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Analyse: Wie Friedrich Merz dem Schicksal seiner Vorgänger entgehen will

Analyse

Wie Friedrich Merz dem Schicksal seiner Vorgänger entgehen will

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    Sichtlich ergriffen: Beim 34. Parteitag der CDU wurde Friedrich Merz zum neuen Bundesvorsitzender gewählt.
    Sichtlich ergriffen: Beim 34. Parteitag der CDU wurde Friedrich Merz zum neuen Bundesvorsitzender gewählt. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Über Friedrich Merz sind in den vergangenen Jahren schon viele Geschichten erzählt worden. Schmeichelhafte, wie die, dass er mit seinen Reden noch jeden Saal auf seine Seite ziehen könne. Visionäre, wie die, als er mit einem Stift auf einem Bierdeckel kritzelte und versprach, dass künftig die Steuererklärung darauf Platz finden müsse. Schaurige, wie die, dass er einem Obdachlosen, der sein verloren gegangenes Laptop gefunden hatte, statt eines Finderlohns ein Buch zukommen ließ mit dem schönen Titel „Nur wer sich ändert, bleibt bestehen" – Autor:

    Eine Geschichte wird derzeit aber besonders gerne erzählt. Und das ist die von seinem Büro. Denn – und da sage noch einer, das Schicksal habe keinen Humor -, der Sauerländer zieht mit seiner politischen Wiederauferstehung genau in jenes Bundestagsbüro ein, das er vor zwölf Jahren verlassen hat. Jakob-Kaiser-Haus, sechster Stock, Zimmer 6249, selbst der Schreibtisch mit der marmornen Platte, den Merz selbst angeschafft hatte, steht noch da. Doch eines ist auch dem 66-Jährigen bewusst: Das Möbelstück mag unverrückt sein, die Welt rund um diesen steinernen Tisch hat sich grundlegend verändert. Die Männerbünde in der CDU wurden – wenn auch zaghaft – aufgebrochen.

    Die Machtkämpfe zwischen CSU-Chef Söder und der CDU sollen sich nicht wiederholen.
    Die Machtkämpfe zwischen CSU-Chef Söder und der CDU sollen sich nicht wiederholen. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Die Gesellschaft ist liberaler geworden, selbst auf dem Land wählen sie heute grün. Die Parteienlandschaft ist mit dem Einzug der AfD in den Bundestag komplizierter geworden. Merz muss also beweisen, dass er sich mit dieser Welt mitverändert hat, dass er nicht bloß ein Wiedergänger seines eigenen Ich aus den frühen 2000er Jahren ist. Denn nur, wenn es ihm gelingt, die Menschen weit über seine treue Anhängerschaft hinaus zu überzeugen, wird sich sein eigentlicher Traum erfüllen: Kanzlerkandidat der Union.

    An diesem eisigen Samstagmittag spricht Merz in die Kamera, die sein Team im Konrad-Adenauer-Haus aufgebaut hat. Es ist kein Parteitag wie jeder andere. Keiner, auf dem sich der Chef im Applaus der 1001 Delegierten wärmen kann. Corona zwingt die CDU zum zweiten Mal in ein digitales Format, routiniert spult das Organisationsteam inzwischen sein Programm ab. Doch ein

    Und so muss Merz vor allem auf eines vertrauen: Dass die Parteifreunde nicht nur durch die Neuaufstellung an der Spitze, sondern auch durch den Schock der Niederlage bei der Bundestagswahl neue Geschlossenheit erkennen lassen. Und das machen sie. 94,62 Prozent der Stimmen erhält Merz – und damit eine breite Rückendeckung. Sichtlich gerührt und mit Tränen in den Augen ist der 66-Jährige endlich am Ziel. Es ist der Moment seines größten Triumphes und für einen Augenblick wirkt er weich, der harte Hund. Zwar hatten die Delegierten nach dem Mitgliedervotum kaum eine andere Wahl, als für Merz zu stimmen. Doch der Wille ist durchaus klar erkennbar in der Partei, dass die Zeit der Personaldebatten abgehakt werden soll, dass es kein Interesse daran gibt, schon kurz nach dem Wahlgang zu hadern, ob die CDU den richtigen Vorsitzenden hat.

