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Anne Spiegel: Urlaub nach Flutkatastrophe war "Fehler"

Bundesfamilienministerin

Anne Spiegel: Familienurlaub nach der Flutkatastrophe war "Fehler"

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    Bundesfamilienministerin Anne Spiegel von den Grünen während ihres emotionalen Auftritts am Sonntagabend.
    Bundesfamilienministerin Anne Spiegel von den Grünen während ihres emotionalen Auftritts am Sonntagabend. Foto: Annette Riedl, dpa

    Um 20.17 Uhr am Sonntagabend schickte die Deutsche PresseAgentur die Nachricht: „Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) gibt um 21 Uhr in Berlin ein Pressestatement zur aktuellen Diskussion um ihren Frankreich-Urlaub“. Die Vermutung lag nahe: Die viel kritisierte Ministerin will ihren Rücktritt erklären. Die Sender Phoenix und Bild übertrugen dann live. Zu sehen war eine angefasste Politikerin, die mehrfach nicht weiter wusste. Der die Stimme stockte. Die nach Worten rang, den Tränen nahe.

    Spiegel bezeichnete ihr gut siebenminütiges Statement zu Beginn als einen „ungewöhnlichen Schritt“ und kündigte an, private Details zu nennen. Ihre Hauptbotschaft: Ihr vierwöchiger Familienurlaub nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer sei ein Fehler gewesen. „Ich bitte für diesen Fehler um Entschuldigung.“

    Anne Spiegel mit Statement zum Urlaub nach der Flutkatastrophe

    Sie begründete ihre damalige Entscheidung mit dem Gesundheitszustand ihres Mannes, der im März 2019 einen Schlaganfall erlitten habe. Seitdem habe er „ganz unbedingt Stress vermeiden müssen“. Ihre Familie habe den Urlaub gebraucht, „weil mein Mann nicht mehr konnte“, sagte die 41-Jährige. Spiegel hat vier noch junge Kinder. Auch sie hätten den Urlaub gebraucht. Spiegel nannte hier die Pandemie als Grund. Sie sei eine „wahnsinnige Herausforderung“ gewesen und habe die Kinder „mit Spuren versehen“. Sie seien „nicht gut durch die Pandemie gekommen“.

    Die zusätzliche Übernahme des Umweltressorts in Rheinland-Pfalz im Januar 2021 sei zu viel gewesen und habe ihre Familie „über die Grenze gebracht“. Es sei ihr nicht leicht gefallen, zwischen ihrer Verantwortung als Ministerin und Mutter abzuwägen. Während des Urlaubs sei sie aber immer erreichbar gewesen, habe Telefonate geführt und sich informiert.

    Kein Rücktritt von Familienministerin Spiegel nach Kontroverse um Urlaub

    Ihren Rücktritt erklärte die Ministerin am Sonntagabend nicht – und auch zu den Rücktrittsforderungen aus der Opposition äußerte sie sich nicht. Sie wird dafür kritisiert, dass sie als damalige Umweltministerin in Rheinland-Pfalz zehn Tage nach der Flut zu einem vierwöchigen Familienurlaub nach Frankreich aufgebrochen war und diesen nur einmal für einen Ortstermin im Ahrtal unterbrochen hatte. Bei der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 waren in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, davon 134 im Ahrtal.

    Unter anderem CDU-Chef Friedrich Merz hatte Spiegels Entlassung gefordert. Mehrere andere Unions-Politiker und der familienpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Martin Reichardt, taten dies ebenfalls. Nach ihrer Erklärung am späten Sonntagabend gab es erneut Rücktrittsforderungen.

    Viele Verantwortliche müssen sich rechtfertigen

    Spiegel ist nicht die einzige Spitzenpolitikern, der wegen des Umgangs mit der Flutkatastrophe Vorwürfe gemacht wurden oder werden. Nicht nur der damalige Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet wurde wegen eines Lachers Opfer seines Verhaltens – parteiübergreifend müssen sich Verantwortliche rechtfertigen. Der politische Flutschaden wird immer größer: Vergangene Woche gab es den ersten Rücktritt. Wenige Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, bei der die CDU um ihre Regierungsbeteiligung fürchtet, musste Umweltministerin Ursula Heinen-Esser ihren Posten räumen.

    Zuvor war im Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags bekannt geworden, dass die CDU-Politikerin wenige Tage nach der Flutkatastrophe mit weiteren Regierungsmitgliedern ihrer Partei auf Mallorca den Geburtstag ihres Mannes feierte. Inzwischen wird „Mallorca-Gate“ für CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst beim Kopf-an-Kopf-Rennen mit der SPD in den Umfragen zum schweren Ballast: Nur mit der CDU als stärkste Partei kann er sich bei der Wahl im Mai Hoffnungen auf den Verbleib im Amt machen.

    Auch Malu Dreyer wegen Umgang mit Flutkatastrophe in der Kritik

    Auch Wüsts rheinland-pfälzische Amtskollegin Malu Dreyer hat ihre Nöte mit dem Krisenmanagement ihrer Landesregierung. Bis kurz vor Mitternacht musste die SPD-Politikerin am vergangenen Freitag im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zu kritischen Fragen der Opposition Rede und Antwort stehen. In Rheinland-Pfalz kam es zu schweren Versäumnissen und Fehlentscheidungen. Die Justiz ermittelte gegen den damaligen CDU-Landrat von Ahrweiler und einen seiner Mitarbeiter, zu spät den Katastrophenfall ausgelöst zu haben. Die Landtagsopposition kreidet Dreyer und ihren Ministern an, in den Stunden des 14. und 15. Juli nicht rechtzeitig eingegriffen zu haben. „Das Ausmaß der Flutkatastrophe an der Ahr war am Mittwoch, dem 14. Juli, noch nicht abzusehen“, verteidigte sich Dreyer.

    Am heftigsten aber steht die damalige Grünen-Umweltministerin und heutige Bundesfamilienministerin Anne Spiegel in der Kritik. Ein Katastrophenschutz-Sachverständiger soll im Untersuchungsausschuss laut Berichten der Ministerin vorgehalten haben, dass sie als Umweltministerin in die Geschichte eingegangen wäre, wenn sie ihre Aufgabe ähnlich wie Helmut Schmidt in Hamburg 1962 oder Matthias Platzeck bei der Oderflut 2002 erfüllt hätte. Doch Spiegel war in den entscheidenden Stunden unerreichbar: Laut Medienberichten rief ihr grüner Staatssekretär am Abend des 14. Juli um 22.24 Uhr und am 15. Juli um 7.52 Uhr vergeblich bei ihr an.

    Spiegels Ministerium, dem der Hochwassermeldedienst untersteht, unterschätzte die Gefahr fatal: In einer Pressemitteilung am Nachmittag, als das Landesumweltamt längst vor Pegeln jenseits des „Jahrhunderthochwassers“ 2016 warnte, ließ sich Spiegel mit den Worten wiedergeben: „Wir nehmen die Lage ernst, auch wenn kein Extremhochwasser droht.“ Die Rhein-Zeitung zitierte unter Berufung auf SMS-Protokolle die Autorisierung der Pressemitteilung durch die Ministerin: „Konnte nur kurz draufschauen, bitte noch gendern CampingplatzbetreiberInnen, ansonsten Freigabe.“

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