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Analyse: Großmächte und Bündnisse buhlen um Indiens Gunst

Analyse

Großmächte und Bündnisse buhlen um Indiens Gunst

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    Auf den großen Bühnen der Welt: der indische Premier Narendra Modi (Zweiter von rechts) beim Auftakt des Brics-Gipfels mit (von rechts) dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva, Chinas Staatschef Xi Jinping, dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa sowie dem russischen Außenminister Sergej Lawrow.
    Auf den großen Bühnen der Welt: der indische Premier Narendra Modi (Zweiter von rechts) beim Auftakt des Brics-Gipfels mit (von rechts) dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva, Chinas Staatschef Xi Jinping, dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa sowie dem russischen Außenminister Sergej Lawrow. Foto: Ricardo Stuckert, dpa

    Um die Gunst des bevölkerungsreichsten Landes der Erde ist ein Wettlauf der wichtigsten Staaten und Bündnisse entbrannt: Indien steht im Fokus. So auch beim Treffen der fünf Brics-Staaten, das noch bis Donnerstag in Südafrika stattfindet. „Der Ukraine-Krieg und die G20-Präsidentschaft Indiens haben den Zuwachs an geopolitischer Bedeutung noch beschleunigt“, sagt der Experte der Stiftung Wirtschaft und Politik (SWP) für den indopazifischen Raum, Christian Wagner, im Gespräch mit unserer Redaktion. Dieses Momentum versuche die Regierung des Premierministers Narendra Modi zu nutzen. 

    Das Selbstbewusstsein wächst mit der geopolitischen Bedeutung: „Der erste indische Ministerpräsident Nehru hat schon 1947 gesagt, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg vier Weltmächte geben werde: die USA, die Sowjetunion, China und eben Indien“, sagt Wagner. Eine Eigensicht, die Indien zuweilen zu einem schwierigen Partner macht – für die anderen Brics-Staaten Brasilien, Russland, China und Südafrika, aber auch für den Westen. 

    Die Regierung Modi setzt auf multiple Allianzen

    „Der Regierung Modi schweben multiple Allianzen vor, ein Konzept, das bestens zu Indiens Tradition der Blockfreiheit passt“, schreibt Christoph P. Mohr, der das Indien-Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Delhi leitet, im Journal für Internationale Politik und Gesellschaft. Tatsächlich setzt Delhi seit den 60er Jahren auf Eigenständigkeit. Die jeweiligen Regierungen versuchten, sich – mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg – der bipolaren Welt des Kalten Krieges zu entziehen. Ein Prinzip, das die Außenpolitik bis heute prägt. In einer Welt allerdings, die seit dem Ende des Warschauer Paktes unübersichtlicher geworden ist. 

    Auf Belehrungen des Westens reagiert Indien, das sich als Sprachrohr des Globalen Südens versteht, zunehmend empfindlich. Außenminister Subrahmanyam Jaishankar sagte der New York Times, dass sein Land die „zu starke Dominanz“ westlicher Staaten nicht mehr akzeptieren werde. Parallel bemühte sich Delhi zuletzt um bessere Beziehungen zu Washington. Wagner warnt den Westen dennoch vor dem „Trugschluss“, dass Indien sich eng an das westliche Lager binden werde. Gleichzeitig tut sich die indische Regierung schwer, ihr Verhältnis zu den Mitgliedern der Brics-Allianz, die nicht zuletzt als Gegengewicht zum Einfluss des Westens geschmiedet wurde, auszutarieren. 

    Die Nerven liegen auch schon mal blank

    Da liegen die Nerven auch schon mal blank. So blieb Modi bei seiner Anreise zum Brics-Gipfel zunächst erbost im Flugzeug sitzen, weil ihm nicht der Präsident des Gastgeberlandes Südafrika, Cyril Ramaphosa, zum Empfang die Ehre gab, sondern nur Minister. 

    Schwierig gestaltet sich der Versuch, behutsam auf Distanz zu Russland zu gehen. „Eine Balance im Verhältnis zu Moskau zu finden, ist eine Herausforderung für Indien. Es fürchtet ein schwaches Russland, das sich China zuwendet und nicht mehr genügend Waffensysteme liefern kann. Zwar baut Indien eine eigene Rüstungsindustrie auf, aber das ist ein langwieriger Prozess“, analysiert Wagner. Hinzu komme eine durch den Ukraine-Krieg gewachsene Abhängigkeit von russischem Öl. 

