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Analyse: Wie ticken sie denn nun, diese Amerikaner?

Analyse

Wie ticken sie denn nun, diese Amerikaner?

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    Ein Mann joggt mit einer Nationalflagge der Vereinigten Staaten eine Straße in Houston (Texas) entlang.
    Ein Mann joggt mit einer Nationalflagge der Vereinigten Staaten eine Straße in Houston (Texas) entlang. Foto: David J. Phillip, AP/dpa

    Die Welt blickt ratlos auf Amerika. Amerika blickt ratlos auf sich selbst. Und wir Journalisten? Blicken ratlos, auch auf uns selber. Haben wir (wieder) alles falsch eingeschätzt, lagen wir so verkehrt wie die Meinungsforscher, als wir mehrheitlich nicht für möglich hielten, dass jene zornige, fluchende, offen vulgäre, Anstand und Demokratie verhöhnende Person wirklich erneut so viel Rückendeckung quer durch das ganze Land erhält? Oder ist diese Art der Beschreibung von Donald Trump genau das Problem, das zu solchen Fehleinschätzungen führte?

    Die amerikanische Presse könnte den Erfolg Trumps befeuert haben

    "Sie müssten jetzt nicht so überrascht tun, wenn Sie über die Jahre ehrlich berichtet hätten, was in den USA wirklich los ist", schrieb mir ein Leser am Tag nach der Wahl. Andere regten an, wir hätten Trump nicht so verhöhnen dürfen, dann hätten auch nicht so viele Menschen für ihn gestimmt, unter anderem aus Mitleid mit dem armen Opfer.

    Es ehrt uns, dass man uns so viel zutraut, aber die Auslandspresse spielt bei US-Wahlen keine Rolle. Richtig ist aber, dass sich auch amerikanische Kollegen gerade ja fragen: Haben wir mit unserem Spott, vielleicht auch Hass, Trump eher geholfen? Und: Verstehen wir überhaupt (noch), wie jene Amerikaner "ticken", die eben nicht in New York wohnen oder in Los Angeles, sondern irgendwo in diesen meist wenig besiedelten ländlichen Gegenden, die manche arrogant "flyover counties" nennen, weil man die am liebsten höchstens von weit oben aus dem Flugzeug sehen möchte?

    Joe Biden versucht, sich den weniger gebildeten Amerikanern zu nähern

    Es ist ja nicht so, als habe es keine Versuche dazu gegeben. Die Demokraten haben sich bemüht, nach dem Wahl-Debakel von 2016 den "zornigen weißen Mann" auszuleuchten. Auch wir Journalisten sind ausgeschwärmt, um Abstiegsängstliche in West Virginia, in Ohio oder in Kentucky zu besuchen. Bald saß dort gefühlt fast an jedem Tresen ein Reporter, Bücher wie die "Hillbilly Elegies", die den vermeintlichen "Hinterwäldlern" ein Denkmal setzten, wurden Verkaufsschlager.

    Man hat diese also besucht, aber vielleicht doch eher neugierig bestaunt. Offenbar hat man sie in jedem Fall kaum erreicht. Das kann auch daran liegen, dass Amerika ein landgewordener Widerspruch ist. Es stimmen beide Klischees: die vom amerikanischen Überflieger, der jeden Tag die Welt retten oder erobern will, manchmal beides. Du kannst in Washington oder New York oder Boston jede Menge 22-Jährige treffen, die alles gelesen haben, die dir die Welt voller Brillanz (oder Arroganz?) erklären.

    "The Best and the Brightest" wollte schon Kennedy versammeln, die Besten und die Klügsten, allerdings begannen die auch den Vietnamkrieg. Umgekehrt gibt es natürlich jene Amerikaner, die gar nichts lesen, die Sushi für eine Möbelmarke halten und nur die TV-Fernbedienung für systemrelevant. Um sie zu erleben, musst du gar nicht immer weit raus aufs Land fahren, manchmal reicht es, in einer Stadt ein paar Straßen weiter zu gehen. Jeder Staat würde sich schwertun, dieses "E pluribus unum" zu vereinen, das amerikanische Motto, aus vielem das eine.

    Die Demokraten haben mit dem Kandidaten Joe Biden versucht, eine Brücke zu denen zu bauen, die nicht morgens die New York Times verschlingen und Podcasts hören. Er tat immer so, als sei er ein Kumpel aus Scranton, der am liebsten mit dem Nachbarn an der Hecke quatscht. Aber das war natürlich Unsinn. In einer TV-Debatte hat Trump geschimpft, Biden komme gar nicht echt aus Scranton. Klang irre, war aber vermutlich effektiv. Man dachte bei Biden immer eher an dessen Jahre im Senat, auch an Barack Obama – der wiederum gerne über Netflix philosophiert oder über den Preis von Rucola-Salat. Und der um sich Berater scharte, die in der Finanzkrise eher Banken retten als Banken bestrafen wollten und danach, wie Hillary Clinton, Millionen von Wall-Street-Firmen einstrichen.

    Amerikaner haben keine Einwände gegen Steuersenkungen für Reiche

    Wenn die "Absteiger" von den Demokraten enttäuscht sind, warum wählen sie dann die Republikaner, die vor allem Steuersenkungen für Superreiche wollen (die Trump radikal umsetzte) und ihnen nicht mal eine staatliche Krankenversicherung gönnen? Teils erklärt sich das kulturell. Viele Amerikaner haben etwa nichts gegen Steuersenkungen für Reiche – weil sie hoffen, irgendwann zu denen zu gehören. Ronald Reagans böser Scherz, der gefährlichste Satz sei: "Ich bin von der Regierung und komme, um Ihnen zu helfen", prägt immer noch das Bild vom Staat.

    Schon früher verstanden es die Republikaner, Wähler gegen ihre eigenen Wirtschaftsinteressen stimmen zu lassen, indem sie Reizthemen wie Abtreibung oder Waffenbesitz befeuerten. Trump war noch geschickter. Obwohl Milliardär und jeder Empathiefähigkeit unverdächtig, wirkt er auf viele Abstiegsängstliche wie einer von ihnen. Als sei er, obwohl irrsinnig privilegiert, auch ein Opfer irrsinnig gewordener Eliten.

    Das funktioniert jetzt wieder, da Trump vom Wahlbetrug raunt. In Amerikas TV-Runden ist jene Ohnmacht derer zu sehen, die sich über den neuesten Trump aufregen. Und zugleich der ohnmächtige Zorn derer, die das als Beleg sehen, dass die Elite sich über ihren Liebling lustig macht und damit über sie selbst.

    Könnten diese beiden Lager einander besser verstehen? Oder gibt es Grenzen, wie man wirklich ins Gespräch kommen kann? Und droht Ähnliches in Deutschland, nur dass wir – zum Glück – bislang keine Figur wie Trump kennen? Aber den Rest schon?

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