Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Analyse: Warum AfD und Wagenknecht-Partei gar nicht so ähnlich sind

Analyse

Warum AfD und Wagenknecht-Partei gar nicht so ähnlich sind

    • |
    Parteichefin Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine beim Gründungsparteitag der neuen Wagenknecht-Partei, das "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) im Januar 2024. Gut eine halbes Jahr später kann die Partei erste Erfolge feiern.
    Parteichefin Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine beim Gründungsparteitag der neuen Wagenknecht-Partei, das "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) im Januar 2024. Gut eine halbes Jahr später kann die Partei erste Erfolge feiern. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Auch Bilder, die Leere und Abwesenheit dokumentieren, können Symbolkraft entwickeln. So wie am Dienstag beim Auftritt des ukrainischen Präsidenten im Bundestag. Während Wolodymyr Selenskyj nach seiner Ansprache von den Abgeordneten mit Ovationen gefeiert wurde, blieben die Plätze auf der vom Rednerpult gesehen äußersten linken und der äußersten rechten Seite nahezu verwaist. Während vier der 78 Abgeordneten der AfD der kämpferischen Rede zusahen und zuhörten, verweigerten sich die zehn Mitglieder der parlamentarischen Gruppe des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) geschlossen.

    Warnt davor, AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht in einen Topf zu werfen: Manfred Güllner, Gründer und Geschäftsführer des Forsa- Instituts.
    Warnt davor, AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht in einen Topf zu werfen: Manfred Güllner, Gründer und Geschäftsführer des Forsa- Instituts. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Ein Statement der AfD und des BSW gegen deutsche Waffenlieferungen an Kiew, gegen den höchsten Repräsentanten der Ukraine und indirekt – das darf man unterstellen – für eine Rückkehr zu partnerschaftlichen Beziehungen mit Russland. Dem Land also, das unter der Führung des Präsidenten Wladimir Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat. Der Umstand, dass beide Parteien zudem die deutsche Migrationspolitik scharf kritisieren und auch sonst zu populistischen Zuspitzungen neigen, mag den Eindruck noch verstärken, dass bei AfD und BSW Schwestern und Brüder im Geiste am Werk sind.

    Forsa-Chef Manfred Güllner sieht große Unterschiede in der Wählerschaft

    Der Gründer und Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, warnt jedoch trotz dieser Schnittmengen im Gespräch mit unserer Redaktion vor Vereinfachungen. "Migration und Ukraine-Krieg sind nicht die Hauptgründe, für AfD oder BSW zu votieren. Es geht um eine gewisse Grundüberzeugung ihrer Wähler." Bei der Kernwählerschaft der AfD seien das "rechtsradikale, völkische und fremdenfeindliche Überzeugungen", während ein großer Teil der im Durchschnitt weit älteren Wähler des BSW aus einer "linken Grundhaltung von DDR-Nostalgikern" heraus ihre Stimme abgibt. Güllner: "Es ist kein Zufall, dass die Daten zur Europawahl unsere Analyse bestätigen. Die AfD verliert in weit geringerem Maße Wähler an den BSW als die Parteien des eher linken Spektrums."

    Die Zahlen dazu lieferte nach der Europawahl das Institut Infratest dimap in einer Untersuchung der Wählerströme, die der Wagenknecht-Partei ein Ergebnis von aus dem Stand 6,2 Prozent bescherten. Danach liefen 580.000 SPD-Wähler zum BSW über, von der Linken nahm das Bündnis Wagenknecht mehr als 470.000 Stimmen mit, immerhin 260.000 kamen von der Union. Erstaunliche 230.000 wechselten von der wirtschaftsliberalen FDP zum linksnationalen BSW. Lediglich 160.000 vorherige AfD-Wähler machten ihr Kreuz jetzt beim BSW, 150.000 wechselten von den Grünen.

    Beste Laune nach der Europawahl: Die AfD-Bundesvorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden der AfD, Alice Weidel und Tino Chrupalla, freuen sich über das Ergebnis.
    Beste Laune nach der Europawahl: Die AfD-Bundesvorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden der AfD, Alice Weidel und Tino Chrupalla, freuen sich über das Ergebnis. Foto: Britta Pedersen, dpa

    "Das BSW hat eine Leerstelle besetzt: eine linksgerichtete Sozialpolitik und eine rechtsgerichtete gesellschaftliche Politik", sagte der Potsdamer Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek im ZDF. Tatsächlich fordert die Wagenknecht-Partei – wie auch die schwächelnde Linkspartei – höhere Renten, eine deutliche Aufstockung des Mindestlohns, bezahlbare Mieten, geißelt aber einen zu ehrgeizigen Klimaschutz und plädiert für eine deutlich rigidere Flüchtlingspolitik. Eine Melange, die in der deutschen Parteienlandschaft neu ist. Gefragt nach der politischen Ausrichtung ihrer Partei, reagierte Sahra Wagenknecht am Wahlabend mit der Bemerkung, dass die meisten Menschen ohnehin "mit den Chiffren ‘links’ und ‘rechts’ nicht mehr viel anfangen können".

    Schon jetzt richten sich die Blicke auf den Herbst. Was passiert bei den Wahlen in den Hochburgen beider Parteien, in den drei Bundesländern Sachsen und Thüringen am 1. September sowie Brandenburg drei Wochen später? Die AfD liegt nach den Umfragen in einer Spanne zwischen 25 Prozent in Brandenburg und bei 30 Prozent oder gar mehr in Sachsen und Thüringen. Das BSW wird in den drei Ländern auf jeweils elf bis 15 Prozent taxiert.

    Landtagwahlen sind keine Europawahlen

    "Entschieden sind die Landtagswahlen aber noch längst nicht. So ist offen, wie sich Wähler entscheiden, die bei den letzten Wahlen 2019 nicht gewählt haben. Das ist eine sehr große Gruppe", sagt Güllner. Möglich sei zudem, dass die noch immer populären Ministerpräsidenten wie Michael Kretschmer (CDU) in Sachsen, Dietmar Woidke in Brandenburg (SPD) und Bodo Ramelow (Linke) in Thüringen einen Unterschied machen werden.

    Die Frage ist, welche Koalitionen nach den Wahlen überhaupt noch möglich sind. Schließlich hat die Union per Unvereinbarkeitsbeschluss ausgeschlossen, dass Regierungen mit der AfD oder der Linken gebildet werden. CDU-Chef Friedrich Merz sagte jetzt, dass für ihn auch ein Zusammengehen mit dem BSW nicht vorstellbar sei. Während für Manfred Güllner eine harte Brandmauer zur AfD im Interesse der Union liegt, nennt er einen kategorischen Ausschluss von Verhandlungen mit dem BSW oder der Linken einen Fehler: "In beiden Parteien gibt es durchaus Pragmatiker."

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden