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Analyse: Gewalt gegen Christen erreicht neuen Höchststand

Analyse

Gewalt gegen Christen erreicht neuen Höchststand

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    Keine Entwarnung für Christen: Wer sich zum Kreuz bekennt, ist in vielen Ländern von Verfolgung bedroht.
    Keine Entwarnung für Christen: Wer sich zum Kreuz bekennt, ist in vielen Ländern von Verfolgung bedroht. Foto: Arno Burgi, dpa (Archivbild)

    Und wieder sind ein paar Wochen vergangen, seitdem erstmals über das Schicksal des deutschen katholischen Priesters Hans-Joachim Lohre berichtet worden ist. Seit dem 20. November wird der 65-jährige Missionar, dem der christlich-muslimische Dialog so wichtig war, im westafrikanischen Mali vermisst. Vermutlich wurde er entführt. Sein Verbleib: nach wie vor ungewiss. 

    In aller Welt beten Christen für ihn, am vergangenen Sonntag etwa Abt Peter von Sury während eines Gedenkgottesdienstes für verfolgte Christen im Schweizer Luzern, den das internationale päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ veranstaltete. Zuvor hatte es vor einem Anwachsen islamistisch motivierter Gewalt in Westafrika gewarnt. Betroffen seien in den jeweiligen Staaten alle Bewohner, die die Weltsicht der Extremisten nicht teilten – „Christen jedoch oft in besonders hohem Maße, da sie ihnen wegen ihrer Werte und Lebensweise als besonders verhasst gelten“. 

    „Kirche in Not“ – 17 Priester und Ordensleute getötet

    Mindestens 17 Priester und Ordensleute der katholischen Kirche sind nach Angaben von „Kirche in Not“ weltweit im Jahr 2022 eines gewaltsamen Todes gestorben. Insgesamt seien mehr als 100 Priester und Ordensschwestern entführt, verhaftet oder getötet worden (Stand: Ende Dezember). 

    Für das christliche Hilfswerk "Open Doors", das sich als „Sprachrohr für verfolgte Christen“ versteht, hat das Ausmaß der Gewalt gegen Christen „einen neuen Höchststand erreicht“. Zur Veröffentlichung seines neuen, inzwischen 30. „Weltverfolgungsindexes“ am Mittwoch erklärte es: Im Berichtszeitraum 1. Oktober 2021 bis 30. September 2022 wurden mindestens 5621 Christen wegen ihres Glaubens ermordet. Das seien über 80 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Bedroht und verfolgt würden 360 Millionen Christen. 

    Christinnen und Christen halten eine Messe in Nigeria. Nach wie vor werden die Kirchen in dem afrikanischen Land von islamistischen Terroristen bedroht.
    Christinnen und Christen halten eine Messe in Nigeria. Nach wie vor werden die Kirchen in dem afrikanischen Land von islamistischen Terroristen bedroht. Foto: Ben Curtis, dpa (Archivbild)

    Nordkorea belegt auf der Open-Doors-Rangliste Platz eins der 50 Länder, in denen Christen „am stärksten verfolgt werden“. Es folgen Somalia und Jemen. China findet sich auf Rang 16, das Fußball-WM-Gastgeberland Katar auf 34, Ägypten auf 35 und die Türkei auf Rang 41. Ein Blick auf einzelne Länder und Weltregionen: 

    Irak Open Doors analysiert, dass Christen im Irak unter hoher Arbeitslosigkeit und der Verbreitung islamistischen Gedankenguts leiden. Der Referent für Nahost der Gesellschaft für bedrohte Völker, Kamal Sido, sieht eine partielle Besserung in dem Land: „Gezielte Angriffe auf Christen im Irak haben nachgelassen. Es bleibt allerdings dabei, dass die Christen – wie alle Minderheiten im Land – unter Korruption und Instabilität besonders stark leiden.“ 

    Syrien Kritisch sehen die Experten von Open Doors insbesondere die Lage der Christen im Nordosten des Landes. Sido pflichtet dieser Einschätzung bei: „In Syrien macht sich bemerkbar, dass die Türkei und Katar sunnitische, radikale Gruppen unterstützen, während die Saudis sich aus der Finanzierung solcher Kräfte fast komplett zurückgezogen haben.“ Allerdings gebe es in Gebieten im Norden, die von der Türkei besetzt gehalten werden, wie in Afrin, gar keine Christen mehr. Dort herrsche das islamische Scharia-Recht. 

