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Analyse: Italien als Versuchslabor für Populismus

Analyse

Italien als Versuchslabor für Populismus

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    Giorgia Meloni hat einen lauten, ja in Teilen extremen Wahlkampf geführt. Doch als Regierungschefin gibt sich die Politikerin mit ultrarechten Wurzeln recht pragmatisch.
    Giorgia Meloni hat einen lauten, ja in Teilen extremen Wahlkampf geführt. Doch als Regierungschefin gibt sich die Politikerin mit ultrarechten Wurzeln recht pragmatisch. Foto: Roberto Monaldo, LaPresse, AP/dpa

    Politiker, vor allem populistische Politiker, schielen auf die nächsten Wahlen. Sie fragen sich, mit welchen Versprechen oder politischen Projekten sie ihr Ziel, den Erhalt oder Ausbau ihrer Macht, erreichen können. Während der edelste Antrieb eines Politikers das Wohl der Gemeinschaft sein sollte, zielen Populisten auf ihr eigenes Wohl, indem sie Stimmungen zu eigenen Zwecken erkennen, ausnutzen und fördern. Italien ist in diesem Sinne ein Labor des modernen Populismus. 

    1992 war in Italien nach dem Korruptionsskandal Mani Pulite (Saubere Hände) das alte Parteiensystem zusammengebrochen. Ein Jahr später stieß Silvio Berlusconi in dieses Vakuum vor. Das Hauptmotiv seines Engagements war die Sorge um das Wohl seines Fernsehimperiums, das der ebenso skrupellose wie geniale Unternehmer innerhalb eines Jahrzehnts gegen die Vormacht des staatlichen Fernsehmonopols aufgebaut hatte. Der im Juni verstorbene Politiker verband seine Privatinteressen mit dem Versprechen von Wohlstand, Antikommunismus und tief sitzende Skepsis dem Staat gegenüber waren weitere politische Zutaten. 

    Silvio Berlusconi nutzte konsequent seine Medienmacht

    Wenn man so will, gab Berlusconi regelrechte Lektionen in Sachen Populismus. Er unterzeichnete vor den Wahlen 2001 live im Fernsehen einen „Vertrag mit den Italienern“, in dem er Steuererleichterungen, Halbierung der Arbeitslosenzahlen, Sicherheit und höhere Pensionen garantierte. Der Unternehmer, der seine Partei Forza Italia nach einem Schlachtruf aus dem Fußballstadion benannt und ihren Aufbau der Werbeagentur seiner Fernsehsender anvertraut hatte, war gewissermaßen der Lehrmeister des Populismus. 

    Auch der Linkspopulismus entstand aus der Krise. Die Abgründe des Berlusconismus sowie die Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 förderten die Fünf-Sterne-Bewegung zutage. Ihr Gründer war der Komiker Beppe Grillo, der schon 2007 mit einem Vaffanculo-Day (Leck-Mich-am-Arsch-Tag) eigentlich hehre Absichten verfolgte, nämlich die Durchsetzung von moralischen Mindeststandards für die Kandidatur als Politiker. Die Art und Weise seines Vorgehens erinnerte freilich an die von ihm kritisierte Kaste. Seriöse

    Matteo Salvini gab die sezessionistische Politik der Lega auf

    Im Windschatten des populistischen Dualismus Berlusconi-Grillo hatte sich die Lega Matteo Salvinis mit ihrem Rechtspopulismus des rechten Wählerspektrums bemächtigt. Der Schlüssel zu Salvinis Erfolg war die Abkehr von der sezessionistischen Politik der einstigen Lega Nord, Berlusconis erstem Koalitionspartner 1994. Salvini verfolgte ab 2013 einen rechtsnationalen Kurs nach dem Vorbild Marine Le Pens in Frankreich, flankiert von aggressiven Protesten gegen die aus Finanznot nach der Ägide Berlusconi beschlossenen Sozialreformen und eine weitverbreitete EU-Skepsis in Italien. 

    Während die Fünf Sterne das soziale Unbehagen geschickter ausnutzten, wählte Salvini die Immigration, um die Bauchgefühle der verunsicherten und international in ihrem Stolz gekränkten Italiener zu bedienen. Mit aggressiven, mithilfe der sozialen Netzwerke potenzierten Kampagnen gegen Migranten sicherte sich der Parteichef die Gunst des rechten Spektrums. Als Innenminister in der Populisten-Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung ersann Salvini die unmenschliche Methode der Schiffsblockaden, bei denen Hunderte im Mittelmeer aufgegriffene Migranten in italienischen Häfen festgehalten wurden. 

    Georgia Meloni profitierte vom Größenwahn Salvinis

    Giorgia Meloni, seit gut einem Jahr Ministerpräsidentin, hat vom Größenwahn Salvinis profitiert. Der wollte 2019 seinen Erfolg bei der Europawahl (34 Prozent) auf die nationalen Kräfteverhältnisse übertragen und ließ die Populisten-Koalition mit der Hoffnung auf Neuwahlen platzen, scheiterte aber mit diesem Plan. Vor allem eine tief sitzende Skepsis gegenüber dem Staat, das diffuse Gefühl, Eigenständigkeit gegenüber den EU-Partnern eingebüßt zu haben, haben den Populismus in Italien gefördert. Die Probleme sind aber auch hausgemacht. 

    Der Populismus hat in Italien zu einer raschen Abfolge neuer Figuren an der Macht geführt. Nun ist die der Tradition des Neofaschismus entstammende Meloni an der Reihe, die ihren Aufstieg den Konzepten des Rechtspopulismus zu verdanken hat. Ihr Populismus ist an der Regierung einem gewissen Realitätssinn gewichen. Von einer im Wahlkampf versprochenen Schiffsblockade gegen Migration ist keine Rede mehr. Die Premierministerin hat sich klar zur Nato und der Solidarität mit der Ukraine bekannt. Innenpolitisch bereitet Meloni eine Verfassungsreform zur Stärkung der Exekutive vor. Die Opposition wirft ihr Autoritarismus vor. Melonis Weg an der Macht als rein populistisch zu brandmarken, greift allerdings zu kurz. Vielleicht hat sie von ihren Vorgängern und deren Missgeschicken gelernt. An Meloni wird sichtbar: Wahlkampf ist eine Sache, Regieren eine andere. 

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