Schon kurz nach dem Massaker bei dem ausverkauften Rockkonzert der russischen Band Piknik in der großen Crocus-Konzerthalle am Moskauer Stadtrand bekannte sich die Terrorgruppe „Islamischer Staat – Provinz Khorasan“ – abgekürzt ISPK oder ISIS-K – zu dem Anschlag. Wer ist der ISPK? Die Terrorgruppe versteht sich als Unterorganisation des Islamischen Staates und nimmt besonders Länder in Zentral- und Mittelasien ins Visier. Die ISPK-Kämpfer greifen sogar die radikal-islamischen Taliban in Afghanistan an, weil sie das Taliban-Regime für nicht streng genug halten. Ziel des ISPK ist ein Kalifat, das Pakistan, Afghanistan, den Iran und zentralasiatische Staaten umfassen soll. Die Gruppe hat auch westlichen Staaten den Kampf angesagt.
Wofür steht der Name Provinz Khorasan der aktuellen IS-Terrorgruppe?
Khorasan ist ein alter Name für die Region, in der das neue Kalifat entstehen soll. Der ISPK wurde vor zehn Jahren von Mitgliedern der afghanischen und pakistanischen Taliban, des Terrornetzwerkes Al-Kaida und anderer Gruppen gegründet. Kurz darauf proklamierte der Islamische Staat in Syrien seine Ausdehnung in den zentralasiatischen Raum.
Der ISPK bekämpft vor allem die Taliban in Afghanistan, denn selbst die islamistische Zwangsherrschaft der Taliban geht ihm nicht weit genug. Vor drei Jahren töteten Selbstmordattentäter der Gruppe in der afghanischen Hauptstadt Kabul rund 170 Afghanen und 13 US-Soldaten. Seit der Rückkehr der Taliban an die Macht in Afghanistan im Jahr 2021 hat der ISPK dort nach einer Zählung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bei Anschlägen mindestens 700 Menschen getötet oder verletzt.
Wie gefährlich ist der IS-Ableger ISKP?
Der ISPK hat bis zu 6000 Kämpfer. Über seine Strukturen ist allerdings so wenig bekannt, dass nicht einmal klar ist, wer der Anführer der Gruppe ist. Der frühere Chef Sanaullah Ghafari soll voriges Jahr von den Taliban getötet worden sein. Seit einigen Jahren verübt der ISPK auch Anschläge außerhalb Afghanistans. Anfang dieses Jahres sprengten sich ISKP-Kämpfer bei einer Gedenkfeier im Iran in die Luft und töteten rund hundert Menschen. Im Januar erschossen zentralasiatische Kämpfer des IS-Ablegers einen Mann in einer Kirche in Istanbul.
Einer der Attentäter von Moskau reiste nach russischen Angaben Anfang März von der Türkei aus in Russland ein. Den türkisch-russischen Beziehungen werde das aber wahrscheinlich nicht ernsthaft schaden, meint Oytun Orhan von der türkischen Denkfabrik Orsam. Schließlich habe Russland die Ukraine und den Westen im Verdacht, hinter dem Anschlag zu stecken, sagte Orhan unserer Zeitung.
Welche Rolle spielt der Terrorableger ISKP innerhalb des islamischen Staats?
Innerhalb des Islamischen Staates hat der ISPK an Bedeutung gewonnen, auch gegenüber der Kerngruppe des IS in Syrien und im Irak, die 2017 von einer US-geführten internationalen Allianz militärisch besiegt wurde. „Heute haben wir es nicht mehr mit dem IS von 2014 oder 2015 zu tun“, sagt Orhan. „Der IS von heute ist weniger eine physische Organisation als ein loses Netzwerk, bei dem jede Untergruppe selbstständig handelt.“ Trotzdem habe sich die IS-Zentrale zu dem Anschlag von Moskau bekannt: „Der Islamische Staat hofft, von solchen spektakulären Anschlägen profitieren und neue Kämpfer gewinnen zu können“, meint Orhan.
In Russland sieht der ISPK einen seiner Hauptgegner. Die besondere Feindseligkeit der Terroristen gegenüber Moskau wird mit der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979, den russischen Kriegen gegen muslimische Rebellen in Tschetschenien um die Jahrtausendwende und mit russischen Militäreinsätzen gegen den Islamischen Staat in Syrien seit 2015 begründet.
Nach den Koranverbrennungen in den Niederlanden und Schweden hat der ISPK auch europäische Länder zum Zielgebiet von Anschlägen erklärt. Der ISPK sei „eine wachsende Gefahr für den Westen und seine Interessen“, erklärte die niederländische Regierung voriges Jahr. General Michael Erik Kurilla, Befehlshaber der US-Truppen im Nahen Osten, warnte vor wenigen Wochen, der ISPK sei „willens und in der Lage“, Ziele in Europa anzugreifen.
Die deutsche Bundesanwaltschaft ließ vor wenigen Tagen in Thüringen zwei Afghanen festnehmen, die im Auftrag des ISPK einen Anschlag auf das schwedische Parlament in Stockholm geplant haben sollen. Im Dezember nahm die Polizei in Wien drei mutmaßliche ISPK-Mitglieder unter dem Verdacht fest, sie hätten Anschläge auf den Stephansdom und den Kölner Dom geplant.