Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat der Justiz eine mangelnde Verfolgung antisemitischer Straftaten vorgeworfen und warnt davor, dass Gesetzesverschärfungen ins Leere laufen. „Zum Kampf gegen den Antisemitismus gehören immer mindestens zwei: ein entschlossener Gesetzgeber und eine Justiz, die dieses Recht auch entschlossen umsetzt“, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster in einem Interview mit unserer Redaktion „Die größeren Defizite aber sehe ich bei der Justiz, die auf dem rechten Auge doch eine gewisse Sehschwäche hat“, kritisierte Schuster. Auch die Polizei werde ihren Aufgaben nicht immer gerecht.
Justiz sehe Holocaust-Vergleiche nur als Meinungsäußerung
„In Gelsenkirchen konnte verhindert werden, dass die Demonstranten bis zur Synagoge vordringen, da hat die Polizei einen guten Job gemacht“, sagte Schuster der Zeitung. „Wenn Demonstranten aber antisemitische Parolen brüllen oder zu Gewalt gegen Juden aufrufen, erwarte ich von der Polizei, dass sie dann auch durchgreift, dass sie ermittelt, die Täter benennt und das zur Anzeige bringt.“ Nur so könne die Justiz auch Strafen verhängen.
Doch auch hier gebe es immer wieder Versäumnisse, kritisierte Schuster: „Bei uns in Unterfranken, das nur als Beispiel, hat ein Redner bei einer Anti-Corona-Demonstration vor kurzem die Maßnahmen der Bundesregierung mit dem Vorgehen der Nationalsozialisten gegen Juden gleichgesetzt“, sagte der Würzburger Arzt. „Die Anzeige aber wurde von der Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolgt“, kritisierte Schuster. „Sie war der Meinung, dass der Mann nicht den Holocaust relativiert hat, was strafbar gewesen wäre, sondern dass er nur von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat. Diese Logik verstört mich sehr, das klingt ja, als sei die heutige Situation tatsächlich mit dem Holocaust vergleichbar.“
Zentralrat: Flüchtlingskrise von 2016 nicht Antisemitismus-Ursache
Schuster warnte davor die Ursache in den jüngsten antisemitischen Vorfällen in der Zuwanderung der Flüchtlingskrise von 2016 zu suchen. „Solche Demonstrationen und Krawalle haben wir auch schon früher gesehen“, sagte der Zentralratspräsident. Beim Gaza-Krieg 2014 habe es eine ganz ähnliche Situation in Deutschland gegeben. „Ich behaupte nicht, dass es unter den Zugewanderten keinen Hass auf uns Juden gibt“, erklärte Schuster. Viele dieser Menschen hätten Antisemitismus quasi mit der Muttermilch aufgesogen. „Ich glaube nur nicht, dass der muslimische Antisemitismus durch die Migration nach Deutschland stark zugenommen hat“, betonte er.
Gleichwohl unterstützt der Zentralrats-Präsident Vorstöße aus der CSU, Ausländer mit fanatischer Intoleranz schneller abzuschieben. „Wenn unser rechtliches Instrumentarium das erlaubt, dann wäre das ein starkes Signal an alle Extremisten“, sagte Schuster. „Je empfindlicher die Strafen sind und je konsequenter Straftaten verfolgt werden, umso abschreckender wirkt das auch.“
Gesetzeslücke bei Verfolgung von Hasskommentaren im Internet
Schuster begrüßte, dass Hasskommentare auch gegen Organisationen, wie den Zentraltrat der Juden künftig besser strafrechtlich verfolgt werden sollen. Bislang habe die Justiz nur Beleidigungen von Personen nicht aber von Institutionen verfolgen können. . „Hier besteht eine Gesetzeslücke, die allerdings jetzt geschlossen werden soll“, sagte Schuster. „Das Kabinett hat gerade einen Gesetzentwurf verabschiedet, wonach verhetzende Beleidigungen dieser Art als neuer Straftatbestand definiert werden. Für uns wäre das ein großer Fortschritt.“
Kritisch äußerte sich Schuster zur Iran-Politik der Bundesregierung. „Hier stehen ganz klar wirtschaftliche Gründe im Vordergrund“, sagte er. „Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung hier zu einem differenzierteren Urteil kommt und dem Iran gegenüber deutlicher wird. Hinter den Angriffen der Hamas auf Israel steckt letztlich ja niemand anderer als der Iran.“
Lesen Sie dazu auch:
- Dobrindt fordert Verbot von Anti-Israel-Demonstrationen am Pfingstwochenende
- Wurzeln des Judenhasses: Was ist eigentlich Antisemitismus?