Am weltberühmten Obelisken stieg ab Mitternacht die große Party. Dort, wo die Argentinier vor knapp einem Jahr den Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft feierten, versammelten sich nun Tausende meist junge Menschen, um den Wahltriumph des libertären Ökonomen Javier Milei zu feiern. „Libertad, Libertad“-Sprechchöre (Freiheit, Freiheit) waren zu hören. Und dann gab es etwas Erstaunliches zu beobachten: Die jungen Demonstranten begannen, ihren eigenen Müll wegzuräumen. „Wir wollen ein besseres Argentinien“, rief einer der Feiernden.
„Wir wollen, dass er das Land in Ordnung bringt“, sagt Fernanda, 19, die mit ihren Freundinnen Selfies von der historischen Nacht macht. „Es muss sich etwas ändern. Wir brauchen wieder eine Zukunft." Die Milei-Wählerin bringt damit die Kernbotschaft des Wahlabends auf den Punkt: Vor allem die jungen Argentinier haben dem Wirtschaftswissenschaftler Javier Milei den Auftrag erteilt, den ökonomischen Sanierungsfall in Angriff zu nehmen. Mit einer Jahresinflation von 143 Prozent und einer Armutsrate von 40 Prozent übergibt die amtierende linksperonistische Regierung von Präsident Alberto Fernandez am 10. Dezember ein wirtschaftlich in einem katastrophalen Zustand befindliches Land. Der Versuch, mit dem vor über einem Jahr kurzfristig eingewechselten Super-Minister für Finanzen und Wirtschaft, Sergio Massa, als Präsidentschaftskandidaten die Macht zu retten, schlug fehl.
Der klare Sieg Javier Mileis bei der Wahl in Argentinien überraschte viele
Milei (55,69 Prozent) konnte mit fast mehr als elf Punkten Vorsprung vor Massa (44,30 Prozent) einen viel deutlicheren Erfolg einfahren als von den meisten Umfrageinstituten vorausgesagt. Am Montag – einem Feiertag in Argentinien – gab es bereits erste Fingerzeige in Richtung Zukunft: Staatliche Medien wie die bislang regierungsnahe Nachrichtenagentur Telam oder TV Publico sollen ebenso privatisiert werden wie der Erdgas- und Erdölkonzern YPF. Weil viele staatliche Unternehmen ohne die Subventionen nicht in dieser Form überlebensfähig sind, dürfte eine Entlassungswelle drohen. Das passt zu den im Wahlkampf angekündigten Maßnahmen: Milei will den Staat und die Wirtschaft entbürokratisieren, deregulieren und weitestgehend privatisieren, den Peso abschaffen und durch den Dollar ersetzen, Sozialabgaben kürzen und Steuern senken. Von den Argentiniern bekam er für diesen schmerzhaften Weg die demokratische Legitimation.
Außenpolitisch bietet sich Milei dem Westen als Partner an: „Ich sehe Argentinien an der Seite der USA, Israels und der freien Welt“, sagte Milei. Der Wahlsieger lässt sich nicht so recht in die bisherigen politischen Schubladen einsortieren. Gegenüber dieser Redaktion sagte er noch zu Beginn des Wahlkampfes: „Für mich sind individuelle Freiheit des Einzelnen, der Schutz des Privateigentums und der freie Handel die zentralen Elemente meiner Politik.“
Die Angriffe Mileis waren oft aggressiv
Bislang konnte Milei aus einer komfortablen, oppositionellen Position die Wirtschaftspolitik der peronistischen Regierung oft provozierend aggressiv angreifen. Ab Mitte Dezember wird er nun selbst für die wirtschaftliche Entwicklung die Verantwortung tragen. Die Karriere des Wahlverlierers Massas dürfte nach der klaren Niederlage beendet sein. Einige argentinische Medien spekulierten, er werde wohl nicht mal mehr für die Übergabe der Amtsgeschäfte im Wirtschafts- und Finanzministerium verantwortlich sein.
Am Montag standen erste Gespräche zwischen dem noch amtierenden Präsidenten Alberto Fernandez, der wegen der schlechten Wirtschaftslage und fehlendem Rückhalt im eigenen Lager gar nicht erst wieder antrat, mit seinem Nachfolger an. Finanzexperte Eugenio Mari Thomsen von der Stiftung „Libertad y Progreso“ (Freiheit und Fortschritt) in Buenos Aires erklärt im Gespräch mit dieser Redaktion, dass strukturelle Reformen unbedingt notwendig sind: „Wenn es keine Kursänderung gibt, läuft Argentinien Gefahr, dass die Hyperinflation im Jahr 2024 ausbricht. Dies würde die Armutsquote auf über 60 Prozent ansteigen lassen. Und natürlich würde dies zu einer schweren Rezession führen.“
Nun wartet das Land auf die ersten konkreten Maßnahmen des künftigen Präsidenten. Nach Jahren der Kritik an der bestehenden „Kaste“ kommt nun der Moment der Wahrheit für Javier Milei. Er muss beweisen, dass seine wirtschaftspolitischen Ideen auch tatsächlich zum Erfolg führen. Milei wechselt vom Posten des Chefanklägers in die des Hauptverantwortlichen.