    Söder schmeichelt dem neuen CDU-Vorsitzenden Merz

    Friedrich Merz lässt keinen Zweifel. „Wir nennen uns bürgerlich und wenn das richtig sein soll, dann müssen wir uns auch so verhalten“, sagt er. Sein Blick dürfte dabei vor allem in Richtung München gehen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte sich mit Armin Laschet einen schmerzhaften Kampf um die Kanzlerkandidatur geliefert, die Wunden sind bis heute nicht wirklich verheilt. Man könne und müsse in wichtigen Sachfragen miteinander ringen und notfalls auch streiten, sagt Merz. „Aber am Ende müssen gemeinsame Ergebnisse stehen. Am Ende müssen Lösungen stehen.“ 2021 dürfe sich nicht wiederholen – und werde sich auch nicht wiederholen, fordert er. Die Leidensfähigkeit seines Vorgängers Laschet ist Merz fremd. Das weiß wohl auch Söder. Offen schmeichelt er dem Amtskollegen: „Das ist schon ein dickes Pfund. 94,5 Prozent - so was hätte ich selbst gern mal gehabt.“

    Sie sind stellvertretende Vorsitzende der CDU: Silvia Breher, Karin Prien, Michael Kretschmer, Andreas Jung, Carsten Linnemann.
    Sie sind stellvertretende Vorsitzende der CDU: Silvia Breher, Karin Prien, Michael Kretschmer, Andreas Jung, Carsten Linnemann. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Damit der Rückenwind nicht zum lauen Lüftchen wird, will der neue CDU-Chef auch jene einbinden, die mit seinem Namen eher die Vergangenheit als die politische Zukunft verbunden haben. „Wir spielen die gesellschaftlichen Gruppen nicht gegeneinander aus“, versichert er. Einen ersten Beweis, dass das nicht bloß ein Lippenbekenntnis sein soll, legt er gleich vor. Denn beim Parteitag wird nicht nur der Parteichef neu gewählt, ein großer Teil der Führungsmannschaft wird ausgetauscht: Jünger, weiblicher, breiter gefächert sollen die neuen Köpfe die CDU machen. Ein Klimapolitiker wie Andreas Jung wird künftig genauso den Kurs der Partei prägen wie der konservative Wirtschaftsexperte Carsten Linnemann, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien sowie Silvia Breher, die schon Vizeparteichefin war. Große Namen wie Volker Bouffier, Thomas Strobl, Peter Altmaier verschwinden. Die Neuen sollen Merz nicht nur helfen, die CDU breit aufzustellen, sondern auch einen unverwechselbaren Markenkern der Partei herauszuarbeiten.

    Die CDU erarbeitet ein neues Grundsatzprogramm

    Denn mit kaum etwas hat Merz in den vergangenen Jahren mehr gehadert als mit der Kompromissfähigkeit seiner Vor-Vor-Vorgängerin Angela Merkel. Die Sehnsucht nach der Unterscheidbarkeit wuchs sich zu einer regelrechten Griesgrämigkeit aus. Insofern liegt in der Rolle der CDU als Oppositionspartei durchaus eine Chance. Oder anders gesagt: Die Schwäche der CDU ist Merz‘ größte Stärke. Er muss keine Rücksicht mehr nehmen auf einen Koalitionspartner, muss nicht abwägen und taktieren. CDU pur eben. Wie das aussehen wird, soll ein neues Grundsatzprogramm klar aufzeigen. Es wird nach 1978, 1994 und 2007 das vierte seit Gründung der Partei sein und Antworten darauf geben müssen, welche Leitplanken den künftigen Weg markieren.

    Eines macht Friedrich Merz beim Parteitag schon einmal klar: „Wir werden nicht einfach dem Zeitgeist hinterherlaufen.“ Der Schutz der Familie, die Stärkung der Bundeswehr, Unterstützung für die Wirtschaft – ganz auf seine bekannten Schlagworte mag Merz nicht verzichten. Doch inzwischen gehört auch soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz zu seinem rhetorischen Repertoire. „Wir wollen den gesellschaftlichen Wandel nicht über uns ergehen lassen, wir wollen ihn aktiv gestalten“, sagt er. Der Großkapitalist entdeckt sein soziales Gewissen – ein Märchen? Fakt ist: Wahlen, das ist inzwischen eine Binsenweisheit, lassen sich nur in der Mitte gewinnen. Und genau das will Merz: Raus aus der Opposition, zurück in die Regierung. „Täuschen wir uns nicht, bis dahin kann es ein weiter Weg sein“, sagt er. „Wie lang der Weg wirklich wird, liegt nicht allein, aber auch an uns.“

