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Tödliche Messerattacke in Solingen: Der Fall Issa Al H.

Angriff von Solingen

Der unglaubliche Fall des Issa Al H.

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    Der mutmaßliche Täter des Messerangriffs von Solingen heißt Issa Al H. und stammt aus Syrien.
    Der mutmaßliche Täter des Messerangriffs von Solingen heißt Issa Al H. und stammt aus Syrien. Foto: Uli Deck, dpa

    Ein Fußgängertunnel ist gesperrt, eine mannshohe Hecke ist gerodet. Hier, in Solingen, soll das Bekennervideo entstanden sein, das die Terrorgruppe Islamischer Staat nach der Messerattacke verbreitet hat. Wenige hundert Meter liegt die Stelle entfernt vom Tatort, drei Menschen wurden am Freitagabend auf dem Fronhof in der Innenstadt bei einem Stadtfest tödlich verletzt. Issa Al H., der mutmaßliche Täter, sitzt in Untersuchungshaft, die Ermittler versuchen, weitere Details der Tat zusammenzutragen. Noch Tage, wenn nicht gar Wochen werde das in Anspruch nehmen, sagte ein Polizeisprecher in Düsseldorf. „Die Sache ist noch nicht erledigt.“ Immer neue Bruchstücke über die Hintergründe werden bekannt.

    Issa Al H. heißt der Mann, der Deutschland geschockt hat. Er stammt aus Syrien und reiste wohl über die Türkei und Bulgarien ein. Die österreichisch-bayerische Grenze war Ende 2022 sein Eintrittstor, wie die Wochenzeitung Zeit berichtet. Al H. reist weiter, in Nordrhein-Westfalen beantragt er Ende Januar 2023 Asyl. Doch weil er schon in einem EU-Land, in Bulgarien, registriert ist, lehnen die Behörden sein Gesuch ab. So wollen es die Dublin-Regeln, auf die sich die Europäer vor vielen Jahren geeinigt hatten. Die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) in Bielefeld soll sich um seine Überstellung nach Bulgarien kümmern. Die Aufgabe ist eigentlich wenig herausfordernd: Eine Abschiebung nach Syrien wäre nicht möglich, die Bundesregierung kooperiert nicht mit dem Regime von Baschar al-Assad. Dass Issa Al H. in Bulgarien registriert ist, macht die Sache also deutlich einfacher. Zumindest theoretisch. Im Alltag jedoch gibt es auch hier immer wieder Fallstricke. Als er am 5. Juni 2023 zum Flughafen gebracht werden soll, treffen ihn die Zuständigen in seiner Unterkunft nicht an, einer Flüchtlingsunterkunft in Paderborn. Nachfragen beim Wachdienst hat es offenbar nicht gegeben. „Wenig später ist Issa Al H. wieder in seinem Zimmer“, schreibt die Zeit. „Doch die Leitung der Paderborner Einrichtung informiert die ZAB nicht darüber.“ Der Flug am 5. Juni, um 7.20 Uhr geht ohne ihn.

    Behörden lassen Fristen verstreichen

    Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Behördenvertreter waren 2023 nach damaliger Gesetzeslage nicht befugt, andere Räume der Flüchtlingsunterkunft zu durchsuchen. Erst seit Anfang dieses Jahres ist ein Gesetz in Kraft, das den Vollzug von Abschiebungen effektiver machen soll. So dürfen Behördenvertreter in Gemeinschaftsunterkünften nun auch andere Räume als das Zimmer des Abzuschiebenden betreten.

    Sechs Monate haben die Behörden nach diesem Termin noch Zeit für die Rückführung. Nur, wenn sich ein Asylbewerber absetzt, wird die Frist auf 18 Monate verlängert. Doch offenbar schaffen es die Behörden nicht, einen neuen Flug zu organisieren. Es ist kein Einzelfall. Das zeigt ein Blick in die Statistik: Im ersten Halbjahr 2024 gab es deutschlandweit 164 Rückführungen gemäß den Dublin-Regeln nach Bulgarien. Allein NRW stellte von Januar bis Juli aber 1126 Übernahmeersuchen an das Land, von denen Sofia nur etwa 426 akzeptierte. Überstellt wurden davon schließlich 25 Personen - knapp sechs Prozent. Fallstricke gibt es viele: Im Fall Bulgarien dürfen Abschiebeflüge nach Angaben des NRW-Flüchtlingsministeriums nur von Montag bis Donnerstag zwischen 9 und 14 Uhr ausschließlich in der Hauptstadt Sofia landen. Eine Überstellung auf dem Landweg ist ebenso wie ein Charterflug nicht erlaubt. Eine Airline darf maximal zwei abzuschiebende Personen pro Flug befördern. Damit sind dem Ministerium zufolge für alle 16 Bundesländer theoretisch nur etwa zehn Abschiebungen pro Woche nach Bulgarien möglich.

