Alle diplomatischen Bemühungen des Westens sind gescheitert. Mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine muss Europa die erste Invasion gegen einen friedlichen Nachbarn in Europa seit dem deutschen Einmarsch in Polen im Jahr 1939 verfolgen. Das ändert alles. Wir leben seit diesem Donnerstagmorgen in einer anderen Welt. Dementsprechend unter Schock steht die Europäische Union – und sucht nach einer passenden Reaktion. Was könnte die Staatengemeinschaft tun, was Wladimir Putin zum Einlenken bewegen würde?
Nicht nur die Frage wird zu spät gestellt, es gibt auch keine hoffnungsvolle Antwort. Eine Verschärfung der wirtschaftlichen Strafmaßnahmen, die bislang äußerst moderat ausfielen, dürfte nicht mehr viel ausrichten. Als ob die russischen Panzer auf ihrem Weg in die Ukraine umdrehen würden, weil der Westen noch mehr Mitglieder der russischen Elite auf ihre Sanktionsliste setzt. Man hätte schon viel früher, spätestens Anfang dieser Woche, große Teile des Sanktionsarsenals ausschöpfen müssen.
Und selbst das hätte Wladimir Putin wohl kaum aufgehalten. Aber dass man aus Angst vor negativen Auswirkungen auf die eigene Wirtschaft noch nicht die mächtige Waffe gezückt hat, Russland aus dem weltweit größten Zahlungsnetzwerk Swift auszuschließen, war ein Fehler. Obwohl dieser und weitere Schritte den Westen ebenfalls treffen, zur Realität von Sanktionen gehört, dass sie auch den Initiator schmerzen.
Angriff auf Ukraine: Der Westen hat auf die Warnsignale nur zögerlich reagiert
Nun kann es keine Ausflüchte oder Beschwichtigungen mehr geben, das weiß man auch in Brüssel. Mit entsprechenden Ankündigungen ist zu rechnen. Doch angesichts der katastrophalen Lage müssen jetzt tatsächlich alle Möglichkeiten ausgenutzt werden. Das gilt insbesondere für Waffenlieferungen an die Ukraine, die dort seit Monaten fast verzweifelt gefordert werden. Denn es geht nicht nur darum, einem souveränen Land zu helfen, sich zu verteidigen, sondern um unsere Werte, um alles, für das wir stehen, was wir in den letzten Jahrzehnten erreicht haben.
Hier handelt es sich um einen Wettstreit der Systeme: Demokratie gegen Autokratie. Das liberale Gesellschaftsmodell gegen die Linie von autoritär vorgehenden Regimes. Der Westen und insbesondere die EU sollte auch deshalb mit Selbstbewusstsein alle verfügbaren Mittel zur Verteidigung ihrer Werte nutzen. Denn Putin interessieren die Sanktionen nur bedingt, er orientiert sich wirtschaftlich längst in Richtung Osten und setzt auf die Beziehungen zu China. Ob diese Rechnung aufgeht, wird sich erst noch zeigen.
Das Problem ist, dass der Westen mit seinem zögerlichen Vorgehen seit Monaten nur auf die sich überschlagenden Ereignisse reagiert, anstatt selbst Fakten zu schaffen und den Verlauf der Geschichte zu formen. Man hat den wahnsinnigen Autokraten Putin unterschätzt, zwei Jahrzehnte Wunschdenken hinsichtlich der russischen Absichten rächen sich nun. Putin kämpft seit langem gegen die Idee demokratischer Gesellschaften, nun will er die Weltordnung in sein Fantasiereich aus dem 20. Jahrhundert zurückbomben.
Beweise für den aggressiven, antidemokratischen Kurs in Moskau gab es in den vergangenen Jahren zuhauf. Vonseiten der EU, die sich jetzt zwar geschlossen präsentiert, aber hinter den Kulissen alles andere als einig ist, klangen die Reaktionen stets scharf, erwiesen sich letztlich aber wie ein zahnloser Tiger. Europa muss schleunigst aufwachen.
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