Die Warnschüsse kamen für die EU zuhauf in den vergangenen Jahren. Die letzten und besonders lauten waren die chaotische Evakuierung der Streitkräfte in Afghanistan und zuletzt der russische Truppenaufmarsch nahe der ukrainischen Grenze. Deshalb will die EU nun Tempo machen bei ihren Plänen in Sachen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Wie kann die Staatengemeinschaft militärisch unabhängiger werden? Darüber berieten am Donnerstag die EU-Außen- und Verteidigungsminister im französischen Brest. Neben den Gesprächen über aktuelle Krisenherde wie den Ukraine-Konflikt stand im Zentrum des zweitägigen Treffens der sogenannte Strategische Kompass, ein sicherheits- und verteidigungspolitisches Weißbuch, mit dem einerseits die Bedrohungen für Europa analysiert werden sollen. Zum anderen ging es um die Frage, was die EU ohne fremde Hilfe, ergo ohne die Unterstützung der USA, militärisch wie diplomatisch erreichen kann diplomatisch erreichen kann.
„Die EU muss ihre Präsenz, Effektivität und Sichtbarkeit auf der Weltbühne durch gemeinsame Anstrengungen und Investitionen erhöhen“, heißt es in dem Dokument, das seit seiner Vorstellung im November durch den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell überarbeitet und auf 34 Seiten erweitert wurde. So kamen Passagen etwa zu China, Bosnien oder dem Iran hinzu – und zu Russland. Wohl als Reaktion auf die jüngsten Spannungen mit dem Kreml wird nun konkret darauf verwiesen, dass jegliches Engagement mit Moskau auf den im März 2016 vereinbarten fünf Grundsätzen für die EU-Politik gegenüber Russland beruhe, wozu unter anderem die vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zur friedlichen Lösung des Konflikts in der Ostukraine gehörten, während man „gegen illegale, provokative und störende russische Aktivitäten gegen die EU, ihre Mitgliedstaaten und Drittländer“ vorgehen werde.
Forderungen nach Vorbereitung neuer Sanktionen gegen Russland im Falle eines Angriffs
Genügt die Verschärfung der Sprache den osteuropäischen und baltischen Staaten, wo die Angst vor Russlands Gebaren noch deutlich größer ist? In den nächsten Wochen, so schätzen Diplomaten, dürfte der Strategische Kompass weiter überarbeitet werden. Rumäniens Chefdiplomat Bogdan Aurescu warb gestern dafür, die EU-Sanktionsvorbereitungen für den Fall voranzutreiben, dass Russland die Ukraine angreifen sollte . „Die Möglichkeit der Annahme neuer Sanktionen stellt den Beitrag der EU dar, Russland von weiteren aggressiven Handlungen abzuhalten.“
Auch Vertreter von Mitgliedstaaten wie Litauen, Polen und Schweden forderten, Moskau klare rote Linien aufzuzeigen und nannten insbesondere die Forderung aus dem Kreml nach einem Stopp der Nato-Erweiterung als Beispiel. Präsident Wladimir Putin versuche, die dunkelsten Tage des Kalten Krieges wieder aufleben zu lassen, kritisierte Dänemarks Außenminister Jeppe Kofod. Es ist kein Zufall, dass Frankreich gleich zu Beginn seiner EU-Ratspräsidentschaft das Treffen an der Atlantikküste ansetzte. Immerhin pocht Paris seit längerem auf mehr Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Europäer. Geplant ist unter anderem eine europäische Eingreiftruppe, die bis zu 5000 Soldaten umfassen und bis 2025 voll einsatzfähig sein soll.
Noch vor dem Treffen hatte Annalena Baerbock betont, es brauche mehr als das Management aktueller Krisen, um Europas Rolle in der Welt zu stärken. Sie verwies auf längerfristige Strategien und Planungen. „Gerade gegenüber autokratischen Akteuren wie Russland und China ist wichtig: Wenn Europa einen gemeinsamen Kurs fährt und geschlossen auftritt, ist es ein Schwergewicht - agiert es dagegen gespalten, kämpft es unter seiner Gewichtsklasse“, so die deutsche Außenministerin. Die Botschaft, die man von der französischen Atlantikküste in Richtung Moskau aussenden wollte, war klar: Der Westen lässt sich von Russland nicht spalten.