    Der Fall Issa Al H. verläuft schließlich im Sande, ab August 2023 ist Deutschland für ihn zuständig. Issa Al H. erhält subsidiären Schutz, so wie viele tausend andere Syrer in Deutschland auch. Den Status bekommen vor allem Menschen, die nicht persönlich bedroht werden, aber etwa durch einen Bürgerkrieg einer generellen Gefahr ausgesetzt sind. Der junge Mann lebt seitdem in der Solinger Flüchtlingsunterkunft, ein vierstöckiges Gebäude, in dem früher das Finanzamt untergebracht war. Dort finden die Ermittler später auch einen Messerblock, aus dem die mutmaßliche Tatwaffe stammt.

    Issa Al H. schloss sich dem IS an

    Als Islamist war der 26-Jährige den Behörden vorher nicht aufgefallen, umso größer die Überraschung, als er nach seinem Messerangriff behauptet, die Tat im Namen des IS verübt zu haben. Im Haftbefehl des Generalbundesanwalts steht: „Issa Al H. teilt die Ideologie der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) und schloss sich der Vereinigung zu einem derzeit nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 23. August 2024 an. Auf Grund seiner radikal-islamistischen Überzeugungen fasste er den Entschluss, am 23. August 2024 auf dem Solinger Stadtfest eine möglichst große Anzahl aus seiner Sicht ungläubiger Menschen zu töten. Dort stach er mit einem Messer hinterrücks wiederholt und gezielt auf den Hals- und Oberkörperbereich von Besuchern des Festivals ein. Drei Personen verstarben, acht weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt.“

    Al H. stammt aus Deir al-Sor im Osten Syriens. Hier, wo der Euphrat fließt, wird gekämpft. Syrische Regierungstruppen und pro-iranische Gruppen stehen dort kurdischen Milizionären und US-Soldaten gegenüber. Die syrischen Einheiten schossen vor wenigen Tagen vom Westufer des Flusses auf die Kurdenkämpfer am anderen Ufer, die das Feuer erwiderten, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte. Ein Brennpunkt der Gefechte ist die Stadt Deir al-Sor. Der Euphrat markiert in Syrien die Grenze zwischen dem Machtbereich von Präsident Baschar al-Assad und seinen Partnern Russland und Iran im Westen des Landes sowie dem Einflussbereich der USA und der mit ihnen verbündeten Kurdenmiliz SDF im Osten. Auch der Islamische Staat hat sich in der Gegend festgesetzt und profitiert von Spannungen zwischen der arabischen Bevölkerung und den Kurden in der Region.

    Die Gründe, warum der mutmaßliche Attentäter von Solingen seine Heimat verlassen hat, bleiben allerdings im Ungefähren. Zum einen soll er den Behörden gesagt haben, er wolle sich dem Wehrdienst in Syrien entziehen. Aber auch sein Leben in armen Verhältnissen brachte der Mann wohl vor. (mit dpa)

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    7 Kommentare
    Walter Koenig

    Zitat: >>Allein NRW stellte von Januar bis Juli aber 1126 Übernahmeersuchen an das Land, von denen Sofia nur etwa 426 akzeptierte. Überstellt wurden davon schließlich 25 Personen - knapp sechs Prozent. Fallstricke gibt es viele: Im Fall Bulgarien dürfen Abschiebeflüge nach Angaben des NRW-Flüchtlingsministeriums nur von Montag bis Donnerstag zwischen 9 und 14 Uhr ausschließlich in der Hauptstadt Sofia landen. Eine Überstellung auf dem Landweg ist ebenso wie ein Charterflug nicht erlaubt. Eine Airline darf maximal zwei abzuschiebende Personen pro Flug befördern. Damit sind dem Ministerium zufolge für alle 16 Bundesländer theoretisch nur etwa zehn Abschiebungen pro Woche nach Bulgarien möglich. << Das sollten sich die ganzen Schreihälse nach Abschiebung sehr gründlich verinnerlichen, denn es liegt nicht am Wollen!! Wie das Beispiel deutlich zeigt, könnte auch eine AfD nichts anders machen!