    Ägypten Kamal Sido erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion, dass sich die Situation der Christen in Ägypten unter dem Diktator al-Sisi Abd al-Fattah in den letzten Jahren verbessert habe. Islamistische Anschläge gegen Kirchen sind seltener geworden. Es gebe in dem Land einen entscheidenden Unterschied zu anderen Ländern in Nahost. „Die Kopten in Ägypten sind eine selbstbewusste Kirche. Sie wehren sich, wenn es Übergriffe gibt.“ Dennoch gebe es am Nil weiterhin Übergriffe gegen Christen. 

    Iran In dem von Massenprotesten gegen das Mullah-Regime in Teheran erschütterten Staat sind alteingesessene Christinnen und Christen nach Einschätzung von Kamal Sido nicht stärker gefährdet als die muslimische Mehrheit der Bevölkerung. So schätzt auch Open Doors die Lage ein. Ganz anders ist die Situation der rund 300.000 zum Christentum konvertierten Muslime, die staatlicher Verfolgung ausgesetzt sind. „Viele Iraner haben die Nase voll vom Islam“, erklärt Sido die hohe Zahl von Konvertiten im Land. 

    Türkei Die islamisch-nationalistische Regierung lässt wenig Freiraum für Christen, so die Analyse von Open Doors. „Der Islamismus ist auf dem Vormarsch“, sagt Sido. Christen, die aus dem Ausland kommen, um ihren Glaubensgenossen zu helfen, würden aus dem Land gewiesen. 

    China Besonders großen Raum nimmt China im Jahresbericht von Open Doors ein. Auf der einen Seite würden auch Christen von der Modernisierung des Landes in den letzten Jahrzehnten profitieren. Gleichzeitig übe die autokratische Regierung weiterhin Druck auf alle religiösen Minderheiten aus – und sei damit Vorbild für Staaten wie Myanmar oder Sri Lanka, in denen Christen ebenfalls verfolgt werden. 

    Afrika Nach wie vor lebensgefährlich ist die offene Ausübung des christlichen Glaubens in mehreren Staaten Afrikas. Besonders schlimm ist die Lage nach wie vor in Nigeria. Dort sind Christen durch Terror bedroht. Auch in Uganda, dem Kongo oder Burkina Faso verzeichnet Open Doors Angriffe auf Christen. Hinzu kommt, dass Korruption, Armut und Hunger insbesondere religiöse und ethnische Minderheiten betreffen. 

    Open Doors beschreibt sich als überkonfessionelles christliches Hilfswerk, das sich seit 1955 für verfolgte Christen einsetze. Es ist assoziiertes Mitglied der World Evangelical Alliance, eines Netzwerkes, das nach eigenen Angaben mehr als 600 Millionen evangelikale Christen repräsentiert. Der „Weltverfolgungsindex“ von Open Doors wurde schon vielfach kritisiert, unter anderem, weil er ein „weites Verständnis des Begriffs ,Christenverfolgung’“ (Open Doors) vertritt, seine Zahlen wissenschaftliche Exaktheit annehmen ließen oder er der Gefahr Vorschub leiste, Religionsgemeinschaften gegeneinander auszuspielen. „Derzeit herrscht die größte Christenverfolgung aller Zeiten“, behauptet Open Doors aktuell. Trotz all dem wird anerkannt, dass der Index auf das wichtige Thema „Christenverfolgung“ und Entwicklungen hinweist. 

    Der Augsburger Bischof Bertram Meier fordert weltanschauliche Toleranz

    Für den katholischen Augsburger Bischof Bertram Meier ist der Zustand der Religionsfreiheit ein Indikator für die Achtung der Menschenrechte insgesamt. Der Kampf für die Menschenrechte im Allgemeinen und die Religionsfreiheit im Besonderen müssten deshalb ineinandergreifen, sagte er unserer Redaktion. Gerade die Kirchen helfen weltweit, so Meier, weltanschauliche Toleranz und Dialogbereitschaft in allen Bereichen der Gesellschaften zu kultivieren. 

    Fordert mehr Empathie und Unterstützung für bedrohte Christen in aller Welt: der Augsburger Bischof Bertram Meier.
    Fordert mehr Empathie und Unterstützung für bedrohte Christen in aller Welt: der Augsburger Bischof Bertram Meier. Foto: Ralf Lienert

    Der Bischof betonte: „Auch wenn sich die Kirchen hierzulande besonders für die Lebenssituation von Christen in verschiedenen Teilen der Welt interessieren, setzen wir uns doch exemplarisch und niemals exklusiv für unsere verfolgten und bedrängten Glaubensgeschwister ein. Wir wissen uns allen wegen ihres Glaubens, ihrer Religion oder Weltanschauung Verfolgten und Bedrängten verpflichtet.“

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