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Analyse: Wie wir uns aus Ignoranz um unsere Chancen in Afrika bringen

Analyse

Wie wir uns aus Ignoranz um unsere Chancen in Afrika bringen

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    An der Bahia de Luanda wachsen Häuser in die Höhe. Die Hauptstadt verfügt über ein modernes Wohn- und Büroquartier an der Atlantikpromenade.
    An der Bahia de Luanda wachsen Häuser in die Höhe. Die Hauptstadt verfügt über ein modernes Wohn- und Büroquartier an der Atlantikpromenade. Foto: Michael Kappeler, dpa (Archivbild)

    Afrika! Einst Sehnsuchtsort, der Reichtum und grenzenlose Freiheit verhieß. Briten, Franzosen, Belgier, Spanier, Portugiesen, Italiener und später auch Deutsche sahen in dem großen Kontinent ihre Zukunft. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts begann der Wettlauf um den „Platz an der Sonne“, wie man im deutschen Kaiserreich schwärmte. Opfer dieser maßlosen Gier waren die Einheimischen – Ausbeutung, Gewalt und eingeschleppte Krankheiten forderten viele Millionen Opfer. 

    Deutschland hat seine Überseebesitzungen schon nach dem Ersten Weltkrieg verloren. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg war die Euphorie in Europa längst der Ernüchterung gewichen, auch fehlten Frankreich, Belgien oder Portugal schlicht die Kraft, die Kolonien zu halten. Zurück blieben kaum funktionsfähige Staaten, deren von den Kolonialmächten willkürlich gezogene Grenzen Siedlungsgebiete homogener Ethnien wie mit der Schere durchschnitten. 

    Im Kalten Krieg ging es den Blöcken nur darum, afrikanische Staaten auf ihre Seite zu ziehen

    Im Kalten Krieg ging es den verfeindeten Blöcken darum, die afrikanischen Staaten jeweils auf ihre Seite zu ziehen. Diktaturen und Korruption wurden in Kauf genommen, ja durch fehlgeleitete Entwicklungshilfe und einen Handel, der nicht selten weiterhin die Schwelle zur Ausbeutung überschritt, indirekt noch gefördert. Hinzu kommt, dass afrikanische Eliten oder Familienclans in einigen Ländern seit Generationen direkt an der Macht beziehungsweise im Hintergrund die Fäden ziehen und den Staat ohne jeden Skrupel ausplündern. 

    Im „Afrikanischen Jahr“ 1960 und später wurden immer mehr Länder, zumindest formal, unabhängig. Das Gift des Kolonialismus wirkte jedoch weiter – graue Bilder von einem chronisch rückständigen Kontinent, von Kriegen, Staatsstreichen und Hunger sind in den Köpfen der Europäerinnen und Europäer präsent. Erfolgsgeschichten von Staaten, die eine positive Entwicklung genommen haben, werden kaum registriert. Noch heute sorgen Fotos von der modernen Skyline der Hauptstädte von Ghana oder Angola – Accra und Luanda – bei vielen Deutschen für Erstaunen. „Das soll Afrika sein?“, heißt es verblüfft. Afrika wird längst nicht mehr als Sehnsuchtsort, sondern eher als Bedrohung wahrgenommen. 

    Anhänger von Nigers Junta präsentieren eine russische Flagge bei einer Demonstration gegen die Einmischung ausländischer Mächte. Der Westen fürchtet, dass Moskau in dem westafrikanischen Staat an Einfluss gewinnen könnte.
    Anhänger von Nigers Junta präsentieren eine russische Flagge bei einer Demonstration gegen die Einmischung ausländischer Mächte. Der Westen fürchtet, dass Moskau in dem westafrikanischen Staat an Einfluss gewinnen könnte. Foto: Sam Mednick, AP, dpa

    Europa hat vieles verschlafen. Früher gab es ein eng geknüpftes Handelsnetz. Dann kamen die Konkurrenten und haben systematisch investiert“, sagte der Westafrika-Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), Ulf Laessing, im Gespräch mit unserer Redaktion. Beispiel Niger: „Das Ganze wirkte so, als ginge es den beteiligten EU-Mitgliedern in erster Linie darum, negative Folgen von Terror und Migration für Europa zu bekämpfen, weniger um Niger und seine Bevölkerung.“ 

