Wenn eine Partei von Anhängern und Gegnern gleichzeitig unter Beschuss gerät, sollte sie sich Gedanken machen. Genau das passiert gerade der FDP. Aus Sicht ihrer Kernklientel kämpfen die Liberalen in der Corona-Politik nicht mehr vehement genug gegen neue Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten. Manche halten ihr sogar vor, sich zu weit nach links zu bewegen. Zugleich unterstellen Kritiker der FDP Abgehobenheit und eine wachsende Neigung zum Populismus. Nun könnte sich Parteichef Christian Lindner damit trösten, dass er und seine Leute als kleinste Regierungspartei zumindest eine Menge Aufmerksamkeit bekommen. Doch die blanken Zahlen müssen ihn alarmieren.
Mit keiner Ampel-Partei gehen die Deutschen so hart ins Gericht wie mit der FDP
In einer aktuellen Umfrage der Meinungsforscher von Infratest dimap attestieren nur noch 24 Prozent der Befragten den Liberalen eine gute Arbeit in der Bundesregierung. Das ist ein Minus von satten zwölf Punkten. Damit bewegt sich die FDP zwar im Fahrwasser der gesamten Koalition, mit deren Leistung nur noch 36 Prozent zufrieden sind – so wenige wie noch nie. Doch mit keiner der Regierungsparteien gehen die Befragten so hart ins Gericht wie mit der FDP.
Für die einen eine Umfallerpartei, für die anderen eine Ego-Truppe
Das in Wahlkampfzeiten beinahe zum Fetisch gewordene Freiheitsideal der Liberalen ist inzwischen auf eine harte Realität getroffen. Nicht nur die Koalitionspartner, sondern eben auch eine Mehrheit der Bevölkerung will in der Pandemie nicht gleich sämtliche Sicherheitsgurte auf einmal ablegen. Also musste die FDP Kompromisse machen und steht nun für die einen – mal wieder – als Umfallerpartei da und für die anderen als unverantwortliche Ego-Truppe, die das „Ich“ über das „Wir“ in einer Gesellschaft stellt.
Dass Justizminister Marco Buschmann öffentlichkeitswirksam darauf bestand, erst einmal die Evaluierung der Corona-Politik abzuwarten, um einzuräumen, dass man sich mit Maske weniger leicht infiziert als ohne, kann man unter unglücklicher Kommunikation verbuchen. Aber es passt ins Bild. Schließlich kommen immer wieder populistische Zwischentöne von exponierten Liberalen wie Parteivize Wolfgang Kubicki hinzu, der sich gerne damit brüstet, manche Corona-Regeln allenfalls amüsiert zur Kenntnis zu nehmen.
Immer wieder bedienen FDP-Politiker den Stammtisch
Auch bei anderen Themen – wie etwa dem Umgang mit dem sicher oft zurecht in der Kritik stehenden Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk – zielen FDP-Leute regelmäßig eher auf den Stammtisch ab als auf eine seriöse Auseinandersetzung. Erst am Wochenende forderte der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler, der sich seit jeher gerne als Widerstandskämpfer inszeniert, die Abschaffung der Rundfunkbeiträge und versah seinen Post auf Twitter mit dem Schlagwort „Staatsfunk“, das vor allem AfD-Leute und „Querdenker“ nutzen. Und der ansonsten sehr reflektierte Kollege Alexander Graf Lambsdorff echauffierte sich darüber, dass man ihm im ZDF „DREI Stunden Schlagerschnulzenkitsch zur Primetime“ vorsetzte. „Geht’s noch?“, fragte der FDP-Mann – und das denken offenbar immer mehr Wählerinnen und Wähler auch über seine Partei, die zudem auch noch mit alten Klischees zu kämpfen hat.
Worte wie "Gratismentalität" bestätigen alte (Vor)urteile gegen die FDP
Wenn Christian Lindner inmitten einer dramatischen Krise auf Sylt eine rauschende Hochzeit feiert oder Koalitionsverhandlungen in engem Austausch mit dem Porsche-Chef führt und im Zusammenhang mit dem 9-Euro-Ticket von "Gratismentalität" spricht, dann bestätigt das eben die (Vor)urteile derer, die in der FDP ohnehin eine abgehobene Interessensvertretung der Besserverdiener und Konzerne sehen. Selbiges gilt für den erbitterten Kampf dagegen, dass Krisen-Profiteure wie die großen Öl-Multis per Übergewinnsteuer an den gigantischen staatlichen Kosten zur Bewältigung der Krise beteiligt werden sollen. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt: Hier tappt Lindner gerade nicht in die Populismus-Falle, kann es aber auch wieder niemandem wirklich recht machen.
Apropos Kosten: Viele haben die FDP gewählt, weil es mit ihr keine neuen Schulden und keine Steuererhöhungen geben soll. Auch hier droht Erklärungsnot. Denn ob mit den bisher getroffenen Maßnahmen die Folgen des Krieges in der Ukraine dauerhaft abgefedert werden können, ist völlig offen. Weitere staatliche Unterstützungen würden aber weitere Kosten bedeuten – und wohl auch weitere Schulden. Gleichzeitig fühlen sich viele Menschen schon jetzt alleingelassen mit ihren Sorgen und Kanzler Olaf Scholz hat mit seinem „You’ll never walk alone“-Versprechen Maßstäbe gesetzt.
Christian Lindner strahlt weniger als Robert Habeck oder Friedrich Merz
In einer solchen Phase sind Parteien auf charismatische Spitzenleute angewiesen. Damit erklärt sich, warum Grüne und CDU aktuell besser ankommen als FDP und SPD. Robert Habeck und Friedrich Merz strahlen zugleich Ruhe und Entschlossenheit aus. Es gelingt ihnen eher, ihre Anhänger mitzunehmen, als dem Kanzler oder Christian Lindner, der für viele immer noch als smarter, aber empathieloser Unternehmensberater daherkommt, dem man womöglich die Steuererklärung anvertrauen würde, allerdings nicht unbedingt das eigene Schicksal.
Auch in den Landtagswahlen wurde die FDP abgestraft
Nun kann man all dem entgegenhalten, Umfragen seien in Zeiten sinkender Parteibindung nur Schall und Rauch. Dann lohnt sich ein Blick auf die FDP-Realität bei den Landtagswahlen. Saarland: Einzug ins Parlament wieder verpasst. Schleswig-Holstein: Als einzige Regierungspartei massiv verloren, jetzt in der Opposition. Nordrhein-Westfalen: Ergebnis mehr als halbiert, jetzt in der Opposition. Angesichts dieser Zahlen darf man getrost davon ausgehen, dass die FDP an einem – hinter den Berliner Kulissen immer wieder an die Wand gemalten – Bruch der Ampel-Koalition samt Neuwahlen derzeit null Interesse hat.