Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Analyse: Friedrich Merz: Zu altmodisch – oder ein Mann für die Zukunft?

Analyse

Friedrich Merz: Zu altmodisch – oder ein Mann für die Zukunft?

    • |
    Ein Mann und sein Ziel: Noch muss sich Friedrich Merz das Kanzleramt aus der Ferne anschauen.
    Ein Mann und sein Ziel: Noch muss sich Friedrich Merz das Kanzleramt aus der Ferne anschauen. Foto: Imago Images/Photothek

    Friedrich Merz ist ein Mann, der viel Zeit damit verbracht hat, auf seine große Zeit zu warten. Wer konnte damals auch ahnen, dass diese Frau aus dem Osten seinen Platz im Kanzleramt derart lange blockieren würde? Nun, da die Ära Merkel ihrem Ende entgegengeht, wird es Zeit für einen wie ihn. Findet er selbst. Finden auch viele Parteifreunde in der CDU.

    An der Basis, das zeigen seine umjubelten Auftritte, gibt es durchaus eine Sehnsucht nach dem Gestern der westdeutschen Männerpartei. Doch für viele Wähler klingt der 64-Jährige, der das Land in die Zukunft führen will, eher nach Vergangenheit. Sollte er dieses Image absichtlich als Marke pflegen, ist Merz in dieser Woche ein echter Coup gelungen.

    Merz ist die ewig unerfüllte Hoffnung der Konservativen

    Merz ist die ewig unerfüllte Hoffnung der Konservativen in der Union. Konservativ zu sein, das heißt, die Zumutungen der Gegenwart so lange abzuschmirgeln, bis sie erträglich werden. Wenn der Wandel schon unausweichlich ist, soll er wenigstens verlangsamt werden. Die CDU ist eine konservative Partei und hat die Mehrheit der Deutschen seit Bestehen der Bundesrepublik mit ihrem Ansatz einer wohldosierten Zukunft überzeugt. Merz steht wie keiner seiner Mitbewerber um den Parteivorsitz für dieses Erfolgsmodell. Doch bei ihm entsteht in unregelmäßigen Abständen der Eindruck, dass er dem Wandel gar nicht mehr die Härten nehmen kann, weil er sich in der Gesellschaft längst vollzogen hat. Merz kommt zu spät.

    Frage nach schwulem Kanzler bringt Merz ins Schleudern

    Ein Interview mit der Bild-Zeitung verstärkt den Eindruck, dass der Kandidat irgendwo in der Bonner Republik stehen geblieben ist. Die Frage, ob er ein Problem mit einem schwulen Kanzler hätte, verneint er, bringt aber noch im selben Satz ohne Not Homosexualität mit Pädophilie zusammen. „Die Frage der sexuellen Orientierung, das geht die Öffentlichkeit nichts an, solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft“, sagt Merz.

    Merz: „Die Frage der sexuellen Orientierung, das geht die Öffentlichkeit nichts an, solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft.“
    Merz: „Die Frage der sexuellen Orientierung, das geht die Öffentlichkeit nichts an, solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft.“ Foto: Peter Steffens, dpa (Archiv)

    Sein Parteifreund Jens Spahn, auf den sich die Kanzlerfrage bezogen hatte, kontert kurz und knapp. „Wenn die erste Assoziation bei Homosexualität Gesetzesfragen oder Pädophilie ist, dann müssen Sie eher Fragen an Friedrich Merz richten, würde ich sagen“, sagt der Bundesgesundheitsminister.

    In den sozialen Netzwerken lösen die Worte des potenziellen CDU-Chefs Empörung aus. Da war es also wieder, das Klischee vom alten Chauvi, der einst über das Outing von Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit ziemlich breitbeinig gesagt hatte: „Solange er sich mir nicht nähert, ist mir das egal.“

    Es ist höchstwahrscheinlich tatsächlich so, dass der Politiker nichts gegen Schwule und Lesben hat. Nur hat er eben wieder einmal die Vorbehalte seiner Kritiker bestätigt, dass in ihm noch immer die alte erzkonservative Abscheu gegen Schwule stecke. Selbst für eine Partei, zu deren Markenkern es gehört, sich nicht dem Zeitgeist zu opfern, wirkt Merz in diesem Moment seltsam altmodisch.