    Und so versucht Merz weniger krawallig zu sein, weniger ausgrenzend. Böse Zungen behaupten, es fände eine Merkelisierung statt. Er selbst hat das öffentliche Bild, das von ihm gezeichnet wurde, schon immer für verzerrt gehalten. Es scheint fast, als ob er nun auch alle anderen davon überzeugen will: Raue Schale, weicher Kern. Womöglich hat er aber auch nur die Zwänge erkannt, in denen er steckt. Merz muss keineswegs nur die eigenen Fans von sich überzeugen, er braucht auch all jene, die bei der letzten Bundestagswahl ihr Kreuz bei der SPD und den Grünen gemacht haben und die weit weniger konservativ sind als das Merz-Lager. Und das waren viele. Nur wenn ihm der Spagat gelingt zwischen dem neuen Merz und dem alten Merz, wird er erfolgreich sein.

    Die CDU kämpft mit Mitgliederschwund

    Erst in der vergangenen Woche hat die CDU Zahlen auf den Tisch gelegt, die alles andere als erbaulich sind. Die Partei zählte am 31. Dezember noch 384.204 Menschen in ihren Reihen - knapp 15.000 weniger als ein Jahr zuvor, als es 399.110 waren. Zum Vergleich: Die Grünen konnten von 106.000 Mitgliedern auf 125.000 zulegen. Und noch etwas verraten die Statistiken: Die CDU-Mitgliederschaft ist überaltert, Frauen sind unterrepräsentiert. Fast drei Viertel (73,4 Prozent) der Mitglieder sind männlich und gut ein Viertel (26,6 Prozent) weiblich. Unter den Neueintritten in die Partei sind Frauen mit 28,8 Prozent vertreten. Der Altersdurchschnitt der Mitglieder beträgt 60,8 Jahre. Bei den Neueintritten liegt der Durchschnitt bei 43 Jahren. Die Probleme der CDU reichen also weit über eine verpatzte Bundestagswahl hinaus. Auch dem soll die personelle Neuaufstellung entgegenwirken.

    Pandemiebedingt musste der Parteitag in rein digitaler Form stattfinden.
    Pandemiebedingt musste der Parteitag in rein digitaler Form stattfinden. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Andere Zahlen hingegen können Merz und der gesamten CDU Mut machen: Die neue Ampel-Regierung ist noch keine 100 Tage im Amt, da sinkt laut Umfragen bereits die Zufriedenheit der Wählerinnen und Wähler. Vor allem Kanzler Olaf Scholz bietet sich als politische Zielscheibe, als Gegenspieler um die Macht an. Kaum etwas verbindet eine Partei mehr als gemeinsame Feindbilder. „Die Menschen bekommen von Ihnen keine Antwort“, wirft Merz dem SPD-Politiker vor. Weder in der Frage nach einer Impfpflicht noch bei Sorgen wegen der steigenden Inflation zeige Scholz echte Führung. Die Welt sorge sich um den Frieden in Europa, sagt Merz mit Blick auf die aktuellen Spannungen mit Russland. „Sie waren bisher weder in Washington noch in Moskau“, kritisierte er Scholz. Frühere Kanzler hätten in dieser Lage Führung gezeigt und Initiativen ergriffen. Auch er selbst will es anders machen. „Diese Partei lebt. Sie ist aktiv. Und sie erwartet jetzt von uns Führung, starke Führung und klaren Kurs“, sagt er über die CDU.

    Und was ist mit Angela Merkel?

    Nur ein Name will Friedrich Merz am Tag seines bisher größten Erfolges nicht über die Lippen gehen: Angela Merkel. Er überlässt es seinen Parteifreunden, der Frau zu danken, die 18 Jahre die CDU und 16 Jahre das Land geführt hat. Erst am Freitag war bekannt geworden, dass Merkel Merz‘ Einladung zu einem Versöhnungsessen ausgeschlagen hatte. Dass der sie vorher in Interviews immer wieder scharf angegriffen hatte, machte das Angebot für die Ex-Kanzlerin wohl wenig glaubhaft. Merz dürfte es ohnehin weniger um Merkel als Person gegangen sein, sondern – so viel Spekulation sei erlaubt – um deren Anhänger. Denn auch deren Herz muss der neue Parteichef gewinnen, will er nicht zu dem werden, was vor ihm Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet waren: eine tragische Figur und Fußnote in der Geschichte der eigenen Partei. Und so sind die Schicksale von CDU und Merz ab sofort unverrückbar miteinander verknüpft – nur wenn die Partei wieder erfolgreich ist, wird es auch der Vorsitzende sein. Es sind Schicksalsjahre für Friedrich Merz.

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