfassung des Landes festgeschrieben. Das jahrzehntealte Ziel, nämlich eine friedliche Wiedervereinigung, hat er unwiderruflich aufgegeben. Seit Frühsommer wenden zudem beide Seiten nahezu täglich Methoden der psychologischen Kriegsführung an: Während das südkoreanische Militär riesige Lautsprecheranlagen mit Propaganda-Beschallung an der entmilitarisierten Zone aufgestellt hat, schickt Nordkorea sogenannte Müll-Ballons über die Grenze – und hat den Todesstreifen zwischen den zwei Staaten seit Beginn des Jahres mit mehreren zehntausend Landminen befestigt.
Hinzukommt, dass in Seoul mittlerweile eine Regierung an der Macht ist, die sich von Kims Drohgebärden keineswegs einschüchtern lässt. So spricht Präsident Yoon Suk Yeol offen aus, worüber sein Vorgänger Moon Jae In stets geschwiegen hat: Dass er das abgeschirmte und verarmte Volk Nordkoreas mit kritischen Informationen über sein Regime und dessen Verbrechen gegen die Menschenrechte versorgen möchte.
Nordkorea verfügt seit mindestens einer Dekade über atomare Sprengköpfe für eine glaubhafte Abschreckung. Gleichzeitig baut es sein Arsenal mit immer rasanterer Geschwindigkeit aus. Zudem hat es seinen Fokus von Interkontinentalraketen mittlerweile auf Kurzstreckenraketen und taktische Nuklearwaffen verlegt – Militärgeräte also, die im Kriegsfall gegen Südkorea eingesetzt werden könnten. „Für mich schaut es so aus, als wolle sich Nordkorea auf einen Krieg vorbereiten – wahrscheinlich nicht kurzfristig, sondern in den nächsten fünf bis zehn, vielleicht auch 20 Jahre“, sagt einer der führenden Nordkorea-Experten mit Sitz in Seoul. „Der Plan ist es, Südkorea einzunehmen und die USA daran zu hindern, sich in den Konflikt einzumischen“, sagt der Experte.
Würden die USA den Südkoreanern helfen?
Sollten Kims Truppen in Seoul einmarschieren, stünde die US-Regierung vor einem immens heiklen Dilemma: Würde Washington bereit sein, die südkoreanische Hauptstadt zu retten? Die einstige Weltpolizei USA wird derzeit bereits durch den Krieg in der Ukraine, die Kriege in Nahost und vor allem durch einen drohenden Konflikt rund um Taiwan beansprucht.
Erst am Dienstag hat Bob Woodward – bekannt als Aufdecker der Watergate-Affäre – in seinem neuen Buch rekonstruiert, wie haarscharf die USA während Trumps erster Legislaturperiode an einem Krieg mit Nordkorea vorbeigeschrammt sind. Damals soll der US-Verteidigungsminister James Mattis derart besorgt darüber gewesen sein, dass Trumps impulsive, scheinbar unbekümmerte Diplomatie gegenüber Nordkorea in einem Atomkrieg enden, dass er nachts oftmals in Sportkleidung schlief – stets auf Abruf für den Ernstfall bereit.
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