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Analyse: Wie Habeck die Ampelkoalition neu starten will

Analyse

Wie Habeck die Ampelkoalition neu starten will

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    Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit seinen Ministern Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP). Können die Streitpunkte in der Ampelkoalition beigelegt werden?
    Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit seinen Ministern Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP). Können die Streitpunkte in der Ampelkoalition beigelegt werden? Foto: Michael Kappeler, dpa

    Langer Applaus am Anfang und am Ende. Es ist ein ganzes Stück her, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck warmen Beifall bekommen hat. Die Heidelberger, die zum Bürgerdialog mit ihm geströmt sind, hat er am Montagabend für sich einnehmen können mit seiner Habeck-Rezeptur. Es ist die Mischung aus Alltagssprache, verschmitztem Lächeln und tiefergehenden Gedanken, mit der er die Leute gewinnt. Der Minister plaudert auch ein bisschen aus dem Alltag. Dass er nach Terminen im Land gerne noch einmal durch die Städte streift, und sich mit Sonnenbrille und Baseball-Kappe tarnt. "Ich sah wie ein amerikanischer Basketballspieler oder Gangster aus", erzählt er. Von der Größe her, antwortet die Moderatorin des Bürgerdialogs, wohl eher wie ein Gangster. Der Saal lacht.

    Hinter ihm liegen furchtbare Monate. Das Heizungsgesetz geriet zu einem Fiasko. Habeck wurde in der Öffentlichkeit geprügelt, der eigene Koalitionspartner FDP trieb ihn vor sich her und entkernte das wichtige Projekt der Grünen. Verloren haben wegen des harten Streits über das Gesetz alle drei Ampelpartner. Wäre nächsten Sonntag Bundestagswahl, würde das Bündnis abgewählt. "Eine Regierung, die sich öffentlich so streitet wie die Kesselflicker, ist nicht gut", gibt Habeck zu. "Das ist weder gut für Deutschland, das ist nicht gut die Parteien." Die einzige Partei, die von den Ränken profitiert, ist die AfD. Der Grünen-Anführer setzt darauf, dass der Sommer Entspannung bringt nach den aufreibenden Wochen.

    Die Ampelkoalition muss aufhören, sich zu streiten

    Wie ein angeschlagener Boxer geht das Bündnis in die Rundenpause, hoffend, dass die Kraft noch einmal zurückkehrt. Um die Koalition aus dem Tief zu bringen, will Habeck ein simples und zeitgleich schwieriges Konzept versuchen. Es lässt sich auf den Satz zusammenfassen, die Logik der Aufmerksamkeitsökonomie zu durchbrechen, nach der das Negative stets stärker wirkt als das Positive. Konkret übersetzt heißt das in seinen Worten, dass es aufhören muss, sich gegenseitig Doofheit vorzuwerfen. "Dazu sind wir jetzt verdammt, und ich will versuchen, dass das auch gelingt", verspricht der 53-Jährige den zusammengeströmten Bürgern. Das heißt aber, dass die FDP ihr Geschäftsmodell ändern und aufhören muss, jedes entscheidende Projekt der Grünen zu torpedieren.

    Die Heidelberger sind ein dankbares Publikum. Die alte Unistadt am Neckar ist eine grüne Hochburg, wenn es gegen die Liberalen geht, wird spontan geklatscht. Die kritischste Frage stellt ein Rentner, der vom zuständigen Minister wissen möchte, wieso die Bearbeitung seines Förderantrages für neue Fenster Monate dauert und er in der Behörde niemanden erreichen kann. Natürlich fällt auch die Frage nach der Stärke der AfD, die gleichzeitig die Schwäche von SPD, Grünen und FDP ist.

    Habeck kann der Erklärung der Soziologen Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger viel abgewinnen. Demnach suchen die Wähler der Rechtspopulisten nicht etwa den starken Führer, sondern wollen vom Staat in Ruhe gelassen werden, weil sie seine Agenda nervt. Die Corona-Masken, die Impfungen, der Kampf gegen den Klimawandel mit der Abkehr vom Auto mit Benzin und Diesel. Der schallende Ruf dagegen lautet Freiheit. Es ist das Freiheitsverständnis aus der Frühzeit der USA, des Wilden Westens. "Wir schießen selbst, wir brauchen keine Polizisten", erklärt es Habeck bewusst überspitzt. Für die Grünen ist diese Debatte nicht leicht, weil sie einst als Partei in Abgrenzung zu den etablierten staatlichen Institutionen gegründet wurden. Die individuelle Freiheit "ist ein starker Gedanke", sagt der Minister. Wie genau er die Libertären zurückholen will in das Lager der gemäßigten Freiheitsfreunde, weiß er noch nicht. Er müsse noch etwas darauf rumkauen. Zunächst einmal gilt, sich in der Ampelkoalition nicht mehr doof zu finden.

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