    Harmonie für die Fotografen: der indische Premier Narendra Modi mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping bei einem informellen Treffen im Jahr 2019 in Indien.
    Harmonie für die Fotografen: der indische Premier Narendra Modi mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping bei einem informellen Treffen im Jahr 2019 in Indien. Foto: dpa (Archivbild)

    Noch komplizierter ist nach Ansicht Wagners das Verhältnis zu China: „Indien ist wirtschaftlich von Peking abhängig, das Handelsdefizit wächst weiter zugunsten Chinas. Zudem kommt es immer wieder zu Grenzkonflikten.“ Für Schlagzeilen sorgte im Juni, dass Peking und Delhi wechselseitig Journalisten des Landes verwiesen. Wirtschaftlich befanden sich China und Indien bis Ende der 80er Jahre noch auf einem ähnlichen Niveau, doch China ist längst vorbeigezogen. Ungelöst sind auch die Konflikte mit dem wie Indien atomar bewaffneten Nachbarstaat Pakistan, die sich ebenfalls zuweilen in gewaltsamen Zwischenfällen an der langen gemeinsamen Grenze entladen. 

    Im Vergleich dazu arbeiten Delhi und Berlin nahezu geräuschlos zusammen. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind traditionell eng. Allerdings kritisiert Wagner, dass Indien geopolitisch von Berlin lange zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Das aber ändere sich gerade. „Kanzler Scholz hat sich in seiner Amtszeit bereits viermal mit Modi getroffen.“ Ein Wendepunkt in der deutschen Sicht auf Indien seien die Leitlinien der Bundesregierung zum Indopazifik von 2020 gewesen. Da sei es in erster Linie um eine Reaktion auf das Expansionsstreben Chinas gegangen, dann aber auch um die Rolle Indiens und anderer Staaten in der Region. 

    Weltweit herausragend: das starke indische Wirtschaftswachstum

    Weltweit herausragend ist das indische Wirtschaftswachstum, das sich seit Jahren zwischen 6,5 und 8,5 Prozent bewegt. Weitere Trümpfe sind das große Reservoir an ausgezeichnet ausgebildeten IT-Experten und Technikern, eine wachsende Mittelschicht im Land mit seinen gut 1,4 Milliarden Einwohnern sowie ein nur noch moderates Bevölkerungswachstum. „Das indische Problem ist, dass das Wachstum zu wenig Arbeitsplätze erzeugt“, sagt Wagner, der eine weitere „Achillesferse“ des Wirtschaftsmodells anspricht: „Fatal ist, dass die ohnehin zu geringe Erwerbsquote von Frauen zuletzt noch gesunken ist, dass Mädchen eine schlechtere Bildung erhalten. Modi hat das Problem erkannt, aber kulturelle Vorstellungen stehen einer Verbesserung der Situation im Wege.“ 

    Demokratie hat eine lange Tradition in Indien. Was die Institutionen betrifft, hält Wagner den Pluralismus für stabil. „Fragezeichen gibt es aber: Ich sehe einen Bedeutungsverlust des Parlaments, die Pressefreiheit ist zunehmend in Gefahr, es gibt Bestrebungen, die Rechte der Minderheiten einzuschränken. Modi will eine zentralistische Hindu-Nation mit weniger Föderalismus.“ 

    Mit Spannung erwartet: die Parlamentswahlen im Frühjahr 2024

    Im Frühjahr 2024 stehen Parlamentswahlen an. Entscheidend werde sein, ob es Modi zum dritten Mal gelingt, eine absolute Mehrheit zu erreichen, sagt Christian Wagner. Ansonsten müsse er Koalitionen eingehen, also Kompromisse suchen. „Man wird genau beobachten müssen, ob die Wahlen frei und fair sind. Bedenklich ist, dass die Opposition klar benachteiligt ist, was die Medienpräsenz angeht.“ 

    Indien, dass sich seit vielen Jahren hartnäckig um einen Sitz als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates bemüht, will nach oben, ganz vorn auf der Weltbühne stehen. Das allerdings kann nur gelingen, wenn es innenpolitisch stabil bleibt.

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