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Antisemitismus: Deutschland kann ihn nicht eindämmen

Antisemitismus

Warum Deutschland den Antisemitismus nicht eindämmen kann

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    Die antisemitischen Ausbrüche am Wochenende in mehreren deutschen Städten haben die Juden in Deutschland schwer verunsichert.
    Die antisemitischen Ausbrüche am Wochenende in mehreren deutschen Städten haben die Juden in Deutschland schwer verunsichert. Foto: M. Hitij, dpa

    Der Star-Pianist Igor Levit ist verstummt. Er stürzt sich sonst im Internet über den Kurznachrichtendienst Twitter in die politische Debatte. Nun zieht er sich nach einem Wochenende voller öffentlich ausgebrochenem Judenhass zurück - vorerst, wie er schreibt. "Es ist unerträglich geworden", waren seine Worte.

    Levit ist Jude und seit einigen Jahren sorgt er sich stärker als früher um die eigene Sicherheit und die anderer Juden in Deutschland. Vor einigen Tagen meinte er mit böser Vorausahnung: "'Antisemitismus hat in Deutschland– keinen Platz' ist Kindergartenniveau."

    Die Sicherheit der Juden in Deutschland hat sich verschlechtert

    Der berühmte Musiker hat damit ein gravierendes gesellschaftliches Problem treffend zusammengefasst. In den vergangenen Jahren hat es nicht an Appellen gegen den Antisemitismus gemangelt. Auch nicht an ehrlich gemeinter Solidarität mit den deutschen Juden. Dennoch hat sich ihre Sicherheit verschlechtert. Zwischen den Jahren 2010 und 2020 hat sich die Zahl der pro Jahr erfassten antisemitischen Straftaten verdoppelt - von knapp 1300 auf 2350.

    Die Bundesregierung versucht, durch Verschärfung der Gesetze den Judenhass zu bekämpfen. Seit Ende März gelten bei Straftaten antisemitische Motive als menschenverachtende Beweggründe und können die Strafe verschärfen. Hetze in den sozialen Netzwerken, wie bei Facebook und Twitter, oder bei Demonstrationen kann mit zwei Jahren Gefängnis bestraft werden.

    Polizei und Justiz haben also die Mittel in der Hand. Nach der israelfeindlichen Demonstration in Berlin-Neukölln ermitteln die Beamten in 87 Verfahren, unter anderem wegen Landfriedensbruchs, Körperverletzung, Gefangenenbefreiung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. Wegen antisemitischer Sprechchöre sind bislang keine Verfahren eingeleitet.

    Probleme bei der Erfassung antijüdischer Straftaten

    Die Polizei hat schon Mühe, die Taten den richtigen Tätern zuzuordnen. Parolen wie "Scheiß Juden" und "Kindermörder Israel" werden in der Polizeistatistik automatisch als rechtsextrem eingestuft. Auf den Videos der Demo vom Wochenende in der Hauptstadt sind aber in großer Mehrheit arabischstämmige Demonstranten zu sehen.

    Am Wochenende haben in Berlin Tausende in Berlin für die Palästinenser protestiert. Bei der Demonstration wurden offen anti-israelische und anti-jüdische Parolen gerufen.
    Am Wochenende haben in Berlin Tausende in Berlin für die Palästinenser protestiert. Bei der Demonstration wurden offen anti-israelische und anti-jüdische Parolen gerufen. Foto: Fabian Sommer, dpa

    "Das ist ein Riesenproblem. Die Statistik stimmt einfach nicht", sagt der Politikwissenschaftler Lars Rensmann von der Universität Groningen. Der Professor hat sich intensiv mit dem Antisemitismus befasst. Er hält es für gut und richtig, dass in Deutschland der Antisemitismus scharf verurteilt wird. Dabei dürfe es aber nicht bleiben. Rensmann hat vier konkrete Vorschläge, um die Judenfeindlichkeit zurückzudrängen.

    1. Die sozialen Plattformen im Internet müssten strenger reguliert werden, um sie als Hetze-Verstärker herunterzudimmen.
    2. Es brauche eine dauerhafte Förderung von Projekten zur demokratischen Bildung aus dem Bundeshaushalt.
    3. Der Kampf gegen Antisemitismus müsse in die Schulen getragen werden. Lehrer müssten für dieses sensible Thema geschult werden und den nötigen Rückhalt dafür von den Direktoren und Schulämtern bekommen.
    4. Damit sich Migranten nicht hauptsächlich aus arabischen oder türkischen Medien informieren, die teilweise offen anti-israelisch und anti-jüdisch eingestellt sind, sollten in Deutschland arabisch- oder türkischsprachige Gegenangebote gemacht werden. "Das kostet alles Geld. Aber der Antisemitismus ist da und verschwindet nicht einfach", sagt Rensmann.

    Antisemitismus als eine Form einer Krise des Demokratie

    Dass der Judenhass in den letzten Jahren zugenommen hat, ist für den Politikwissenschaftler in eine tiefere Demokratiekrise eingebettet, in der sich Verschwörungstheorien breitmachen und sich die Gesellschaft schwerer auf Fakten verständigen kann. Neue Verschwörungstheorien kochen uralte auf und können an jahrhundertealte Erzählungen von den bösen Juden anknüpfen. Der Judenhass bekommt neue Nahrung und das bekommen die Juden in Deutschland zu spüren.

    Der Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 durch einen schwer bewaffneten Rechtsextremisten war für die Juden in Deutschland ein Schock.
    Der Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 durch einen schwer bewaffneten Rechtsextremisten war für die Juden in Deutschland ein Schock. Foto: Hendrik Schmidt, dpa

    Ein älteres Mitglied der Jüdischen Gemeinde Berlin, das seinen Namen derzeit nicht in der Zeitung lesen möchte, nennt die Situation "ziemlich beunruhigend". Viele Berliner jüdischen Glaubens seien in großer Sorge um das Leben von Verwandten oder Freunden, die in Israel derzeit ständigem Raketenbeschuss ausgesetzt sind. Gleichzeitig wachse die Angst um die eigene Sicherheit in der deutschen Hauptstadt.

    Dass es bei einer pro-palästinensischen Demonstration mit rund 3500 Teilnehmern am Samstag zu Ausschreitungen gekommen war, habe unter jüdischen Berlinern für Entsetzen gesorgt. Im Stadtteil Neukölln, wo viele arabischstämmige Menschen leben, waren Flaschen und große Pflastersteine geflogen, Polizisten und Medienvertreter angegriffen worden.

    Die Angst der Juden vor dem, was noch kommen könnte

    Voller Hass wurden israelfeindliche und antisemitische Parolen skandiert. Die Polizei schritt ein - offiziell wegen Verstoßes gegen die Corona-Auflagen. Das jüdische Gemeindemitglied sagt: "Keiner weiß, wie sich das noch entwickeln wird, was wir da erleben, ist alles andere als schön."

    Schon seit Jahren werde immer klarer, dass es nicht ratsam sei, sich in bestimmten Gegenden Berlin als Jude zu erkennen zu geben. In Berlin-Neukölln etwa, aber auch in Teilen Kreuzbergs. Immer wieder werden in Berlin Juden angegriffen, die etwa die "Kippa" auf dem Kopf tragen.

    Der jüdische Senior vermisst die konkrete Solidarität der Berliner, die über das Verurteilen hinausgeht. Es gibt sie zwar, diese Aktionen, doch sie sind bislang eher klein. Keine 50 Personen beteiligten sich etwa an einer Mahnwache gegen Antisemitismus nahe der Synagoge am Fraenkelufer in Kreuzberg.

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