Ist es richtig, die Ukraine militärisch zu unterstützen? Werden wir damit unserer historischen Verantwortung gerecht oder verletzen wir sie? Nicht nur der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz muss sich seit Wochen mit diesen Fragen beschäftigen. Auch Fumio Kishida, der Premierminister Japans, ist ihnen ausgesetzt. Deutschland und Japan stehen auf derselben Seite, verurteilen die russische Invasion. Aber wie weit sollte man gehen, wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht?
Als Olaf Scholz am Donnerstag in Tokio eintraf, stand sein nur 20-stündiger Besuch in Japan vor allem in diesem Licht. Zwar hatte er auch einen Kurzauftritt bei einer Konferenz der deutschen Außenhandelskammer, die ihr 60-jähriges Bestehen in Japan feiert, auf dem Programm. Die deutsch-japanischen Beziehungen haben sich in der Vergangenheit schließlich vordergründig als Wirtschaftsdiplomatie definiert.
Ex-Kanzlerin Angela Merkel konzentrierte sich nicht auf Japan, sondern China
Doch selbst vor den Unternehmensvertretern ging es nicht zuletzt um Themen, die durch den Ukraine-Krieg besonders akut geworden sind. Eine durch den Konflikt provozierte Deglobalisierung gelte es aufzuhalten, so Scholz: „Sie ist keine Option – erst recht nicht für offene, freie Handelsnationen wie Deutschland und Japan.“ Japan und Deutschland würden außerdem kooperieren, was Strategien für eine schnelle Unabhängigkeit von russischem Gas angeht.
Beim ersten Hinhören klang es mal wieder nach der für Olaf Scholz eher typischen Nicht-Kommunikation. Dabei sendet schon dieser Besuch in Tokio an sich eine klare Botschaft. Sie ist eine überfällige Kurskorrektur der deutschen Außenpolitik. Die bis Ende 2021 für 16 Jahre regierende Ex-Kanzlerin Angela Merkel hatte sich bei Asien-Reisen vor allem auf den für Deutschland wichtigen Absatzmarkt und Produktionsstandort China konzentriert. Wirtschaftliche Interessen schienen stets Priorität zu haben gegenüber oft betonten Idealen wie Demokratie und Menschenrechten. Die liberale Demokratie Japan schneidet in dieser Hinsicht deutlich besser ab als China oder Russland. Und in Tokio, wo Scholz am Abend noch seinen Amtskollegen Kishida zum Dinner traf, gab er auch zu verstehen, dass Deutschland künftig engeren Kontakt zu solchen Staaten suche, mit denen die eigenen Werte kompatibel seien. Dazu gehörten neben Japan auch Australien, Neuseeland, Südkorea und Indien. In Japan wiederum wird der Vortritt, den Scholz mit dieser Reise Tokio gegenüber Peking gibt, als Solidaritäts- und Freundschaftsbekundung begrüßt.
Tatsächlich sind die außen- und geopolitschen Gemeinsamkeiten zwischen Japan und Deutschland zuletzt immer wieder aufgefallen. So geben sich beide Staaten gerne als Vorreiter im Klimaschutz: Deutschland betont immerzu seinen Ausbau der Erneuerbaren, Japan positioniert sich als Weltführer in der Entwicklung von Wasserstofftechnologien. Eine solche Industrieanlage besuchte Olaf Scholz am Donnerstag auch in Kawasaki.
Deutschland und Japan wollen globale Friedensboten sein
Auch zur Wahrheit gehört aber: Japan und Deutschland gehören zu den größten CO2-Emittenten der Welt und wurden bisher schmallippig, wenn es um eine schnellere Kehrtwende ging. Rund um den Krieg in der Ukraine zeigt sich dies erneut, da die Regierungen beider Staaten davor zurückschrecken, auf Öl- und Gasimporte komplett zu verzichten. Ähnlich schüchtern haben sich Tokio und Berlin in den letzten Jahren gegenüber China verhalten. Für die je dritt- und viertgrößten Volkswirtschaften der Welt waren die ökonomischen Potenziale in China zu groß.
Künftig soll sich dies ändern. Wobei das Betonen der gemeinsamen Werte zwischen Japan und Deutschland gerade jetzt auf empfindliche Weise neue Konturen erhält. Seit ihren Niederlagen im Zweiten Weltkrieg, als sie in einer faschistischen Allianz mit Italien kämpften, haben sich beide Staaten bemüht, sich als globale Friedensboten zu geben. Noch stärker als auf Deutschland trifft dies auf Japan zu: Artikel 9 der Nachkriegsverfassung verbietet dem Staat gar jede Kriegsführung. Das Militär darf offiziell nicht so heißen, nennt sich Selbstverteidigungskräfte.
So bestehen in Japan – nicht zuletzt bei Parteien links der Mitte wie der Demokratischen und auch der Kommunistischen Partei – auch Vorbehalte gegenüber einer allzu militärischen Unterstützung der Ukraine. Während in Deutschland der Bundestag die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine beschlossen hat, liefert Japan bisher nur Ausrüstung wie schusssichere Westen, Winterkleidung und Aufklärungsdrohnen. Für Japan ist schon dies ein großer Schritt.
Sollte China Taiwan angreifen, steht Japan dem demokratischen Land bei
Zugleich erhofft man sich in Japan nicht zuletzt deutsche Unterstützung im Pazifik. Die dort zunehmenden Ansprüche Chinas und die Gefahr einer Invasion ins demokratische Taiwan, die jener Russlands in der Ukraine ähneln könnte, prägen derzeit verteidigungspolitische Debatten in Japan. Die Regierung in Tokio hat zuletzt erklärt, in so einem Fall auf der Seite Taiwans zu stehen. Deutschland ist in dieser Frage bisher vage.
Sicherheitspolitische Kooperationen zwischen den beiden Ländern, die auf militärischer Ebene zuletzt zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs zusammenarbeiteten, nimmt seit kurzem aber schon zu und soll intensiviert werden. Zu einer Wertepartnerschaft gehört dann auch dies.
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