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Antisemitischer Anschlag: Nebenkläger und Überlebende halten eindringliche Plädoyers im Halle-Prozess

Antisemitischer Anschlag

Nebenkläger und Überlebende halten eindringliche Plädoyers im Halle-Prozess

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    In Zeugenaussagen und Plädoyers hatten viele Besucher der Synagoge bemängelt, dass sie nach dem Anschlag von der Polizei eher wie Verdächtige behandelt worden seien, denn als Opfer.
    In Zeugenaussagen und Plädoyers hatten viele Besucher der Synagoge bemängelt, dass sie nach dem Anschlag von der Polizei eher wie Verdächtige behandelt worden seien, denn als Opfer. Foto: Hendrik Schmidt. dpa

    Ein letztes Mal sind beim Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag von Halle die Überlebenden zu Wort gekommen. Am Dienstag hielten die letzten Anwälte der Nebenklage ihre Plädoyers und ließen dabei vor dem Oberlandesgericht Naumburg (OLG) auch ihre Mandanten zu Wort kommen. So wandte sich etwa der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, direkt an das Gericht.

    Am 9. Oktober 2019 hatte ein Terrorist versucht, 51 Menschen zu töten, die in der Synagoge waren

    Privorozki lobte, wie alle Nebenkläger, die Prozessführung der vorsitzenden Richterin Ursula Mertens und das Verfahren an sich. Die Verhandlung habe gezeigt, dass nicht die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 oder rechtsextremistische Online-Foren den Angeklagten radikalisiert hätten. "Nach meiner Überzeugung liegt dieser Hass weder im Internet noch in den Ereignissen vor fünf Jahren begründet, er liegt in der Familie", sagte Privorozki.

    Eltern und Schwestern hatten Gebrauch von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht gemacht. Der Angeklagte hatte stets beteuert, dass seine Familie nichts von seinen Plänen gewusst habe. Das hatten zahlreiche Anwälte der Nebenklage bezweifelt. Der Angeklagte war seit Jahren arbeitslos und hatte wechselweise bei Mutter und Vater gelebt. Auch am Dienstag gaben zahlreiche Vertreter den Eltern des Angeklagten eine Mitschuld am Anschlag.

    Der Angeklagte Stephan Balliet zwischen seinen Verteidigern Hans-Dieter Weber und Thomas Rutkowski im Landgericht.
    Der Angeklagte Stephan Balliet zwischen seinen Verteidigern Hans-Dieter Weber und Thomas Rutkowski im Landgericht. Foto: Ronny Hartmann, dpa

    Am 9. Oktober 2019 hatte ein Terrorist versucht, 51 Menschen zu töten, die in der Synagoge von Halle den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur feierten. Er scheiterte an der massiven Tür, erschoss daraufhin die Passantin Jana L. und später in einem Döner-Imbiss Kevin S..

    "Du darfst nicht Teil von unserer Gesellschaft sein, wir schließen dich aus", sagt ein Überlebender über den Angeklagten

    Auf der anschließenden Flucht lieferte er sich unter anderem einen Schusswechsel mit der Polizei und schoss zwei Menschen an. Der Prozess am OLG Naumburg läuft seit Juli, findet aus Platzgründen aber in Magdeburg statt. Der Deutsche Stephan Balliet hat die Taten gestanden und mit antisemitischen, rassistischen und antifeministischen Verschwörungserzählungen begründet.

    Der Überlebende aus dem Kiez-Döner Conrad R. wandte sich mit einer Erklärung, die sein Anwalt vortrug, ans Gericht und an den Angeklagten. Darin verurteilte er dessen rassistische und antisemitische Weltanschauung. Religion und Hautfarbe von Menschen seien bedeutungslos, "nur die Handlungen von Menschen lassen Beurteilungen zu", sagte Conrad R..

    "Du darfst nicht Teil von unserer Gesellschaft sein, wir schließen dich aus", ließ R. erklären. "Wir gestehen dir Rechte zu, die du anderen verweigern willst", verlas der Anwalt die Erklärung in Richtung des Angeklagten. "Du hast das Recht zu leben, nur nicht mit uns." 

    Zum Teil steht die Polizei in der Kritik

    R. hatte gerade im Döner-Imbiss zu Mittag essen wollen, als der Terrorist angriff. Der Mann flüchtete auf eine dunkle Toilette und konnte sich dort vor dem Attentäter verstecken. Währenddessen hatte er die Polizei gerufen, war dort nach eigener Aussage aber nur schroff abgewiesen worden mit dem Hinweis, er möge einfach auf die Einsatzkräfte warten. Auch danach hätten sie seinen Mandanten rücksichts- und empathielos behandelt, sagte sein Anwalt.

    Nur die Tür hielt den Angeklagten davon ab, in die Synagoge einzudringen.
    Nur die Tür hielt den Angeklagten davon ab, in die Synagoge einzudringen. Foto: Jan Woitas, dpa

    Viele Nebenkläger, vor allem Überlebende aus der Synagoge, hatten den Umgang der Polizisten immer wieder scharf kritisiert. In Zeugenaussagen und Plädoyers hatten viele Besucher der Synagoge bemängelt, dass sie nach dem Anschlag von der Polizei eher wie Verdächtige behandelt worden seien, denn als Opfer. Diese Kritik wies am Dienstag Nebenklage-Anwalt Jan Siebenhüner zurück.

    Er vertritt einen der zwei Polizisten, die den Attentäter bei einem Schusswechsel am Tag des Anschlags am Hals verletzt und nach dessen Aussagen damit entscheidend geschwächt hatte.

    Nebenkläger kritisieren die Gefahrenbewertung für die Synagoge

    Siebenhüner bezeichnete die beiden Polizisten als unbesungene Helden des Anschlags, die schnell, besonnen und selbstlos gehandelt hätten. Auch die anderen am Einsatz beteiligten Polizisten nahm Siebenhüner in Schutz. "Ohne Zweifel war dieser Einsatz alles andere als fehlerfrei", sagte Siebenhüner.

    Auch für die eingesetzten Beamten sei der Anschlag aber eine Ausnahmesituation gewesen, die am Tag des Geschehens längst nicht so übersichtlich gewesen sei wie jetzt in der Rückschau. Einige Nebenkläger verließen während Siebenhüners Plädoyer den Gerichtssaal.

    Doch nicht nur am Tag des Anschlags handelten die Behörden aus Sicht vieler Nebenkläger fehlerhaft, sondern hätten auch in der Gefahrenbewertung für die Synagoge und in den Ermittlungen nach dem Anschlag schwere Fehler gemacht. Die Nebenklägerin Christina Feist sprach in ihrem Schlussvortrag von "unglaublichem Unwillen" des Bundeskriminalamtes (BKA) und einem "mehr als erschreckendem Unwissen" der Ermittler. (dpa)

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