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Analyse: Wie die AfD von Verunsicherung profitiert – und andere Parteien ihr dabei helfen

Analyse

Wie die AfD von Verunsicherung profitiert – und andere Parteien ihr dabei helfen

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    Björn Höcke (links), Vorsitzender der AfD Thüringen und Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender mit dem ersten Landrat der Partei, Robert Sesselmann (Mitte).
    Björn Höcke (links), Vorsitzender der AfD Thüringen und Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender mit dem ersten Landrat der Partei, Robert Sesselmann (Mitte). Foto: Martin Schutt, dpa

    Deutschland ist ein zutiefst verunsichertes Land. Man muss die vielen Krisen, die innerhalb kurzer Zeit über die Menschen hereingebrochen sind, nicht noch mal alle aufzählen. Die Folgen lassen sich inzwischen an Wahlergebnissen und Umfragen ablesen: Es gibt nur eine politische Kraft, die davon profitiert.

    Die AfD verbucht bundesweit die zweithöchsten Zustimmungswerte und stellt im thüringischen Sonneberg nun erstmals einen Landrat. Die anderen Parteien wirken hilflos und schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Das lässt die Verunsicherung nur noch wachsen.

    Wahlsieg in Sonneberg: "Immer weniger Menschen genieren sich, AfD zu wählen"

    "Dass in einem Landkreis so viele Menschen einer Partei zustimmen, die von ihrem Landesverfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird, beunruhigt mich zutiefst", schreibt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, am Montag danach in einem Gastbeitrag für den Spiegel. Er bezeichnet Sonneberg als Dammbruch und sieht die demokratischen Parteien in der Pflicht, diesen Damm zu reparieren. Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, stellt im Gespräch mit unserer Redaktion fest, dass sich "immer weniger Menschen genieren, sich zur AfD zu bekennen". Im Osten sei das schon lange kein Thema mehr. "Je höher die Umfragewerte bundesweit steigen, desto mehr potenzielle AfD-Sympathisanten werden das Gefühl bekommen, dass sie gar nicht zu einer Minderheit gehören", erklärt die Politikwissenschaftlerin.

    Beispiele für einen solchen, sich selbst verstärkenden Effekt gibt es einige. Als einst der Schulz-Zug der SPD rollte, wollten eine Zeit lang plötzlich ganz viele aufspringen – und dann wieder ab. Umgekehrt hat etwa die FDP schon erlebt, was passieren kann, wenn eine Partei der eigenen Wählerschaft latent peinlich wird. 2013 flogen die Liberalen so aus dem Bundestag.

    Münch rät dazu, den AfD-Erfolg von Sonneberg nicht überzubewerten. Tatsächlich geht es um rund 16.000 Stimmen, die bei mäßiger Wahlbeteiligung zum Sieg gereicht haben. Doch auch die Politikexpertin rechnet damit, dass die Wahl lange nachhallen wird. Dass allein die Fehler in der Ampel-Koalition für das Erstarken der AfD verantwortlich sein sollen, wie es CDU-Generalsekretär Mario Czaja am Montag unterstellte, will Münch nicht gelten lassen. "Das nicht gerade grandiose Regierungshandeln auf Bundesebene wird durch oft unsachliche Kritik aus der Opposition überhöht. Auch CDU und CSU oder Freie Wähler mischen da alles Mögliche zusammen, was gar nichts miteinander zu tun hat, und am Ende entsteht der Eindruck, der Staat sei handlungsunfähig und schuld daran seien Gendersternchen oder solche Sachen. Das aber hilft eben vor allem der AfD, die der zunehmenden Untergangsstimmung ja ihren Zuspruch verdankt", analysiert die Expertin.

    Politikwissenschaftlerin Ursula Münch: "Menschen erwarten Vorschläge statt Stimmungsmache"

    Es sei eine Prämisse der Demokratie, dass die Opposition das Regierungshandeln kritisch zu beleuchten habe. "Aber die Art und Weise, wie das derzeit passiert, halte ich für problematisch. So werden nur Ängste geschürt, anstatt bessere Lösungen anzubieten. Und genau deshalb profitiert davon auch nur die AfD, die immer betont, dass sie als einzige Partei mit der Regierungsarbeit in Bund und Ländern nichts zu tun habe", sagt Münch. Ihr Rat für den aufziehenden bayerischen Landtagswahlkampf: "Die Mehrheit der Menschen, die an Ergebnissen interessiert sind, erwartet von Politikern nicht Stimmungsmache, sondern, dass sie vernünftige Vorschläge machen und diese auch umsetzen." 

    Dass es nicht reicht, einfach gegen die AfD zu sein, hat sich in Sonneberg gezeigt. SPD, Grüne, FDP und Linke hatten dafür geworben, in der Stichwahl den CDU-Kandidaten zu wählen. Ohne Erfolg. Auf der anderen Seite: Hätte es diese Wahlempfehlung nicht gegeben, wäre wohl auch ein Aufschrei durchs Land gegangen. Das sieht auch Münch so, gibt aber zu bedenken: "Die zwangsläufige Allianz gegen die AfD ist schon problematisch, denn sie bedient eben auch das Märchen der Rechten, dass sich alle gegen sie verschworen hätten, dass sie ausgestoßen würden und damit der Wille von vielen Wählerinnen und Wählern missachtet werde." Damit ist das Dilemma beschrieben, in dem sich die etablierten Parteien künftig noch öfter wiederfinden werden. Im kommenden Jahr werden in Thüringen, Sachsen und Brandenburg neue Landtage gewählt. Überall gehört die AfD zu den stärksten Kräften, umso schwieriger dürfte es werden, halbwegs funktionierende Bündnisse zu schmieden, um die Rechten aus der Regierung zu halten. 

    Thüringen und Björn Höcke zeigen: Je radikaler, desto erfolgreicher

    Die bequeme These, die AfD werde durch ihre Radikalisierung eines Tages unwählbar für die meisten Bürgerinnen und Bürger, kann jedenfalls zu den Akten gelegt werden. Schließlich ist der Landesverband Thüringen mit Björn Höcke an der Spitze nicht nur besonders extrem, sondern auch besonders erfolgreich. Manche hoffen, die AfD werde entlarvt, wenn sie – wie nun in Sonneberg – in politischer Verantwortung steht und die Probleme nicht mehr anderen anlasten kann. Aber auch daran glaubt Münch nicht. "Die meisten Menschen unterscheiden nicht, was ein Landrat, ein Bürgermeister, der Bundestag oder die Bundesregierung machen. Die AfD hat schon im Wahlkampf vor allem Themen aufgegriffen, die mit der Arbeit eines Landrats gar nichts zu tun haben. Und sie wird auch weiterhin nicht davor zurückschrecken, die Verantwortung für ungelöste Probleme anderen zuzuschieben."

    Der einzige Weg, um die Verunsicherung und damit den Zustrom zur AfD zu reduzieren, scheint damit so klar wie steinig zu sein. Erstens: Mehr Selbstkritik, weniger erhobener Zeigefinger. Zweitens: Wer Sprache und Inhalte von Populisten übernimmt, trägt zur Normalisierung bei und hilft damit nur den Populisten. Drittens: Wer regiert, muss dafür sorgen, dass die ungelösten Probleme weniger werden. Viertens: Wer mit der Politik der Regierung unzufrieden ist, muss bessere Lösungen anbieten. 

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