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Foto: Michael Kappeler, dpa
Foto: Michael Kappeler, dpa

Bundeskanzler Olaf Scholz, daneben Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey.

Analyse
15.02.2023

So gefährlich ist das Berliner SPD-Debakel für Scholz

Von Bernhard Junginger

Der Kanzler hat nun ein Giffey-Problem: In der Hauptstadt geht es nun um die heikle Frage, wie links die Partei eigentlich ist. Was die Wahl für Olaf Scholz bedeutet.

Noch vor wenigen Wochen hängte Kevin Kühnert die Bedeutung der Berliner Abgeordnetenhauswahl für die Bundes-SPD und ihren Kanzler ziemlich hoch. Eine starke Berliner SPD, so der Generalsekretär, sei für die Ampel-Regierung im Bund wichtig. Nur wenn Olaf Scholz weiter starke SPD-Bundesländer hinter sich habe, könnten er und seine Bundesregierung weiter den bestmöglichen Job machen. So gesehen ist es ein sehr ernstes Problem, dass die Sozialdemokratin Franziska Giffey als amtierende Regierende Bürgermeisterin auf einem enttäuschenden zweiten Platz gelandet ist.

Weit hinter ihrem blassen CDU-Herausforderer Kai Wegner, magere 105 Stimmen vor der Grünen Bettina Jarasch. Nicht gerade ein Beweis für das sozialdemokratische Jahrzehnt, das Scholz nach seinem Wahlsieg im Bund heraufziehen sah. In drei von fünf Landtagswahlen schnitt die SPD seither enttäuschend ab. Nordrhein-Westfalen, oft "Herzkammer der Sozialdemokratie" genannt, wird nun schwarz-grün regiert, ebenso Schleswig Holstein – diese Konstellation könnte Scholz' Ampel in knapp drei Jahren auch im Bund ablösen. SPD-Siege holten nur Anke Rehlinger im kleinen Saarland und Stephan Weil in Niedersachsen. 

Die Mahnung des Stephan Weil nach der Wahl in Berlin

Weil gilt als Paradebeispiel dafür, wie sich mit pragmatischer, volksnaher Politik sozialdemokratische Mehrheiten holen und halten lassen. Was er nach der Wahl sagte, lässt viele Genossen aufhorchen: "Das Ergebnis ist für uns als SPD natürlich enttäuschend. Franziska Giffey hat in diesem kurzen Wahlkampf engagiert für ihre Ideen geworben. Berlin steht jetzt vor komplexen Koalitionsgesprächen." Zwischen den Zeilen dürfte Weil damit meinen, dass die Ideen vielleicht die falschen waren und die "komplexen Koalitionsgespräche" eben nicht zwangsläufig auf ein neues Rot-Grün-Rot hinauslaufen sollten. Denn allen in der SPD ist klar, dass sich Giffey – oder ein frischeres SPD-Gesicht, sollte ihr Landesverband sie fallen lassen – die Macht nur mit weiteren Zugeständnissen an Grüne und Linkspartei sichern kann. 

Für Ansehen und Wahrnehmung der SPD im Bund liegen darin gewaltige Risiken. Grüne und Linke wollen in Berlin etwa die per Volksentscheid geforderte Verstaatlichung von großen Immobilienkonzernen umsetzen. Olaf Scholz kritisierte derartige Enteignungs-Pläne im Wahlkampf als "Illusionen", die "unverantwortlich" seien. Ebenso gefährlich für die Bundes-SPD ist der extrem Auto-feindliche Kurs, den die Berliner Grünen verfolgen – und der auf Giffey abfärbt. SPD-Wähler, die entweder aufs Auto nicht verzichten können oder gar in der Autoindustrie arbeiten, verschreckt das. Davor warnt Stephan Weil offenbar, wenn er "politische Änderungen als Reaktion auf die Unzufriedenheit vieler Bürgerinnen und Bürger" anmahnt. 

Von Rot keine Spur mehr in der einstigen SPD-Hochburg Berlin

Berlin war für die Sozialdemokratie einmal das, was Bayern für die CSU ist – nur mit teils noch höheren Mehrheiten für Politiker wie Willy Brandt. Doch bei der Abgeordnetenhauswahl am Sonntag holte die SPD ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten. In keinem einzigen Bezirk eine Zweitstimmen-Mehrheit, grün in der Innenstadt, schwarz in den großen Außenbezirken – so sieht heute die politische Landkarte der Hauptstadt aus. Von Rot keine Spur. Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, sieht die SPD in ihrer früheren Hochburg "nach längerem Siechtum" auf dem "Weg in die Bedeutungslosigkeit". Als Grund nennt SPD-Mitglied Güllner die "vom rot-rot-grünen Senat betriebene ideologiegetriebene Politik für ihre grün-linke Wählerklientel", welche die ganze Stadt spalte. Vor einer Fortsetzung dieser Koalition warnt er.

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Wofür entscheidet sich Franziska Giffey - und was kann sie durchsetzen?

Im Willy-Brandt-Haus und im Kanzleramt wirft das große strategische Fragen auf. Schon im Mai wählt Bremen, auch eine alte SPD-Bastion. Dort gewann vor vier Jahren ebenfalls die CDU, die SPD musste neben den Grünen noch die Linke ins Bündnis nehmen, um weiter den Bürgermeister zu stellen. Im Herbst dann finden zwei der wichtigsten Landtagswahlen statt: In Bayern, wo die Sozialdemokraten die Bedeutungslosigkeit, die Güllner meint, längst erreicht haben. In Hessen tritt Innenministerin Nancy Faeser an, die Scholz ja mit dem Ziel nach Berlin holte, ihre Bekanntheit für eine Kandidatur als Ministerpräsidentin in ihrer Heimat zu steigern. Wenn dieses Kalkül nicht aufgeht, ist Scholz auch den Ruf los, ein glückliches Händchen in Personalfragen zu haben. Schon mit seiner Vertrauten Christine Lambrecht im Verteidigungsressort hatte er danebengegriffen.

Was bleibt am Kanzler nach der Wahl in Berlin hängen?

Am Dienstag stärkte Scholz Giffey den Rücken, sie habe die Unterstützung der Partei, sagte er. Doch das Berlin-Debakel kommt für ihn zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Der Ukraine-Krieg bindet den Großteil seiner Kräfte, nach außen wie nach innen. In der SPD-Fraktion stehen sich die pazifistische Parlamentarische Linke und der zuletzt erstarkte konservative Seeheimer Kreis im Streit um Waffenhilfe für die Ukraine so erbittert gegenüber, als wären es völlig verschiedene Parteien. Scholz muss dem linken Fraktionschef Rolf Mützenich, wie zuletzt bei den Panzerlieferungen, jedes Zugeständnis mühsam abringen. Im Vergleich zu früheren Zeiten dringen die Auseinandersetzungen auffallend wenig nach außen, doch gestritten wird wie eh und je, geht es doch um die ganz große Frage, welche Partei die SPD eigentlich sein will: Pragmatisch in der bürgerlichen Mitte, wie es Olaf Scholz gern hätte – oder weit links, wie in Berlin. Sollte die Auseinandersetzung nach Giffeys Niederlage in Berlin noch schmutziger werden, droht auch dem Kanzler, ein paar hässliche Spritzer abzubekommen. 

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