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Armut: Studium zwischen Wohnungsmangel und Existenzangst

Armut

Studium zwischen Wohnungsmangel und Existenzangst

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    Um dem Wohnungsmangel anzugehen, braucht es aus Sicht von IG BAU und Mieterbund jährlich rund 20 Milliarden Euro.
    Um dem Wohnungsmangel anzugehen, braucht es aus Sicht von IG BAU und Mieterbund jährlich rund 20 Milliarden Euro. Foto: Marcus Brandt, dpa (Archivbild)

    Sebastian Biller sitzt in seinem 15 Quadratmeter kleinen Zimmer in einer WG in Berlin-Lichtenberg. Die wenigen Möbel – ein Bett, ein Schreibtisch, ein Stuhl – stehen dicht an dicht. „Sollte ich mal ein größeres Bett wollen, wird es hier eng“, sagt er und schmunzelt. Für 500 Euro im Monat, inklusive Nebenkosten, sei er froh, überhaupt eine Wohnung gefunden zu haben. „Ich habe dutzende Wohnungen besichtigt, und kurz bevor ich keine Unterkunft mehr gehabt hätte, hat es hier geklappt“, erzählt er.

    Die Wohnungssuche in Berlin bezeichnet er als Albtraum. Ein Freund, der mit seiner Partnerin zusammenziehen wollte, musste mehr als 100 Besichtigungen hinter sich bringen, bevor er ein renovierungsbedürftiges Apartment in einem Plattenbau fand.

    München ist wieder der teuerste Studienort in Deutschland

    Das, was Biller beschreibt, steht exemplarisch für viele Studierende in Berlin. Jana Judisch, Sprecherin des Studierendenwerks, das 31 Wohnheime mit insgesamt 9200 Plätzen betreibt, berichtet von einer Warteliste mit 4442 Studierenden. Mit einer Durchschnittsmiete von 370 Euro seien diese Plätze begehrt, aber begrenzt.

    Die allgemeine Wohnsituation für Studierende nicht nur in Berlin verschlechtert sich zusehends. Laut dem Studentenwohnreport 2024 des Finanzdienstleisters MLP und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) stiegen die Mietpreise im vergangenen Jahr um durchschnittlich 5,1 Prozent. Nachdem im letzten Jahr kurzzeitig Frankfurt an die Spitze gerückt war, ist in diesem Jahr wieder München teuerster Studienort. In der bayerischen Landeshauptstadt kostet eine 30-Quadratmeter-Musterwohnung mittlerweile über 800 Euro Warmmiete. In Berlin sind ähnliche Entwicklungen zu spüren: Wohnraum wird knapper, die Konkurrenz größer. Bezahlbarer Wohnraum ist die größte Herausforderung für Studierende aus dem In- und Ausland.

    Selten mal ins Kino: 38 Prozent der Studierenden sind armutsgefährdet

    Die hohen Kosten belasten nicht nur finanziell, sondern nehmen auch die Freiheit, sich auf das Studium zu konzentrieren oder ein soziales Leben mit Kino- und Kneipenbesuchen zu führen. Laut Statistischem Bundesamt waren 2022 rund 38 Prozent der Studierenden in Deutschland armutsgefährdet und finanziell nicht in der Lage, unerwartete größere Ausgaben zu bestreiten.

    Auch in Billers Leben gibt es wenig Luxus. „Ich habe mir kürzlich neue Stiefel gekauft. Die alten habe ich sechs, sieben Jahre getragen“, erzählt er. Kleidung wird Stück für Stück ersetzt: erst die Schuhe, dann die Hose, irgendwann die Jacke. Urlaub oder große Ausgaben seien undenkbar. Ab und zu gönne er sich einen Döner oder einen Abend in der Kneipe. „Wenn ich mir einen Kinoabend leiste, muss ich meine Rücklagen angreifen“, sagt er.

    Der Alltag vieler Studenten ist von langen Wegen und knappen Ressourcen geprägt. Biller erzählt, dass er eine Stunde für den Arbeitsweg braucht, anderthalb für die Uni. „Die lauten, dreckigen Bahnen und die vielen Stunden unterwegs zehren an meinen Kräften“, erzählt er, die Erschöpfung ist ihm anzumerken.

    Der 30-Jährige arbeitet seit September in einem Altbau in Berlin-Pankow bei Rohnstock Biografien, einem kleinen Medienunternehmen. Dort macht er ein Praktikum, bei dem er Eventvorbereitungen, Lektoratsarbeiten und das Scannen von Fotoalben übernimmt. Das Praktikum gefalle ihm sehr, da er Lektor werden möchte. Für 80 Stunden im Monat erhält er 450 Euro, was ihm eine wertvolle Chance biete, berufliche Erfahrungen zu sammeln.

    Ungewisse Zukunft: Was, wenn der Laptop kaputt geht?

    Finanziell steht der Philosophiestudent aus Bayern auf wackeligen Beinen. 1000 bis 1100 Euro braucht er im Monat, aber nur 900 Euro stehen ihm zur Verfügung. Seine Mutter habe ihm in diesem Jahr 5000 Euro überwiesen. „Ohne diese Rücklage könnte ich mir gar nichts mehr leisten“, sagt er. Nebenjobs helfen, die Lücke zu schließen. Doch die Belastung durch Praktikum, Studium und Fahrtzeiten hätten es ihm in letzter Zeit unmöglich gemacht, einen festen Nebenjob zu finden.

    Der Blick in die Zukunft beunruhige ihn, sagt der Student: „Meine Mutter tritt nächstes Jahr ihre Pension an, dann muss ich mich selbst versichern. Bis dahin brauche ich einen sozialversicherungspflichtigen Job“, erklärt er. Das sorge für zusätzlichen Druck. Ende September läuft sein Studienkredit aus. Bis dahin will Biller sein Studium abschließen. Doch die Sorgen bleiben: Was, wenn der Laptop kaputtgeht? Was, wenn eine größere Anschaffung nötig wird? „Ich habe immer wieder existentielle Ängste“, gibt er zu. Der ständige Kontakt mit den gescheiterten Existenzen in Berlin verstärke diese Gefühle noch.

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    1 Kommentar
    Peter Pfleiderer

    "Bis dahin brauche ich einen sozialversicherungspflichtigen Job“, erklärt er. Das sorge für zusätzlichen Druck." - Arbeit ist die Grundlage das Lebens ;-)

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