    Der Westen hat viel zu spät realisiert, dass sich die Verhältnisse in Afrika verändert haben. Der Kontinent verfügt über Bodenschätze, ohne die viele Zukunftstechnologien keine Zukunft hätten. Das wissen die Regierungen, ob autokratisch oder demokratisch, sehr genau – und sie nutzen die immer größer werdende Auswahl potenzieller Partner. Mit Folgen für die USA und Europa, die noch in den 90er-Jahren rund 80 Prozent aller Bauaufträge erhielten – aktuell sind es nur noch wenig über zehn Prozent. Parallel dazu hat der Westen massiv an Ansehen in der Bevölkerung verloren. Für Laessing ein Resultat der oft fehlenden Nachhaltigkeit des Engagements. Die Zusammenarbeit richte sich oft nur an die Eliten, beklagte die Friedens- und Konfliktforscherin Simone Schnabel im Deutschlandfunk. Die Bevölkerung würde von westlichen Finanzhilfen kaum profitieren, auch weil sie in nicht funktionsfähige Strukturen fließen. 

    Viele Afrikanerinnen und Afrikaner erleben Demokratie als dysfunktional

    Während Deutsche nach dem Krieg die Erfahrung gemacht haben, dass ein demokratisch verfasster Staat nachhaltigen Wohlstand schaffen kann, erleben viele Afrikanerinnen und Afrikaner Demokratie als System, das nicht in der Lage ist, die Sicherheit zu bieten, Korruption zu bekämpfen oder die soziale Situation zu verbessern – so wie in Niger und zuvor in Mali. Aktuell besteht die Sahelzone aus einer Kette von Militär-diktaturen. Eine bittere Bilanz. 

    Die Erfolge fahren oft andere Player ein. Natürlich hat Peking, das nie nach der Menschenrechtslage fragt, stets die eigenen Vorteile, sprich Rohstoffe und politischen Einfluss im Blick – so agierten und agieren allerdings nicht selten auch westliche Staaten. Gleichzeitig kommen chinesische Großprojekte, aber auch der Bau von Schulen und Kliniken, in der Bevölkerung gut an. Dies bestätigt eine Umfrage des amerikanischen Pew Research Centers: Während China wegen seiner aggressiven Politik weltweit immer unbeliebter wird, ist Pekings Reputation in Afrika hoch. 

    Fast unbemerkt hat sich die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan in den letzten 20 Jahren zu einem wichtigen Akteur in Afrika gemausert. Ankara finanziert den Bau von Moscheen, hat sein Netz von Botschaften und Konsulaten systematisch ausgebaut, verkauft Lebensmittel, Kleider oder Möbel und natürlich Waffen – mit steil ansteigender Tendenz. 

    Experte Ulf Laessing glaubt, dass Russlands Potenzial vom Westen überschätzt werde

    Im Fokus des Westens sind die Aktivität Moskaus und der Söldnertruppe Wagner in Afrika. Laessing, der das Regionalprogramm Sahel der KAS von der malischen Hauptstadt Bamako aus leitet, glaubt jedoch, dass die Rolle Russlands „von außen größer wirkt, als sie tatsächlich“ sei: „Moskau hat nur ein sehr punktuelles Interesse an Afrika. Es geht, wie jetzt in Mali oder Niger, um Destabilisierung, den Verkauf von Waffen oder Söldnerdiensten – weniger um Entwicklungshilfe oder Handel.“ 

    Was ist also nötig für ein Comeback des Westens? Langfristiges Denken statt Schaufensterprojekte. Mehr Expertise – in der Politik, aber auch in der Wirtschaft. Ganz allgemein ist das Wissen in der deutschen Bevölkerung über den großen Nachbarkontinent im Süden gering und oft von Vorurteilen geprägt. Natürlich soll es in der Außenpolitik der EU auch um Werte gehen, aber mit mehr Realismus und weniger Arroganz. 

    Sich raushalten ist eine gefährliche Alternative

    Doch auch die beste Afrikapolitik ist langfristig nur tragfähig, wenn das exorbitante Bevölkerungswachstum, das Fortschritte in vielen Ländern förmlich auffrisst, gesenkt werden kann. Wer einfach nur zusieht, sich raushalten will, riskiert einen Boomerangeffekt, der Europa nicht verschonen wird. Ulf Laessing: „Die Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit von Millionen von Afrikanern macht einem schon Angst und Bange.“ 

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