    Maria Reichenauer

    Der Bericht dokumentiert wortreich, dass die Autoren wenig bis nichts wissen. Vielleicht sollten sie mal einen Flüchtling begleiten, der versucht, sich von der Schwarzmeerküste in den Norden durchzuschlagen. Vielleicht sollte man mal berichten, warum jemand untertaucht, weil er nach Bulgarien zurück soll. https://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-bulgarien-abschiebung-gewalt-1.5718326 Und warum verlässt jemand seine Heimat? Warum fragt man nicht einfach mal nach statt aus der gutbürgerlichen Wohlfühlzone heraus über jemand zu sprechen? Warum zeigt die Zeitung nicht beide Seiten der Medaille? Richtig, das ist alles keine Entschuldigung für einen derartigen Gewaltexzess, aber EIN Grund für so etwas liegt darin, dass sich Menschen in die Ecke gedrängt, ausgeliefert, machtlos fühlen. Man spricht über Zustände in Bulgarien und im griechischen Moria wie über schlechtes Wetter, dass dahinter Menschen stecken, die Gefühle haben und Schmerz empfinden, vergisst man leicht.

    Franz Xanter

    Was interessant ist bei all den Kommentaren und Reportagen: Der Hinweis auf Gesetze, Vorschriften etc., welche eine effektive Durchführung bzw. die Abschiebung oder Zurückweisung generell untersagen würde. Bei alle dem wird aber vergessen, dass jedes Gesetz, jede Vorschrift etc. auch geändert oder aktualisiert werden kann; auch internationale bzw. europäische Gesetze. Nur den Anfang bzw. die Beantragung zur Änderung oder Aussetzung sucht man vergeblich. Wenn nicht mal der Wille zur Umsetzung, Anpassung etc. gegeben ist, so wird sich auf politischer Ebene nichts ändern. Dann ist und bleibt das Volk gefragt.

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    Walter Koenig

    Bulgarien ist ein souveräner Staat, Franz Xanter. Und der gibt vor, was er erlaubt und was nicht. Dann möchte ich Sie und Ihre AfD mal sehen, wo die ganze Gescheitheit bleibt. Aber das begreifen manche Leute eben bis heute nicht, dass Deutschland hier nichts zu entscheiden hat, sondern auf die Bedingungen anderer Staaten eingehen muss!

    Franz Xanter

    Ich muss feststellen, dass verstehen scheinbar nicht Ihre Stärke ist, denn sonst hätten Sie erkennen müssen, dass ich in keiner Weise mich mit Bulgarien und deren Gesetze abgetan hätte. Es geht eindeutig global um die Gesetzgebung und daraus resultierend die damit zusammenhängenden Maßnahmen. Und dies bedeutet, dass sowohl national als auch auf europäischer und internationaler Ebene niemand gezwungen ist, eingegangene Gesetze auf Dauer als legitim behalten zu müssen. Jede juristische Verpflichtung kann abgeändert oder gekündigt werden. Und Ihre hellseherischen Fähigkeiten "Dann möchte ich Sie und Ihre AfD mal sehen, ..." scheinen Ihr Nichtverständnis zu bestätigen, denn wie Sie auf diese Assoziation kommen scheint Ihr Geheimnis zu bleiben. Aber scheinbar unterstellen Sie jedem eine AfD-Zugehörigkeit, welcher auch nur im entferntesten juristische Möglichkeiten und Gegebenheiten aufzeigt.

    Richard Merk

    >>Dann ist und bleibt das Volk gefragt.<< Welches Volk wollen Sie fragen? Wollen Sie Selbstjustiz oder wollen Sie einen Migranten via Schleuser nach Bulgarien bringen. Ihre Vorstellungen bleiben und sind wie immer einfach haarsträubend.

    Walter Koenig

    Und Sie glauben allen ernstes, dass alle anderen Staaten nach der Pfeife Deutschlands tanzen? Schon die Probleme der Ampel sollten eigentlich Beweis genug sein, wie schwierig es ist, mit Partnern unterschiedlicher Ausrichtung zu einem Ergebnis zu kommen. Was glauben Sie, wie das erst bei 27 Staaten aussieht? So wenig Realitätssinn hätte ich Ihnen wirklich nicht zugetraut.

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