Die Vorbereitungen für das Abendessen waren getroffen, als die Nachricht vom Raketenangriff auf ein Einkaufszentrum in Krementschuk die Staats- und Regierungschefs auf Schloss Elmau erreichte. Viele Menschen sterben im Ukraine-Krieg, es bedarf keines Beweises mehr, wie brutal die Truppen des russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgehen.
Ereignisse dieser Art lösen gleichwohl Bestürzung aus – und sie festigen die Bereitschaft des Westens, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf zu unterstützen. „Heute haben wir unsere unverbrüchliche Unterstützung für die Ukraine im Angesicht der russischen Aggression unterstrichen – eines ungerechtfertigten, gewollten Kriegs, der seit 124 Tagen andauert“, erklärten die G7-Staaten. Finanzielle, humanitäre sowie militärische Hilfe brachte der Gipfel auf den Weg. Es war ein deutliches Zeichen der Solidarität. Deutlich wurde aber auch, dass Deutschland im Konzert der Großen nur die kleine Geige spielt.
Olaf Scholz setzt Merkels abwartenden Regierungsstil fort
„Leading from behind“, auf Deutsch etwa Führen-von-hinten, nennen US-Medien den Regierungsstil von Kanzler Olaf Scholz. Man lässt die anderen machen und hängt sich dran. Schon Scholz‘ Vorgängerin Angela Merkel bediente sich dieser Taktik. Die CDU-Politikerin ließ gerade auf internationalen Veranstaltungen oft erst die andere Seite sprechen, das Weiße Hause oder den Élysée-Palast etwa, um deren Sicht der Dinge dann zu bestätigen. Wer so vorgeht, kann nichts falsch machen. Das ist der Vorteil. Doch wer zu lange nur der letzte in der Reihe ist, läuft Gefahr, abgehängt zu werden.
Auf dem G7-Gipfel hatte zwar Deutschland die Gastgeberrolle und hätte damit den Takt vorgeben müssen. In Wahrheit marschierte aber der oft so ungelenk wirkende US-Präsident Joe Biden voran. Neue Sanktionen gegen Russland, unter anderem gegen dessen Rüstungsindustrie? Nicht Scholz wurde die Rolle des Verkünders zuteil, sondern der amerikanischen Seite. Details aus dem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj stufte die Bundesregierung als vertraulich ein, die Amerikaner veröffentlichen sie für alle nachlesbar im Internet. Die Deutschen versuchten anschließend krampfhaft, die Sache aufzuklären. Die US-Delegation indes reagierte dem Vernehmen nach erst gar nicht auf entsprechende Anfragen.
G7-Gipfel: Deutschland war Gastgeber, die Agenda bestimmten andere
Am Dienstag, dem letzten von drei Gipfeltagen, wurde Scholz und seinem Team erneut schmerzhaft vor Augen geführt, dass Deutschland in diesem Jahr zwar die G7-Präsidentschaft innehat, andere aber die Agenda bestimmten. Die Ernährungssicherheit sollte das Top-Thema werden und Scholz die Chance geben, endlich auch einen Punkt zu setzen. Zweieinhalb Stunden vor der Abschlusspressekonferenz des Kanzlers meldeten die Nachrichtenagenturen per Eil: G7-Staaten geben bis zu fünf Milliarden US-Dollar für Ernährungssicherheit. Die Quelle war – erneut das Weiße Haus.
Scholz allerdings konnte die Beobachtung nicht nachvollziehen, dass er sich eher zurückhaltend verhalte. „Ich teile diesen Eindruck nicht“, sagte der Kanzler ein wenig angesäuert, als er bei der Abschlusspressekonferenz gefragt wurde. Er habe vielmehr „das Gefühl“ gehabt, dass der Gipfel gemeinsam Ergebnisse erarbeitet und diese auch „gemeinsam kommuniziert“ habe.
Das Abschlusskommuniqué des Gipfels brachte es auf 34 Seiten, darin finden sich neben den Solidaritätsbekundungen für die Ukraine die üblichen Bekenntnisse: Die Erderwärmung soll gestoppt, der Hunger auf der Welt bekämpft werden. Wieder einmal. Ähnliches beim Gesundheitssektor. Es ist beispielsweise schon gar nicht mehr zählbar, wie oft sich G7- und G20-Gipfel dem Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen verschrieben haben.
Der Klimaklub, eine Scholz-Idee, soll umgesetzt werden
Immerhin: Der Klimaklub, eine Idee von Scholz, fand Einzug in die Erklärung. Die Staats- und Regierungschefs wollen ihn bis Ende 2022 etabliert haben. In vielen Ländern werden Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit als Gegensatz aufgefasst, das will der Kanzler mit seinem Klub ändern. Alle müssten erkennen, dass der Klimaschutz kein Wettbewerbsnachteil sei, sagte Scholz, wohl wissend, dass ihm hier Grenzen gesetzt sind. Denn ärmere Staaten wollen sich dem Reichtum der Industrieländer zumindest annähern. Dieses Wachstum lässt sich, beispielsweise in vielen afrikanischen Ländern, zunächst nur mit fossiler Energie erzielen. Wenn die reichen Länder in dieser Phase den Einsatz erneuerbarer Energien anmahnen, kommt das in Entwicklungsländern nicht gut an. Sie hören auch nicht auf G7-Appelle, die russisches Gas und Öl verteufeln und alternative Bezugsquellen anmahnen.
Als Scholz vor der Alpenkulisse seine Pressekonferenz abhielt, war US-Präsident Joe Biden bereits abgereist. Das hatte offiziellen Verlautbarungen zufolge nichts mit der Hackordnung zu tun, sondern mit dem Wetter. Das werde zusehends schlechter und gefährde den Abflug des amerikanischen Regierungschefs, hieß es. Die Beobachter vor Ort konnten diesen Eindruck beim Blick in den Himmel zwar nicht bestätigen, aber wie auch immer: Biden hatte den G7-Gipfel bereits abgehakt und reiste zum nächsten wichtigen Ereignis weiter, dem Nato-Gipfel in Madrid. Scholz kam dann später nach.