    SPD-Kanzlerkandidat Scholz nutzt die Vorlage

    Ein kommunikatives Missgeschick? Vielleicht. Vielleicht kann der Sauerländer aber auch einfach nicht anders. Schließlich ist es nicht die einzige Aussage, mit der er irritiert. Angesprochen auf die Arbeitsmoral in Zeiten von Corona, warnt er mit ernster Miene. „Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können. Wir müssen zurück an die Arbeit.“ Dahinter steckt die konservative Überzeugung, dass die Bürger sich nicht auf Vater Staat verlassen, sondern ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen sollten.

    Merz: „Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können. Wir müssen zurück an die Arbeit.“
    Merz: „Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir uns nicht alle daran gewöhnen, dass wir ohne Arbeit leben können. Wir müssen zurück an die Arbeit.“ Foto: Kay Nietfeld, dpa (Archiv)

    Warum der Politprofi aber ausgerechnet mitten in einer schweren Wirtschaftskrise diese Sätze fallen lässt, da Hunderttausende um ihren Job zittern und Millionen unfreiwillig in Kurzarbeit stecken, bleibt sein Geheimnis. Dass er dann auch noch den Lehrern einen Seitenhieb mitgibt („Es bleiben einfach zu viele Lehrer zu Hause“), macht die Sache nicht besser.

    Merz glaubt an den Markt und will weniger Staat

    Es sind Fettnäpfchen-Tauchgänge wie diese, die das öffentliche Bild eines abgehobenen Millionärs und Mannes der Geldwirtschaft erzeugen, der sich für die normalen Leute nicht wirklich zu interessieren scheint. Sein möglicher Kontrahent im Rennen um die Kanzlerschaft ließ sich die Chance jedenfalls nicht entgehen. „Ich weiß nicht, was Herr Merz so macht, aber ich arbeite sehr viel, und viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes auch. Ich finde es auch nicht richtig, wenn jetzt immer mal, wenn man einen feschen Spruch machen will, auf die Lehrer geschimpft wird“, sagt SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz unserer Redaktion.

    Hinter Merz’ Mahnung verbirgt sich das konservative Verständnis eines schlanken Staates. Der Glaube daran, dass der Markt schon alles regeln werde, hatte zwar schon vor über einem Jahrzehnt, als Merz sich von der politischen Bühne in Richtung Privatwirtschaft verabschiedete, Schrammen bekommen. Die Finanzkrise hatte da gerade gezeigt, was ein ungezügelter Markt anrichten kann. Doch Merz bleibt seiner Linie treu. Er sieht darin den Beweis, dass er einen klaren Kompass hat. Seine Gegner kritisieren, er habe in der langen Zeit, in der er auf seine zweite Chance in der Politik gewartet hat, nichts dazugelernt.

    Als dritte Schwäche wird Merz seine Wirkung auf Frauen angekreidet, die bekanntlich die Hälfte der Wählerschaft bilden. Prominent stellte er sich gegen den Vorschlag von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die sich für eine Frauenquote von 50 Prozent starkmacht. Merz argumentiert, es mache keinen Sinn, Vorstandsposten ab der Kreisebene verpflichtend an Frauen zu vergeben, solange die CDU einen derartigen Männerüberschuss habe. Dass er ankündigt, als Parteichef eine weibliche Generalsekretärin ernennen zu wollen, empfinden seine Kritikerinnen eher als gönnerhaft denn als glaubwürdig.

    Merkel hat der CDU viel zugemutet

    Immer wieder scheint bei Merz ein Denken durch, das es heute schwer hat. Weil es als überholt gilt oder nicht dem Zeitgeist entspricht. Aber Merz scheint es nicht zu genügen, sich gegen diesen Zeitgeist zu stemmen. Er wirkt wie einer, der die Zeit zurückdrehen will. Angela Merkel hat den Wandel nicht verzögert, sondern aktiv befördert. Für die Union war das eine Zumutung, doch die Aussicht auf Wahlsiege und Macht erstickten jegliche Rebellion. Nun herrscht eine neue Sehnsucht nach alten Gewissheiten. Merz hat mit seinem Profil gute Karten, CDU-Chef zu werden. Was die Parteimitglieder gut finden, muss aber nicht für die Wähler gelten.

    Vor einem Jahr war Friedrich Merz zu Gast bei unserer Reihe "Augsburger Allgemeine Live". Das Gespräch von damals können Sie sich hier noch einmal anhören:

    Lesen Sie dazu auch: Warum Laschet nun Favorit für die CDU-Kanzlerkandidatur ist

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden